Warum der Mensch das Spiel braucht

Warum der Mensch das Spiel braucht
Zwei Forscher fordern die Rettung des Spiels. Es mache den Menschen erst aus.

Wir spielen, um Potenziale zu entfalten. Wir spielen, um lebendig zu sein. Und am wichtigsten: Wir spielen ohne Ziel.
Das macht das Spiel zu einer wichtigen Grundlage des Menschseins. Das Tun des Homo faber (der handwerkliche Mensch) dient ebenso einem Zweck wie das Denken des Homo sapiens (der denkende Mensch). Nur das Spielen des Homo ludens (der spielende Mensch) dient ausschließlich dem Selbstzweck. Das macht uns zum Menschen. Daher sei das Spiel als Kulturgut unbedingt zu retten, fordern Hirnforscher Gerald Hüther und Philosoph Christoph Quarch in ihrem neuen Buch mit selbem Titel. Ganz besonders deswegen, weil das „schöne Spiel“ durch zunehmende Kommerzialisierung und suchterzeugende Online-Spiele gefährdet ist. Verschwindet es ganz, prognostizieren die Autoren eine Zukunft als „technische Transhumanisten“.

KURIER: „Der Homo oeconomicus sucht den Gewinn, der Homo ludens will gewinnen“, schreiben Sie. Ist Gewinnen denn böse?

Christoph Quarch: Gewinnen ist nicht böse, aber wer nur spielt – etwa am Automaten oder im Casino –, um seinen Gewinn einzustreichen, der betrügt sich um den Zauber des Spielens: etwas zu tun, das sich selbst genügt und auch dann sinnvoll und kostbar ist, wenn man verliert. Der Homo ludens weiß das. Er spielt, weil er spielen möchte. Der Sinn des Spiels erfüllt sich auch in der Niederlage, sofern es ein gutes Spiel war. Anders kann ich mir nicht erklären, dass ich in meiner Zeit als aktiver Fußballer auch dann noch sonntags um 9 Uhr auf dem Platz stand, als wir in einer Saison von 30 Spielen 28 verloren haben.

Spielen Sie selbst noch „wirklich“ in Leben und Beruf?

Warum der Mensch das Spiel braucht
Christoph Quarch, Buchcover "Rettet das Spiel", Hanser Verlag, © Nomi Baumgartl Im Zusammenhang mit den Büchern und Veranstaltungen von Christoph Quarch darf dieses Foto honorarfrei verwendet werden.
Quarch:Ich spiele sehr viel. Denn bei Lichte gesehen ist meine Profession, die Philosophie, ein Spiel – ein Durchspielen von Gedanken, ein Erproben geistiger Spielzüge. Das gelingt umso besser, je freier ich dabei von ökonomischen Zwängen bin. Müsste ich philosophieren, um Geld zu verdienen, würde mein Denken nach und nach korrumpiert werden. Und es hilft, den spielerischen Geist zu pflegen: mit den Kindern oder beim Kartenspiel mit Freunden.

Gerald Hüther: Spielen heißt, den Raum des zweckmäßigen und zielgerichteten Handelns zu verlassen und auszuprobieren, was außer dem, was man normalerweise tut, auch noch alles möglich ist. Das versuche ich jeden Tag. Sonst wäre mein Leben furchtbar langweilig.

Sie beide sind um den Fortbestand unserer Kultur und des Spiels besorgt. Wie ist es denn zu retten?

Hüther: Wir Menschen bemerken leider oft erst dann, dass wir etwas dringend für unser Glück brauchen, wenn es uns abhanden gekommen ist. Das Buch ist ein Weckruf, der die Leser erinnern soll, wie bedeutsam das spielerische Entdecken und Gestalten für uns ist.

Quarch: Mir scheint wichtig, in allen Bereichen der Gesellschaft mehr Spielräume einzurichten, um so den Geist und die innere Haltung des Homo ludens zu kultivieren. Ebenso ist es wichtig, den Geist des Spiels dort zu profilieren, wo öffentlich und im großen Stil gespielt wird, also etwa bei Olympia, im Profifußball oder beim Eurovision Song Contest. Es ist eine Bildungsaufgabe, die nur eine Gesellschaft im Ganzen bewältigen kann.

In dieser Gesellschaft können „breakthrough innovations“ nur ohne Wettbewerbsdruck entstehen, behaupten Sie im Buch.

Hüther: Manchmal gelangen Menschen zu einer Einsicht, die ihr Selbst- und Weltbild in Frage stellt und sie dazu bringt, ihr Leben tief greifend und nachhaltig zu ändern. Das kann zum Beispiel durch eine Begegnung mit einem Menschen aus einem anderen Kulturkreis ausgelöst werden.

Quarch: Breakthrough innovations sind solche, die einen radikalen Wandel bedeuten, bei denen man nicht innerhalb eines Stockwerks nur die Möbel verschiebt, sondern eine Etage höher oder in ein anderes Haus umzieht. Bei denen man sich nicht einfach innerhalb seines bestehenden Selbstbildes munter weiter optimiert, sondern einen echten Auf- und Ausbruch wagt.

Ist die Zeit der großen Auf- und Ausbrüche nicht vorbei? Leben wir nicht in der Ära der Spezialisierung? Da überrascht übrigens eine Stelle im Buch: „Wirkliche Weiterentwicklung erfordert etwas anderes als die fortwährende Auslese derjenigen, die irgendetwas am besten können.“

Quarch: Vor aller Expertise brauchen wir die Kompetenz, Sinn zu Vor aller Expertise brauchen wir die Kompetenz, Sinn zu stiften, Wissen auf sinnvolle Weise anzuwenden, Sprache so zu verwenden, dass man sich ausdrücken kann. Kognitiver Wissenserwerb ist zweitrangig. Zukunftsweisend sind geistige Beweglichkeit und Kreativität. Beides lernen wir im Spiel. Die alten Griechen wussten davon. Ihr Ideal war nicht der allwissende Macher, sondern der spielende Weise.

