Völkerball: Ist das Spiel zu gemein für den Turnunterricht?

Völkerball: Ist das Spiel zu gemein für den Turnunterricht?
Die Diskussion um den Ballsport-Klassiker wirft die Frage auf, was in der Schule angemessen ist

Ein Schuss, ein Treffer – einer ist raus: So wird Völkerball seit Generationen in der Schule gespielt. Ein Spiel wie alle anderen? Oder „legalisiertes Mobbing“, wie die kanadische Bildungswissenschafterin Joy Butler urteilt?

Nun. Der Ursprung des Spiels ist ja ein kriegerischer (siehe unten). Das Schlachtfeld wird im Turnsaal nachgeahmt. Aber soll man es deshalb verbieten? „Auf keinen Fall“, meint Direktor Michel Fleck aus der AHS Anton-Krieger-Gasse. „In meinem Turnunterricht haben sich die Kinder das immer ausgesucht. Es ist verbindender als andere Spiele. Beim Fußball oder Basketball gibt es immer ein paar Vereinsspieler, die viel besser sind als die anderen. Hier können sich alle gleich austoben. Und wer dem Ball ausweichen will, bleibt weiter hinten.“ Dieser Ansicht sind auch drei Viertel der KURIER-Leser, wie eine Online-Umfrage zeigt.

Doch viele Erwachsene erinnern sich mit Schrecken an das Spiel und daran, wie demütigend das Auswählen des Teams war. So wurde vielen die Lust auf Sport vermiest – für das ganze Leben. „Die Gruppen muss man anders einteilen, denn nicht gewählt zu werden ist demütigend“, stimmt Fleck zu.

Auch Sabine Rupar, Sportlehrerin an der NMS Steinbrechergasse in Wien, macht sich Gedanken darüber, was Kinder brauchen. Das Motto in ihrer Stunde: „Jede Sportart ist erlaubt – Hauptsache, die Kinder bewegen sich.“ Basketball, Seilspringen oder Abfangen – auch Völkerball wird gespielt. „Das sieht im Turnsaal chaotisch aus, und manche befürchten, dass sich dabei jemand verletzt. Doch es ist ein kontrolliertes Chaos.“

Sportliche Schüler sollen dabei ebenso gefördert werden wie Bewegungsmuffel. „Auch die finden Freude an manchen Sportarten“, weiß sie aus Erfahrung. Sie benotet vor allem die Anstrengung, nicht das Ergebnis.

Auch Harald Steinbichler will Kinder beweglich machen. Bei „Sportanalytik“-Workshops suchen seine Experten die passende Sportart für jedes Kind. Was der Projekt-Initiator beobachtet: „Es ist erschreckend, wie sich die motorischen Fähigkeiten verschlechtern. Viele Kinder können nicht Rückwärtslaufen oder Purzelbäume schlagen.“

Er erklärt sich das so: „Unsere Gesellschaft tendiert dazu, dass man sich nicht aus seiner Komfortzone herausbewegt. Und deswegen die Kinder nicht herausfordert, etwas Neues auszuprobieren. Doch da würden sie vielleicht merken, dass sie gar nicht so gut sind und die anderen etwas besser können.“ Jeder habe andere Talente.

Diese hilft er bei Workshops herauszufinden, indem er fünf passende von 60 Sportarten vorschlägt: „Wenn Kinder merken, dass sie etwas gut können, macht es ihnen auch Spaß.“ Es sei eine Persönlichkeitsfrage, ob Kinder sich eher für einen Teamsport wie Hockey oder einen Einzelsport wie Schwimmen interessieren.

schau LEBEN - Sportanalytik

Nicht heruntermachen

Doch im Unterricht und in der Nachmittagsbetreuung wird darauf selten Rücksicht genommen, wie Eltern berichten: Wer in der Freizeit nicht im Fußballverein spielt, wird von anderen Schülern beim Sport ausgegrenzt. Und dann gibt es noch Sportarten, die von manchen geliebt, anderen gehasst werden – Völkerball eben oder auch Geräteturnen. Und Laufen: Seit dieses in der Schule so eine große Bedeutung bekommen hat, schnauft immer jemand hinterher.

Steinbichler: „Da sind die Lehrer gefordert. Sie müssen darauf achten, dass Kinder nicht von anderen heruntergemacht werden.“ Bei Komplexerem wie Seilklettern plädiert er für Zwischenziele: „Da kann man drei Knoten machen, damit jeder ein Erfolgserlebnis hat.“

Es sei die Verantwortung der Pädagogen, unterschiedliche Sportarten anzubieten – auch Tanzen, Yoga oder Cricket. Denn das Schlimmste sei: „Wenn Kinder meinen, sie sind unsportlich – und sich in die Komfortzone zurückziehen.“

Geschichte des Völkerball: Schlachtfeld im Turnsaal

Völkerball ist eigentlich ein rituelles  Kriegsspiel, das schon seit Jahrhunderten gespielt wird:  Die  Idee:  Zwei Völker stehen sich im Vernichtungskrieg gegenüber. Noch bei „Turnvater“ Friedrich Ludwig Jahn (1778–1852) hat das  sogenannte Turnspiel einen wehrertüchtigenden Charakter.

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