Lache, wenn dir zum Weinen ist

Lache, wenn dir zum Weinen ist
Für viele steht die Welt am Abgrund. Humor macht das Gefühl erträglich. Und kann uns retten, glauben zwei Clowndoctors.

Es gibt nichts zu lachen. Vielleicht ist das nur das Gefühl vieler Einzelner, aber die Zeiten scheinen wirklich traurig. Viele Arbeitslose, hohe Scheidungsraten, Staatsbankrotts. Und Flüchtlinge mit allertraurigsten Geschichten, denen in Europa Kommentare aus dem Facebuch des Grauens entgegenschlagen.

Das alles ist so traurig.

Lache, wenn dir zum Weinen ist
Rote Nasen, Clowndoctors, Fotografiert für Mein Sonntag: Lachen, Clowndoktor Clownin Martina Haslhofer
Die Clowninnen und Clowns der Roten Nasen treten gegen Traurigkeit mit Humor an. Auf Kinderkrebsstationen, in Seniorenpflegeheimen oder aktuell auf Bahnhöfen zur Flüchtlingsbetreuung. Dieser Tage erschien ihr Buch "Kleine Wunder – Erlebte Geschichten zum Lachen und Nachdenken"(hier eine Leseprobe daraus). Es ist ein tränentreibendes Plädoyer für Humor als Bollwerk gegen persönliches Leid und Weltschmerz.

Die studierte Sozialarbeiterin Martina Haslhofer ist seit 20 Jahren als "Rosa" im Dienst. Gemeinsam mit Rote Nasen-Mitgründer Giora Seeliger reflektiert sie im KURIER-Gespräch, ob Humor Grenzen kennt, das Lachen in Europa abnimmt und Traurigsein eine Krankheit ist.

KURIER: Den Menschen vergeht zunehmend das Lachen, von Krise und Jobverlust bis zu toten Flüchtlingen und grausigen Reaktionen darauf. Hat Humor auf der Welt Platz?

Martina Haslhofer: Gegenfrage: Brauchen wir nicht jetzt besonders den positiven Humor als Gegengewicht? Er ist eine wichtige Ressource, Viktor Frankl nannte Humor die "Trotzmacht des Geistes gegen Widrigkeiten". Und gerade in schwierigen Zeiten ist Humorkultur oft aufgeblüht. Manche Dinge machen mir keine Angst mehr, wenn ich sie mit Humor nehme.

Giora Seeliger: Wer lacht denn und wer nicht? Die Flüchtlinge sehen wir sehr stark lachen, wenn sie in Sicherheit sind. Aber diejenigen, die Ängste haben, dass sie etwas verlieren, dass ihnen etwas genommen wird, die lachen nicht.

Vielleicht hat Humor nur in Europa keinen Platz mehr?

Lache, wenn dir zum Weinen ist
Rote Nasen, Clowndoctors, Fotografiert für Mein Sonntag: Lachen, Clowndoktor Clown und Rote Nasen-Gründer Giora Seeliger
Haslhofer: Die Bereitschaft für Humor ist sehr individuell. Und hängt kaum mit dem Erlebten zusammen. Es gibt Menschen, die von außen betrachtet allen Grund zum Lachen haben, es aber nicht tun. Umgekehrt welche mit schlimmen Erlebnissen, auch aus der Kriegsgeneration, die sich immer wieder amüsieren können. Weil sie Humor als Ressource erkennen. Es tut jedem gut, mehr Dinge im Leben mit Humor zu nehmen.

Seeliger: Vielleicht kommt uns in Europa das Einfache abhanden. Mit dem Mehr an Leistung, dem Mehr an Erfolg, dem Mehr an Haben verlieren wir die Freude am Einfachen und das Gefühl für die Zeit, für das Zusammensein mit Freunden. Humor entsteht ja nicht allein, sondern mit Menschen.

Haslhofer: Jeglicher Stress und die Einhaltung von Normen machen es schwierig. Wir Clowns leben ja davon, dass Scheitern positiv ist. Das Stehen außerhalb des Systems und der Normen ist uns in Europa wirklich ein bisschen abhanden gekommen.

