Zwiegespräch als Liebesmedizin.

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Leben

Worüber Paare regelmäßig und ausführlich reden sollten

Um Beziehung zu pflegen, empfehlen die Psychologen Julie und John Gottman Dates, bei denen über Gefühle gesprochen wird.

von Gabriele Kuhn

02/12/2019, 06:00 AM

Es heißt, der Mann mit dem weißen Bart und den funkelnden Augen kann die Liebe vermessen. Seit 40 Jahren tut John Gottman das, er ist mittlerweile emeritierter Psychologieprofessor an der Universität Washington. Nicht mit dem Lineal oder Maßband, sondern einfach, indem er in seinem legendären „Love Lab“ Paare beobachtet. Der Forscher analysiert, wie Partner miteinander umgehen und kommunizieren. Gottman hat auf diese Weise Unmengen an Daten gesammelt. Innerhalb von 15 Minuten kann er erkennen, ob eine Beziehung hält oder scheiter, sagt man.

Das „Liebes-Labor“ selbst ist ein Einzimmerapartment mit Seeblick, Schlafcoach, Sofa, Fernseher und Miniküche – überall (außer im Bad) Videokameras, die nonstop aufzeichnen, wie das Paar interagiert. Beide Partner sind verkabelt, Sensoren messen zum Beispiel Herz- und Pulsfrequenz oder die Menge an Schweiß an den Handinnenflächen, während Love-Lab-Mitarbeiter das Wechselspiel aus biologischen Reaktionen, Körpersprache, Mimik und Worten studieren.

Liebe neu erschaffen

Tausende Paare wurden im Laufe der Jahre analysiert – dabei zeigte sich auch, welch enorme Bedeutung Worte, Gesten und Rituale haben. Es geht um die tiefe, innere Verbindung und um echtes Interesse an der (Innen-) Welt des jeweils anderen. „Eine lebenslange Liebe wird jeden einzelnen Tag neu erschaffen. Deshalb sollten die Partner nie aufhören, einander kennenlernen zu wollen“, ist Gottman überzeugt. Ein Geschenk, das nicht vom Himmel fällt, vielmehr ist es eine Frage des Bewusstseins, Wollens und Tuns. Vor allem aber des unerschütterlichen Willens, niemals mit dem Reden aufzuhören. Allerdings nicht darüber, wer die Butter kauft oder die Kinder zum Tennis bringt, sondern, wie es den Partnern wirklich geht. Wie sie fühlen, wonach sie sich sehnen, was sie brauchen, wovor sie Angst haben, wovon sie träumen.

Acht Dates

John Gottman und seine Frau Julie, ebenfalls klinische Psychologin, haben dazu nun ein neues Buch geschrieben (derzeit nur in englischer Originalfassung): „Eight Dates. Essential Conversations for a Lifetime of Love“ (Acht Dates. Essenzielle Gespräche für die lebenslange Liebe“). Eingeleitet wird es mit folgendem Satz: „Jede große Liebesgeschichte ist ein Gespräch, das niemals endet.“

Es beginnt mit jenen ersten spannenden Fragen, die sich auftun, wenn man frisch verliebt ist und landet oft bei nervenzerfetzenden Diskussionen rund um so große Themen wie Vertrauen, Untreue, Verpflichtung. „Es geht um unsere Schmerzen, unsere Träume, unsere Ängste. Und die Art und Weise, wie wir einander fragen und diese Fragen beantworten. Nur so können sich zwei Menschen weiterentwickeln und aneinander lernen – über viele gemeinsame Jahre hinweg“, ist das Ehepaar Gottman überzeugt. Und: „Eine echte Liebesgeschichte ist kein Märchen. Sie braucht Verletzlichkeit und Anstrengung. Doch dann können zwei Menschen ein ganzes Leben lang verliebt sein.“ Aber wie soll das gehen?

