Warum die Liebe heute schwieriger ist als früher
Eigentlich ist es absurd. Partnerschaften scheitern heutzutage, weil die involvierten Menschen zu wenig miteinander kommunizieren. Und das in einer Zeit, in der wir alle weit mehr kommunizieren als jemals zuvor. Aber Kommunikation ist nicht gleich Kommunikation, und noch nie zuvor war das Thema Selbstoptimierung so zentral in unserem Leben verankert wie heute.
Eine stark Ich-zentrierte Gesellschaft, die sich im ständigen Vergleichswettbewerbsporno befindet, also. Perfektionsdrang ist unser gruseliger Begleiter geworden. Und das gilt auch für unsere Beziehungen. Was dabei – unter anderem – abhanden gekommen scheint: der wiederkehrende und uneingeschränkte Fokus auf den Partner.
Abgelenkter denn je
Viele sehen sich heute zu viert in einer Beziehung. Er, sie. Handy 1, Handy 2. Und: Wir versuchen in kürzerer Zeit, immer mehr zu erledigen. All das wirkt sich auf unsere Beziehungen aus. „Auf diese Schnelllebigkeit sind wir und unser Gehirn nicht vorbereitet gewesen“, sagt der Beziehungscoach Dominik Borde. Wir seien permanent gestresst. Und mit einem gestressten Gehirn wären wir zu bis zu 75 Prozent weniger kommunikationsfähig. Mit uns selbst und auch mit allen anderen.
Die meisten Menschen seien völlig überarbeitet und abgelenkt. Und um wirklich an einer Beziehung zu arbeiten, sei es wichtig, sehr viel über den Partner zu wissen und aus diesem Wissen heraus die Weisheit zu haben, sich auf ein paar Punkte zu konzentrieren. „Das wäre: präsent sein, echtes Zuhören. Das geht nicht, wenn ich abgelenkt bin.“
Nun ist es so, dass der Begriff „Beziehungsarbeit“ nicht sehr einladend klingt. Das ist auch all den Experten bewusst, die sich täglich mit Partnerschaften beschäftigen. Dennoch müssen sie dafür sensibilisieren. „Für alles, was uns im Leben wichtig ist, tun wir viel. Job, Gesundheit, Wohnen. Aber bei Paarbeziehungen glauben wir oft, die laufen einfach mit und funktionieren. Ich habe sehr erfolgreiche Unternehmer als Klienten, die ich immer frage, wie viele Stunden sie am Tag mit ihrem Business verbringen und wie viel Zeit sie wirklich intensiv und fokussiert in ihrer Beziehung verbringen“, sagt der Beziehungscoach Borde. Die Antworten seien oft erschreckend.
„Deshalb leben die meisten Menschen in Beziehungen, die von einem Wechsel glücklicher Zufälle und permanentem Ausweichen geprägt sind“, erklärt Borde, der bereits tausende Beratungsstunden für Paare abgehalten hat.
Aus zahlreichen, sehr intimen Gesprächen mit Menschen in ganz unterschiedlichen Liebessituationen, die ich in meinem neu erschienenen Buch „Sie sagt, er sagt“ porträtiert habe, lesen Sie hier vier ausgewählte Beispiele.
"Jeden Tag, wenn er in der Arbeit ist, schreibt er mir“
Gabriela (34) und Michael (34):
Liebevoll, einfühlsam, hilfsbereit“, antwortet Michael auf meine Aufforderung, er solle seine Freundin Gabriela doch bitte beschreiben. Dann folgt ein lautes Räuspern und ein „manchmal mühsam“ kommt aus seinem Mund. Daraufhin gibt sie ihm einen Klaps auf den Hinterkopf und sie kichern los. „Wir sind beide starke Dickköpfe. Wir haben viele Reibungspunkte, bei uns kann es schon sehr explosiv zugehen.“ Gabriela nickt. „Das hört sich jetzt blöd an, aber mir taugt das extrem. Denn bei den wichtigen Dingen, da ticken wir gleich. Und durch die Diskussionen und Streitereien bekomme ich immer wieder eine andere Sichtweise, daher empfinde ich das insgesamt als bereichernd für mein Leben“, sagt Michael.
„Ich finde wirklich, wir haben uns über die Jahre schön zusammengestritten, eine bessere Streitkultur entwickelt. Das war im ersten Jahr anders als jetzt. Am Anfang war keiner von uns bereit nachzugeben. Heute sind wir da nicht mehr so bockig“, ergänzt der 34-jährige stark tätowierte Mann, der 192 cm groß ist und in seiner Freizeit nichts mehr liebt als das Kochen.