Seeliger: Prinzipiell sind Ehrgeiz und Humor keine Feinde. Wichtig ist der Blick für die Relation und das Spielerische. Gewinnenwollen ist nicht schlimm. Aber der Preis, den man dafür zu zahlen bereit ist, ist es oft.

Kann Migration zur Linderung dieser "Volkskrankheit Nicht-Lachen" beitragen? Bringen uns fremde Völker das Feiern und Lachen zurück?

Seeliger: Vielleicht das Lachen über einfache Dinge. Aber man muss bei solchen Generalisierungen vorsichtig sein. Wir kennen oft den Teil des Lebens nicht, wo diese Menschen nicht lachen, zum Beispiel in strengen Familien. Grundsätzlich können wir uns immer das Positive voneinander abschauen.

Haslhofer: Humor gibt es überall, auch in Europa wird wahnsinnig viel gelacht. Nur liegt der Fokus hier sicher öfter darauf, was schlecht ist. Man könnte sich mehr dem hinwenden, was alles gut ist. Ich konnte bei meiner Arbeit aber nie einen Unterschied zwischen Migranten und sogenannten Original-Österreichern erkennen. Was wir sicher lernen können: In manchen Kulturen ist es eine Schande, wenn niemand bei einem Kranken sitzt. Während sich bei uns viele betreten vor Krankenbesuchen drücken.

Lache, wenn dir zum Weinen ist
Rote Nasen, Clowndoctors, Fotografiert für Mein Sonntag: Lachen, Clowndoktor Clownin Martina Haslhofer
Weil viele nicht wissen, wie sie sich dem Kranken nähern sollen, schon gar nicht fröhlich. Sie als Rote-Nasen-Clowns konfrontieren kranke Kinder oder Alte mit Humor.

Seeliger: Wir sind Berührungskünstler, wollen die Menschen berühren. Nicht nur die Tränendrüse, es geht nicht nur um Lachen, aber das ist in jedem Menschen vorhanden. Wir erinnern in der ganzen Traurigkeit nur, dass es auch noch Humor und Lachen gibt. Und dieses Durchatmen, diese Pause in der Traurigkeit, führt oft dazu, dass man über das Problem wieder besser reden kann und offener darauf blickt.

Haslhofer: Die Wirkung von Humor ist wahnsinnig gesund: Stressabbau, der Mensch öffnet sich, Ablenkung von der Schwere bis zum Perspektivenwechsel. Ich arbeite auch mit alten Menschen im Rollstuhl, und wenn ich im Ballkleid komme, um zu tanzen, sagen sie oft: Ich kann nix mehr. Clownin Rosa sagt darauf: Egal, ich bin eh müde, wir tanzen Sitzwalzer. Und dann kommt Fantasie, bei geschlossenen Augen, aber am Ende haben die Menschen das Gefühl ‚Ich hab’ wirklich getanzt‘ und fühlen sich jung. Das ist eine Art von Humor.

Seeliger: Wir wissen, dass das Lachen vom Kind zum Erwachsenen zum Alten abnimmt. Das sollte nicht so sein. Auch im Alter sollen wir den Abstand zu uns selber und zu uns im Rollstuhl finden. Damit werden die Kräfte des Jungseins reaktiviert.

Ist es besser, glücklich krank zu sein als unglücklich gesund?

Seeliger: Ja schon, aber das gilt nicht nur beim Damoklesschwert des Krankseins. Nehmen wir jegliche Unperfektheit in unserem Leben – sie mit Humor zu nehmen, macht das Leben besser. Und wer nicht mehr lachen kann, weil er psychisch so angegriffen ist, ist auch krank. Es ist vielleicht eine gewagte These, aber man muss das als Krankheitsbild anschauen. Manchmal finden unsere Clowns zu solchen Menschen einen Zugang, das kann ein Weg sein. Wir sind außerhalb des Systems. Und im Krankenhaus die Einzigen, die von den Patienten nichts wollen. Ein Lachen, ein Staunen, ein Berührtsein, das genügt manchmal völlig.

Haslhofer: Und wenn es uns nicht gelingt, den Patienten zu erreichen, wenn kein Lachen kommt, habe ich meistens das Gefühl, wir waren nicht offen genug. Das gilt auch im Privaten: Wenn man nicht offen ist, baut man keine Antennen auf.