Das intime Gespräch

Essenzielle, bewusst arrangierte Gespräche (bei den Gottmans in Form von „Dates“) sind das zentrale Werkzeug. Bereits in seinem Buch „Vermessung der Liebe“ widmete Gottman der „Kunst des intimen Gesprächs“ ein ganzes Kapitel. „So ein Gespräch bedeutet nicht, dass Sie Konflikte oder heikle Themen diskutieren. Es geht vor allem darum, MITEINANDER zu reden“, schreibt Gottman. Dabei werden Gefühle in Worte gefasst und offene Fragen gestellt – also solche, die nicht nur mit „nein“ oder „ja“ zu beantworten sind, sondern eine ausführliche Antwort erfordern. Es braucht vertiefende Dialoge‚ und schließlich geht es auch darum, Mitgefühl und Empathie auszudrücken.

„Liebe ist die höchste Aufmerksamkeit“, sagte der britische Schriftsteller Lawrence Durrell. Viele Beziehungen scheitern am Verlust von Aufmerksamkeit, indem man mehr und mehr aneinander vorbeiliebt und immer weniger Einblick in das Seelenleben des Partners bekommt. Zu wissen, was den anderen bedrückt oder aber glücklich macht, ist allerdings von großer Bedeutung.

Zwiegespräche als Liebesmedizin

Nicht nur Gottman empfiehlt tiefgreifende Gespräche als Liebesmedizin. Der Psychoanalytiker Michael L. Moeller (1937 – 2002) nannte solche Dialoge „Zwiegespräche“. Sie haben das Ziel, die Wahrheit des anderen kennenzulernen und zu verstehen. Kein Smalltalk übers Kochen oder die Kinder, sondern Gespräche über sich selbst. Ähnliches auch in der Imago-Beziehungsarbeit, die von dem Psychologen Harville Hendrix, seiner Frau und Studenten in den 1980er-Jahren entwickelt wurde, und seither Millionen Ehen in der ganzen Welt gerettet hat. Teil dieses Ansatzes sind so genannte Imago-Dialoge – Paargespräche, die den Partnern Sicherheit geben sollen. Dabei gibt es einen Sender und Empfänger. Der Sender spricht, der Empfänger spiegelt das Gehörte. Wichtig ist ein „Gelten-lassen und Verstehen“ – heißt: Der Empfänger versucht, die Welt aus den Augen des Senders zu betrachten und sagt dem Sender, wie das Gesagte bei ihm ankommt. Schließlich ist „Einfühlen“ angesagt: Der Empfänger spürt, was der Sender fühlen könnte. Im besten Fall beginnen beide ihre inneren Welten zu teilen und zu verstehen.

Jährlich eine Flitterwoche

Und wie schaffen es die Gottmans, 32 Jahre glücklich miteinander zu sein? Laut Zeitungsberichten reden sie nicht nur viel, sondern machen jährlich eine „Flitterwoche“, um sich folgende drei Fragen zu stellen: Was hat am vergangenen Jahr genervt? Was war daran gut? Wie soll das kommende Jahr aussehen?

Regeln für ein Rede-Date

Ein liebevoller Kuss, eine Umarmung, eine kurze Berührung. Gesunde Partnerschaften leben von vielen kleinen Ritualen der Liebe  – sie gehen aber im Laufe der Jahre  oft verloren. Studien zeigen, dass Paare an die 35 Minuten pro Tag kommunizieren. Gar nicht so wenig. Das Problem ist, wie sie es tun. Vieles dreht sich um Dinge, die zu erledigen sind, um schlichten „To-Do-Smalltalk“ im Alltagstrott. Und das oft ein wenig lieblos –  via  Smartphone oder E-Mail .

Die Beziehungsforscher John und Julie Gottman empfehlen daher, sich einmal pro Woche Zeit füreinander zu nehmen. Sie nennen das „Date Night“ –  wir sagen dazu wohl: miteinander ausgehen. Ziel solcher geplanter Abende ist echter, empathischer Austausch, um sich auf den jeweils anderen zu konzentrieren. Es geht ausschließlich um die Beziehung, die Partner  selbst, nicht um die Arbeit, nicht um den Alltag. So ein Date ist auch kein „Netflix und chill“-Abend, kein Treffen mit Freunden und kein Ausflug ins Kino.