Tausende NachrichtenEine eigene Familie gründen, ein Haus im Burgenland, gemeinsam feines Essen kochen, viel Schmäh und den einen oder anderen alkoholgeschwängerten Abend. Das sei so ziemlich die Idealvorstellung eines schönen Lebens – und die teilen der Michl und die Gabi, wie Freunde und Familie die beiden nennen. Sie finden sich vor vier Jahren auf der Dating-Plattform FriendScout24. In den ersten drei Tagen tauschen sie fast 4.000 Nachrichten aus. Nach kurzer Zeit folgt das erste Date. „Er hat zehn Minuten vor der ausgemachten Zeit angerufen und gesagt, dass er sich etwas verspätet. Das hat mir sehr imponiert. Das macht heute noch kaum einer.“
Gabriela und Michael mögen das klassische Bilderbuchbeziehungsleben. „Ich bin in manchen Dingen wirklich extrem unfähig. Ich bin sehr technisch und pragmatisch. Sie ist sehr emotional und dadurch profitieren wir extrem voneinander. Unser Vorteil gegenüber anderen Beziehungen ist, dass wir uns unserer Stärken und Schwächen bewusst sind“, sagt Michael ernst. Am meisten liebt er den gemeinsamen Alltag.
Durch seinen anstrengenden Job als Programmierer bekommt er manchmal am Ende des Tages kaum noch einen geraden Satz heraus. Gabriela erzählt von einem Beziehungsritual, das sie allerdings nie eingefordert hat. „Jeden Tag, wenn er in der Arbeit angekommen ist, schreibt er mir. Und wenn er heimfährt, ruft er immer an. Wirklich. Jeden Tag ist das so. Auch wenn er total fertig ist, wie er gerade beschrieben hat. Danach geht es ihm immer besser.“
"An keinem Tag getrennt von ihm!"
Gerhard (46) und Helmut (46):
Idyllisch, aber erzkonservativ. So lässt sich das kleine niederösterreichische Dorf im Jahr 1992 wohl am besten beschreiben. Die Jüngeren helfen in der Pfarre mit, die Ortschaft ist äußerst bäuerlich geprägt. Die Frauen stehen in den Schürzen vor dem Herd. Die Männer gehen der Arbeit in der Landwirtschaft nach. Die Kinder wachsen sehr behütet auf und haben großen Respekt vor den Lehrern der hiesigen Schule. Auch Gerhards Mutter steht jeden Tag in der Schürze vor dem Herd.
Besonders gerne kocht sie ihrem „Buam“ ein Gulasch. Als Gerhard und der vermeintlich platonisch befreundete Helmut ihr schließlich sagen, dass sie eine Liebesbeziehung führen, hört sie drei Tage nicht auf zu weinen. Auch der Rest der Familie ist schockiert und entsetzt. Heute, fast 27 Jahre später, hat sich die Lage beruhigt, und die beiden führen eine glückliche Beziehung, leben allerdings mittlerweile in Wien. Sie achten besonders darauf, dass ihre gemeinsame Qualitätszeit und ihre Gespräche nicht zu kurz kommen. Den Freundeskreis haben sie schon vor vielen Jahren ausgemustert und auf jene Menschen beschränkt, bei denen sie sich wirklich wohl fühlen.
Gerhard und Helmut haben eine gemeinsame Leidenschaft: das Reisen. Die Wohnung ist voll von Erinnerungsfotos. „Wir sind sehr viel unterwegs. Früher war das sicher auch ein bisschen eine Flucht, um für uns alleine zu sein und dem Alltag zu entkommen“, sagt Helmut. In den 27 Jahren, seit sie sein Paar sind, habe es kein einziges Mal einen Streit gegeben, bei dem sie an eine Trennung gedacht hätten.
„Unsere gegenseitige Anziehung ist heute noch stärker als früher. Bei uns gibt es das nicht, dass der eine etwas ohne den anderen unternimmt. Aber nicht, weil wir das nicht dürfen, sondern weil wir gar keine Lust haben, etwas ohne einander zu machen“, sagt Gerhard. Freilich werde nicht mehr jede Minute aufgeregt miteinander geplaudert. „Die Schmetterlinge sind nicht mehr da“, sagt Helmut. Man kenne einander besser, was es aber insgesamt einfacher mache. „Und ich bin froh, dass er meine Kochkünste heute mehr zu schätzen weiß als zu Beginn“, sagt Helmut schmunzelnd. „Mein erstes Gulasch hat ihm überhaupt nicht geschmeckt!“
„Ich vergleiche da immer mit dem Gulasch von der Mami“, sagt Gerhard und lacht, ohne dass ihm das Gesagte unangenehm wäre.
„Daraufhin hab ich den Teller mit dem Gulasch genommen und in den Müll geworfen. Das Nächste hat ihm dann geschmeckt“, sagt Helmut.
Die beiden schauen sich an und schicken einander ein Luftbussi. Gerhard wird jetzt doch ein bisschen rot im Gesicht.
„Unsere Beziehung? Gemeinsame Beschäftigungen!“
Christine (38) und Martin (40):
Was sich Christine und Martin im Gegensatz zu manch anderen Paaren ersparen, sind Streitereien über Dinge, die Beziehungen heute sogar zum Scheitern bringen können: Diskussionen über das Verhalten in den Sozialen Medien. Mit wem schreibst du? Warum hast du dieses Foto geliked? Warum warst du online und antwortest nicht? Warum bist du noch mit deinem Ex befreundet? Wieso hast du diese Freundschaftsanfrage angenommen?
