Wie Flüchtlinge schnell Deutsch lernen

Willige Schüler, engagierte Lehrer: So klappt es mit der neuen Sprache ganz schnell. Baqir, Stephanie Schmid, Raffalea Bartik, Asgharo, Elisabeth Höttinger und Hamayat
In Klosterneuburg haben Freiwillige ein Konzept entwickelt, um Asylbewerbern die neue Sprache zu vermitteln. Mit Erfolg.

Der schwierigste deutsche Buchstabe? Für den 18-jährigen Hamayat aus Afghanistan ist es das "Ö" – schon so oft hat er geübt, es auszusprechen, doch ganz leicht fällt es ihm immer noch nicht. Auch "ch" muss seine Kehle noch trainieren. Aber er ist auf einem guten Weg.

Hamayat ist einer von rund 80 Flüchtlingen, die im Übergangslager in der Klosterneuburger Kaserne leben und dort regelmäßig einen Deutschkurs besuchen. Organisiert wird dieser ausschließlich von Ehrenamtlichen wie Stephanie Schmid: "Wir sind rund hundert Freiwillige, die ein bis vier Mal in der Woche Deutsch-Unterricht geben. 30 von uns sind sehr aktiv, andere können nur sporadisch helfen, schließlich haben wir ja noch einen Beruf."

Das Ziel, das die Helfer damit verfolgen, ist klar: "Die Flüchtlinge sollen möglichst schnell Deutsch lernen. Denn die Sprache ist der erste Schritt zur Integration. Wenn sie es hier schon lernen, haben sie einen Startvorteil." Die drei Burschen wollen ihre Ziele möglichst schnell erreichen. Hamayat will Apotheker werden, Asgharo, 17, aus Pakistan würde gerne eine Elektrikerlehre machen und Baqir, 17, ebenfalls aus Afghanistan, träumt davon, einmal Polizist zu sein.

Schwierige Artikel

Auf Baqir sind seine Lehrerinnen sehr stolz: Er ist erst sechs Monate in Österreich und spricht schon sehr gut Deutsch: Mit den Artikeln und den Fällen in der deutschen Grammatik hadert er zwar noch – aber auch das wird er schaffen.

Wie Flüchtlinge schnell Deutsch lernen
Flüchtlinge bekommen DEUTSCH-Unterricht, Freiwillige in Klosterneuburg
Die ersten Kurse liefen etwas chaotisch ab, erinnert sich Schmid: "Menschen mit unterschiedlichen Sprachniveaus saßen an einem Tisch, was sowohl für die Anfänger als auch für die Fortgeschrittenen anstrengend war. Deshalb teilen wir die Schülerinnen und Schüler jetzt in Gruppen mit ähnlichen Leistungsniveaus auf. Auf jedem Tisch steht jetzt ein Kärtchen, sodass Lehrer und Schüler wissen, wo sie mit den Übungen weitermachten müssen." Da gibt es diejenigen, die noch gar nicht alphabetisiert sind oder nur arabische, aber keine lateinischen Schriftzeichen beherrschen: "Sie müssen zuerst das Lesen und Schreiben lernen."

Wochentage

Wer so weit ist, darf in die "Level 1"-Gruppe. "Da üben wir kleine Sätze, die die Flüchtlinge am dringendsten brauchen: Begrüßungsformeln, Wochentage, Uhrzeit, Farben und das Buchstabieralphabet." Warum das ausgerechnet am Anfang trainiert wird, erklärt Schmid so: "Die Menschen sollen möglichst schnell formularfit gemacht werden. Sie müssen ja oft Daten angeben, Termine vereinbaren und den eigenen Namen buchstabieren können." Die Kommunikation ist nicht immer einfach, denn nicht alle Flüchtlinge sprechen Englisch: "Aber meist ist einer dabei und der übersetzt dann den anderen", erzählt Baqir. Wer Englisch kann, ist auch sonst im Vorteil – schließlich ist es mit der deutschen Sprache verwandt.