Warum der Mensch das Spiel braucht
Gerald Hüther zu Buchcover "Rettet das Spiel", Hanser Verlag, © Josef Fischnaller, Im Zusammenhang mit den Büchern und Veranstaltungen von Gerald Hüther, darf dieses Foto honorarfrei verwendet werden.
Hüther: Spezialisierung ist per se nicht schlecht. Aber sie kann sehr leicht dazu führen, dass man sich in ein spezielles Nischendasein wie in eine Sackgasse hinein entwickelt. Deshalb ist es so wichtig, dass Spezialisten auf einem Gebiet den Kontakt zu anderen Spezialisten auf anderen Gebieten nicht verlieren. Dass sie ihr Expertenwissen ständig austauschen und miteinander teilen. Sonst bleiben sie isolierte Einzelkämpfer. Eine Möglichkeit, um einander – trotz aller Verschiedenheit – zu begegnen, ist das Spiel.

Spielen wir kurz Apokalypse: Was passiert, wenn das Spiel stirbt?

Hüther: Wenn wir nicht mehr spielen, können wir nur noch funktionieren. Dann hören wir auf, unsere Möglichkeiten zur Gestaltung der Welt spielerisch zu entdecken. Damit werden wir starr und verlieren unsere Entwicklungsfähigkeit. Dann entwickelt sich das Leben um uns herum weiter und wir kommen nicht mehr mit.

Quarch: Die Funktionalisierung aller Lebensbereiche würde weiter zunehmen. Wir werden unsere Menschlichkeit über Bord werfen und uns als Transhumanisten technisch so optimieren, dass wir zu Quasimaschinen degenerieren, die der instrumentellen Vernunft huldigen, dabei aber von allen guten Geistern, vom Geist, verlassen sind. Im Ernst: Ich sehe, dass wir kulturell noch mehr verarmen werden als wir es ohnehin schon tun und zu Funktionsträgern, Nutzern oder Verbrauchern verkümmern.

An dieser Stelle wird meist ein verpflichtendes Schulfach gefordert. Schulfach Spiel?

Quarch: Etwas mehr Spiel würde der Schule gut tun. Wir haben unsere Schulen tatsächlich zu sehr zu reinen Wissensvermittlungsinstituten gemacht und uns damit von Humboldts Ideal einer ganzheitlichen Bildung entfernt. Bei meinen eigenen Kindern sehe ich, dass in unseren Schulen viel gute Arbeit geleistet wird, aber das Spiel kommt zu kurz. Deshalb plädiere ich für die Ganztagsschule, die nachmittags viel Raum für Sport, Spiel und Kultur öffnet und so ein Gegengewicht zum kognitiven Unterricht zulässt.

Hüther: Nicht die Lehrpläne müssten geändert werden, sondern die Art und Weise, wie Lehrer, Schüler und deren Eltern einander begegnen. Unterschiede zwischen Menschen lassen sich nicht durch Machtkämpfe überwinden. Sie verschwinden überall dort, wo Menschen wieder anfangen, sich mit spielerischer Leichtigkeit gemeinsam auf den Weg zu machen, um auszuprobieren, was möglich ist.

Und was ist alles möglich? Schiller sagte: „Spielen soll der Mensch, gewiss, doch soll er nur spielen, dass als Spielergebnis Schönheit herauskommt.“ Ist diese Ästhetik das wirkliche Ziel?

Quarch:Der Zauber des Spiels liegt in einem Paradox: Wenn wir im Spiel sind oder einem Spiel beiwohnen, dann sind wir vom Spielgeschehen und unseren Mitspielern gefesselt – so sehr, dass wir uns darüber selbst vergessen. Zugleich sind wir vollkommen frei darin, Spielzüge zu erproben oder uns auszuprobieren. In diesem Zusammenspiel von Freiheit und Verbindlichkeit gründet die Schönheit eines guten Spiels.

In „Rettet das Spiel“ nähern sich die beiden deutschen Autoren dem Thema von zwei Seiten – Gerald Hüther ist Neurobiologe, Christoph Quarch ist Philosoph. Das Fazit ihrer Betrachtungen: Spiel ist als Kulturtechnik ein Element des Menschseins, ohne das wir zu Maschinen verkommen würden.

Der Forscher und Autor Hüther, geboren 1951, befasst sich wissenschaftlich mit dem Einfluss früher Erfahrungen auf die Hirnentwicklung und plädiert für eine Neuausrichtung der Biologie im 21. Jahrhundert. (www.gerald-huether.de). Sein Mitautor Christoph Quarch, geboren 1964, begleitet Unternehmen, unterrichtet an verschiedenen Hochschulen und veranstaltet philosophische Reisen. (www.christophquarch.de)
Im Buch plädieren sie für die Wiederentdeckung des Spiels für mehr Kreativität und Lebensfreude in Familie, Partnerschaft und Beruf. Die Autoren erinnern an die Wertschätzung des Spiels in früheren Kulturen – und zeigen, welche Spiele dazu angetan sind, Freiräume für Lebensfreude zu öffnen.

Warum der Mensch das Spiel braucht
Buchcover "Rettet das Spiel", Hanser Verlag, Gerald Hüther, Christoph Quarch, honoarfrei bei Nennung
Buchtipp:„Rettet das Spiel! Weil Leben mehr als Funktionieren ist“, Gerald Hüther und Christoph Quarch, Hanser Verlag, 224 S., Preis: 20,60 €. Das Buch erscheint in Österreich am 26. September.

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