All das ersparen sich Christine und Martin. Er will von dem ganzen „Schmafu“ nichts wissen, hat in seinem bisherigen Leben kein einziges Profil angelegt. Christine nutzt Facebook für das Notwendigste und ist nur ganz selten online. „Außerdem telefonieren wir immer, wir schreiben nie.“
Ehrlichkeit ist beiden ganz besonders wichtig. „Und Fleiß ist eine Sache, die bei uns ganz stark hinzukommt. Wir haben einen permanenten Antrieb, gemeinsam etwas anzupacken, etwas besser oder schöner zu machen. Unsere Beziehung besteht aus vielen gemeinsamen Beschäftigungen. Da ticken wir ähnlich, ich kann von ihm viel lernen und er von mir ebenso.“ Zum Beispiel Fliesenlegen. Das hat Christine im neuen Haus nämlich selbst gemacht.
In den letzten Jahren gab es beruflich sowie krankheitsbedingt einige längere Phasen, in denen beide viel Zeit zu Hause verbringen mussten. „Freunde dachten wohl, wir hätten den Lagerkoller und wir sitzen auf einem Pulverfass. Und ich sage, ja, manchmal explodieren wir, aber dann ist es auch wieder gut und der Alltag geht weiter.“ Christine sagt, das Leben bestehe aus Alltag und daher müsse der reibungslos laufen.
Natürlich glaubt Christine an die lang andauernde Liebe. „Das ist das Ziel, irgendwann mit Martin in einer Finca auf Teneriffa.“ Sie sitze aber definitiv nicht herum und denke sich: Passt, ich hab jetzt einen Mann, Sache geritzt. „Eine Beziehung muss genauso wie eine Freundschaft gepflegt werden.“ Sie lege generell keinen Wert auf oberflächliche oder kurzlebige, wenig tiefgehende Verbindungen in ihrem Leben. Egal, ob beim Partner oder bei Freunden.
Christine wollte eigentlich nie aufs Land ziehen. Sie ist eine typische Wienerin. Hat das Stadtleben und all die Möglichkeiten immer sehr zu schätzen gewusst. „Plötzlich aber habe ich die Vorteile gesehen. Martin hat mir das schmackhaft gemacht. Es ist ein entspanntes Leben. Ich öffne die Türe und stehe im Garten im Grünen. Aber klar, ich bekomme natürlich immer noch Panik, wenn ich eine Spinne sehe, da brauch’ ma gar nicht reden.“
„Kein Blatt passt zwischen uns“
Maria (94) und Herbert (95):
Ein Gespräch mit Hebert und Maria ist auch ein Gespräch über bombardierte Kirchen, im Krieg gefallene Brüder, über Stalingrad, das Knabenseminar und zerrissene Familien – und über verlorene Freundeskreise. Doch nach dem Krieg, da haben einige von ihnen wieder zusammengefunden. Vor allem in der Kirche. „Das war insgesamt keine schöne Zeit. Da wurde uns praktisch die Jugend genommen“, sagt Herbert. Maria nickt.
Um nicht in negative Erinnerungen zu verfallen, erzählen sie sofort von ihrem geliebten Sohn weiter. Die beiden sind sehr stolz darauf, dass es ihnen im hohen Alter noch körperlich so gut geht. „Steh auf, zeig es der Dame!“ Herbert drückt sich aus dem Stuhl und steht nun etwas unsicher auf beiden Beinen. Lässig kickt er den Sessel mit einem Bein nach hinten, damit er mehr Platz hat. Er macht drei Schritte und tänzelt dabei sogar leicht umher. „Den Rollator bin ich los!“, sagt er glücklich.
„Unsere Beziehung war immer gut. Wir haben uns immer gut vertragen. Wir waren uns immer einig in unseren Entscheidungen. Ich konnte mich immer drauf verlassen, dass nie etwas daneben laufen wird. Wir gehen durch dick und dünn gemeinsam. Wir haben immer zusammengehalten. Zwischen uns passt kein Blatt Papier“, sagt Maria und schaut ihren Herbert liebevoll an. „Unsere Grundlage ist die gegenseitige Achtung und das Vertrauen. Ich bin mir hundertprozentig sicher, dass meine Frau nicht über den Zaun zum Nachbar schaut. Ich habe ihr Treue geschworen und das ist für mich bindend“, sagt Herbert als wäre es das Selbstverständlichste der Welt.
Würden die Menschen die zehn Gebote befolgen, hätten sie so manches Problem nicht, ist er sicher. „Der Egoismus ist so groß geworden bei den Jungen“, sagt Herbert und klingt dabei besorgt. Religion sei eine wichtige Grundlage für die Beziehung. „Auch die politische Einstellung muss stimmen“, sagt Maria. Und überhaupt: „Eine Familie ist eine Familie. Und auf niemanden kann man sich so verlassen wie auf die eigene Familie.“
Ich besuche die beiden im Pflegewohnhaus Simmering, wo sie mittlerweile ein Doppelzimmer bezogen haben. „Der Aufenthalt ist nur vorübergehend“, sagt Herbert und grinst.
Kommentare