Wie Flüchtlinge schnell Deutsch lernen
Die ehrenamtlichen Deutschlehrer haben aus eigenen Überlegungen spezielle Lernunterlagen zusammengestellt: "Es gibt zwar arabische Lehrbücher. Doch die bilden meist nicht die Welt ab, in der die Flüchtlinge leben", sagt Stephanie Schmid und nennt ein Beispiel: "Wie man in einem Restaurant Essen bestellt, ist wirklich zweitrangig."

Wer die erste Hürde geschafft hat, kommt in die 2. Stufe und lernt Verben. Hierfür hat sich Grafikerin Raffaela Bartik besonders viel Arbeit gemacht. Mehr als hundert Verben hat sie grafisch dargestellt: "So hat man sofort ein Bild dazu im Kopf und kann sich das Wort besser merken."

Wissbegierig

Weil Baqir und seine Freunde so wissbegierig sind, haben die freiwilligen Lehrer noch weitere Kapitel überlegt. Im 3. Level werden Fälle und Zeiten trainiert, im vierten Level wird es noch herausfordernder – der Satzbau wird trainiert.

Schmid hat die Unterlagen zum Gratisdownload ins Netz gestellt: "Jeder soll sie nutzen können." Die "Schulbuchautorinnen" haben sich viel überlegt: "Wir achten auch darauf, dass wir möglichst wenig Farben verwenden. So ist das Kopieren einfacher. Und die Bilder haben wir in Quadraten gezeichnet, dass man daraus ein Memoryspiel oder Karteikarten machen kann", sagt Grafikerin Bartik.

Ans Herz gewachsen

Natürlich sitzen die Flüchtlinge und ihre Lehrerinnen oft Stunden beieinander . Das schweißt zusammen, so sehr, dass Elisabeth Höttinger über einige sagt: „Sie sind mir richtig ans Herz gewachsen.“ Mit Baqir, Hamayat und Asgharo redet sie so wie mit ihrem Sohn – über Politik, Religion und über österreichische Gewohnheiten. Etwa über das Mülltrennen, das viele aus ihren Ländern nicht kennen. Dass man seinen Geburtstag feiert, haben die Flüchtlinge in Klosterneuburg ebenfalls das erste Mal erlebt.
Erstaunt hat Hamayat auch, dass es in Österreich alleinerziehende Frauen gibt, die ohne Mann und Eltern mit ihrem Kind alleine wohnen. In Afghanistan wäre das nicht möglich: „Dort wohnt eine Frau bei ihrem Mann oder bei ihrer Familie.“

Alle gleichberechtigt

Für Hamayat ist aber mittlerweile selbstverständlich: „In Österreich sind Frauen und Männer gleich.“ Gleiches Recht für alle und die Freiheit zu denken und zu tun, was man will: Das ist es, was den drei Flüchtlingen an Österreich gefällt. „Ich kann mir auch meine Religion selbst aussuchen“, freut sich Baqir.
Seit er in Österreich ist, beschäftigt er sich mit dem Christentum und geht jeden Sonntag in eine Kirche in Wien. Baqir erklärt das so: „Früher sagte man uns, die Christen seien Ungläubige. Dabei sind die Menschen hier so nett zu uns. Wir werden besser behandelt als zu Hause.“
Zum Abschluss möchte Baqir unbedingt noch etwas loswerden: „Bitte schreiben Sie, wie dankbar wir den Menschen in Österreich sind. Deshalb: Danke im Namen aller Flüchtlinge für die Hilfe und Danke für die Unterstützung bei der Integration in die Gesellschaft.“

Der Österreichische Integrationsfonds bietet ebenfalls gratis Angebote an. So z. B. „Treffpunkt Deutsch“ als Vorbereitung oder Begleitung zu Deutschkursen. Rund 100 Kurse für Anfänger wird es 2015 geben. Der ÖIF bringt dafür Ehrenamtliche und Zuwanderer zusammen und stellt Räume in Integrationszentren zur Verfügung. Online-Lernplattform Auf www.sprachportal.at bietet der ÖIF kostenlose Lernmaterialen, Übungsvideos und Lernpodcasts zum Herunterladen und selbstständigen Lernen. Neben Deutsch, Englisch, Französisch, Türkisch, BKS, Polnisch, Rumänisch und Ungarisch gibt es den Kurs auch auf Arabisch. Das Portal wurde heuer 750.000-mal aufgerufen.

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