Folgende „Regeln“ sind dabei zu beachten:

  • Versuchen, in Worte zu fassen, was man fühlt.Also zum Beispiel: „Ich fühle mich verstanden, nicht verstanden, gelangweilt, glücklich.“
  • Nun geht es darum zu erzählen, warum man sich  fühlt. Was hat dazu geführt, dass etwas so ist wie es ist? Was ist passiert ...?
  • Beide Partner stellen „offene Fragen“, die nicht einfach nur mit „Ja“ oder „Nein“ zu beantworten sind. Also zum Beispiel: „Was fühlst du?“, „Was würdest du wirklich gerne sagen – und zu wem?“, „Welche Entscheidung solltest du treffen?“, „Welche Ziele hast du?“
  • Helfen Sie dem Partner sich zu öffnen, indem Sie sich interessiert zeigen. Etwa: „Wie ist es zu dieser Situation gekommen?“, „Rede ruhig weiter, ich höre dir zu“, „Hilf mir bitte, deine Gefühle, besser zu verstehen.“
  • Zeigen Sie Toleranz, Empathie und Verständnis Ihrem Partner gegenüber.Zum Beispiel: „Ich bin auf deiner Seite.“, „Ich kann verstehen, wie du dich fühlst.“, „Das muss dich sehr verletzt haben.“, „Ich stimme dir zu.“

Themen für ein Rede-Date

Worum geht es bei den acht  „essenziellen“ Dates bzw. Treffen? Ganz einfach: Sie berühren die zentralen Themen jeder Beziehung,  um die sich in der Liebe sehr viel  dreht:

  1. „Lehn dich an mich“: Über  Vertrauen und Treue reden. Die zentralen Fragen, um die sich hier alles dreht: Kann ich dir vertrauen? Bleibst du, wenn ich dich verletze? Wie wichtig bin ich für dich?
  2. „Einig darüber sein, dass wir uneins sind“: Über Konflikte reden.
  3. Konflikte gehören zu jeder Beziehung – sie sind vor allem eine gute Gelegenheit, einander besser kennenzulernen. Konstruktiver Streit bringt Wachstum. „Lass es uns tun“:  Über Sex und Intimität reden. Studien zeigen, dass Paare, die offen über sexuelle Bedürfnisse sprechen können,  besseren Sex haben. Dabei geht es  etwa darum, herauszufinden, welche  „Rituale der Intimität“ die Partner brauchen.   
  4. „Der Preis der Liebe“: Über Arbeit und Geld reden. Wichtig, denn das Geld zählt zu den häufigsten Streitthemen in Beziehungen. Der Umgang mit diesen Themen hat viel mit der eigenen Familiengeschichte zu tun.
  5.  „Raum zum Wachsen“: Über die Familie reden. Die Fragen, die hier berührt werden: Was bedeutet es, eine Familie zu haben? Wollen wir Kinder? Wie definiert jeder von uns Familie überhaupt?
  6. „Spiel mit mir!“: Über Spaß und Abenteuer reden. Leichtigkeit ist eine wichtige Zutat funktionierender Beziehungen, aber das „Spielerische“ geht oft verloren. Wie holen wir es uns wieder zurück ins Leben?
  7. „Etwas, an das wir glauben können“: Über Wachstum und Spiritualität reden. Darum geht es: „Auf welche Weise sind wir in unserer Partnerschaft gewachsen? Was bedeutet Spiritualität für uns –wie leben wir sie?“
  8. „Ein Leben lang Liebe“: Über Träume reden. Der visionäre Blick: Was sind unsere geheimsten Träume? Wie können wir sie realisieren? Vor allem aber: Lass uns gemeinsam träumen!

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