Das Buch ist voller berührender Geschichten. Ihr Kollege Gary Edwards schreibt aber auch: "Ich werde mich nie daran gewöhnen, Kinder-Patienten zu verlieren. Was für eine Verschwendung, was für ein Verlust von Träumen und Talenten. Ich kann mir nichts Traurigeres vorstellen."

Lache, wenn dir zum Weinen ist
Clownin "Rosa" Martina Haslhofer bei ihrer Arbeit. Auch sie schrieb für das Buch.
Haslhofer:Als Clown an solchen Orten zu arbeiten, Intensivstationen oder Onkologie oder Pflegeheim, ist anfangs eine ziemliche Aufgabe. Aber wir bekommen viel Positives. Menschen, die so krank sind und trotzdem eine richtige Hetz mit uns haben. Auch, dass es fast alle Angehörigen als Momente tiefer Menschlichkeit beschreiben.

Seeliger: Uns darf das berühren, aber auf fördernde Art. Empathie, nicht Trauer. Gott sei Dank wird auf Kinderstationen nicht so viel gestorben. Das Prinzip ist dort immer die Hoffnung, dass da noch ein langes Leben kommt. Kinder begegnen einem Clown ohne Vorbehalte, die glauben oft, der Clown lebt im Krankenhaus und kommt immer wieder vorbei. Kinder haben die Fantasie, uns zu inkludieren. Erwachsene wollen oft hinter die Maske des Clowns schauen.

Bei der Arbeit mit Kindern öffnen sich auch Eltern. Sollen Eltern ihr krankes Kind zum Lachen bringen?

Haslhofer: Angehörige sind selbst betroffen und haben ein anderes emotionales Spektrum. Wir sind nicht betroffen, kommen als Clown, dessen Wesen ansteckend wirkt. Und die Kinder sind oft froh, ihre Eltern wieder einmal anders zu erleben als traurig. Das ist dann nicht immer nur Lachen, es wird manchmal geweint, weil durch unseren Besuch der große Druck einmal nachlässt. Es ist eben eher die Berührung.

Seeliger: Der Clown gibt der Familie gewissermaßen wieder eine Erlaubnis zu lachen.

Empfinden es Eltern nie als störend oder pietätlos, wenn Sie als Humor-Vulkan die Krankenstille stören?

Haslhofer: Wir sind ja keine durchrauschenden Zirkusclowns. Wir agieren sehr sanft und improvisieren. Wir haben Material mit und einen Plan, aber ob das in diesem Moment für dieses dreijährige Mädchen oder diese alte Dame passt, sehen wir erst im Zimmer.

Lache, wenn dir zum Weinen ist
Rote Nasen, Einsätze bei Flüchtlingen am Westbahnhof und Hauptbahnhof Wien
Seeliger:Das Sanatoriumsdenken hat sich verändert. Und wenn wir so pietätvoll herumstehen, sollten wir das Zentrum sehen: Das Kind selber geht ganz anders mit der Situation um. Die Krebskinder fragen uns manchmal, ob sie später Flügel brauchen werden und wollen so lange spielen wie möglich. Da schließen wir Clowns an und auf dieser Brücke folgen Eltern oft: Weil sie ihr Kind noch einmal so sehen, wie sie es kannten.

Info: Vor 21 Jahren gründeten Kinder- und Jugendpsychiater Max Friedrich, Monica Culen und Giora Seeliger in Österreich die „Rote Nasen Clowndoctors“ als gemeinnützigen Verein. Das Ziel: Lebensfreude als Therapie für kranke Kinder, ab 1999 auch für alte kranke Menschen, ab 2003 für Reha-Patienten – in dem Jahr wurde auch „Red Noses Clowndoctors International“ gegründet, heute in Ungarn, Tschechien, der Slowakei, Deutschland, Slowenien, Kroatien, Polen, Litauen und Palästina aktiv. Seit 2012 betreuen die Clowns auch Kinder mit mentalen oder mehrfachen Behinderungen, derzeit engagieren sie sich stark in der Flüchtlingsbetreuung. www.rotenasen.at, www.rednoses.eu

Kommentare