Trauern Tiere, wenn Artgenossen sterben?

Trauern Tiere, wenn Artgenossen sterben?
Viele Spezies verändern beim Tod eines Artgenossen ihr Verhalten. Ob sie trauern wie Menschen, ist wissenschaftlich schwierig nachzuweisen.

Die Ohren der Elefantenkuh zitterten, immer wieder stieß sie ihr totes Baby mit dem Rüssel an, immer wieder stupste sie den leblosen Körper mit den Füßen. Schließlich gesellten sich zwölf Dickhäuter dazu – wie zum Trost der Mutter, wie um Totenwache zu halten.

Dorfbewohner dokumentierten das indische Trauerspiel. Und brachten Sanjeeta Sharma Pokharel auf eine Idee: Die Forscherin machte sich online auf die Suche nach ähnlichen Videos. Ihre Erkenntnisse aus 39 Youtube-Filmchen veröffentlichte die Biologin in Royal Society Open Science: Demnach reagieren Asiatischen Elefanten auf den Tod eines Artgenossen am häufigsten mit Berühren, Schnüffeln, Ziehen oder Tragen des Kadavers.

Zudem bewachen oder verteidigen sie den Verstorbenen, mitunter begleitet von Lautäußerungen. Sharma Pokharel dazu: „Wenn ich als Mensch diese Reaktionen bei Elefanten sehe, denke ich, dass sie mit Trauer zusammenhängen, als Wissenschaftlerin muss ich es beweisen.“

Parallelen

„Ich gehe davon aus, dass Säuger die gleichen Emotionen haben wie Menschen. Wir sind ja auch nur Säugetiere“, sagt Peter Sziemer. Der Zoologe am Naturhistorische Museum Wien hat sich im Vorfeld zu Allerseelen in die Literatur vertieft und einiges über den tierischen Umgang mit dem Tod herausgefunden.

Er schickt voraus, dass es prinzipiell schwierig sei, Empfindungen bei Tieren wissenschaftlich zu klassifizieren; nicht zuletzt weil in der Wildnis in der Regel unbeobachtet gestorben wird.

Jane Goodall war wohl die erste Verhaltensforscherin, die Emotionen bei Affen beschrieb“, blickt Sziemer zurück in die 1960er-, 70er-Jahre. Der Aufschrei in der Community war groß. Die genetische Ähnlichkeit zwischen Schimpansen und Homo sapiens ließ schließlich den Schluss zu.

"Koko traurig"

Auch Gorilla Koko aus den USA sollte später als Beweis für den Kummer bei Primaten dienen. Das Weibchen, das mehr als tausend Gebärdesprachen-Zeichen beherrschte, kommentierte das Verschwinden seiner kleinen Spielgefährtin: „Katze tot, Koko traurig.“ Doch die wissenschaftliche Diskussion über das Gefühlsleben von Affen über Fische bis zu Vögeln dreht sich bis heute weiter.

Trauern Tiere, wenn Artgenossen sterben?

„Gänse gehen oft langjährige Bindungen ein. Beim Verlust ihres Partner verhalten sie sich auffällig“, nennt Sziemer ein weiteres Beispiel. Weißwangengänse etwa watscheln dann geduckt und schnattern das „Pfeifen des Verlassenseins“. Mitunter stellt das verwitwete Federvieh das Fressen, Trinken und die Pflege ein, manch Individuum geht daran zugrunde.

„Tiere zeigen eine starke Aktivität im limbischen System, etwa nach dem Verlust von Familienmitgliedern oder Freunden“, ziehen Carla Swiderski und Hanna Müller in ihrem fundierten Bilderbuch „Wie Tiere trauern“ Parallelen zum menschlichen Gehirn und zu Gram. Selbst im Kopf von Vögeln gibt es Regionen, die mit sozialer Bindung in Verbindung gebracht werden. Moderne Technik ermöglicht den Blick in die Denkorgane verschiedenster Art.

Trauern Tiere, wenn Artgenossen sterben?

Dabei macht der Tod nicht nur der Zweisamkeit ein Ende mit Folgen, er kann auch das Gruppenleben verändern. Verliert etwa die Leitkuh ihr Rothirsch-Junges, wackelt ihre Vormachtstellung. „Im übertragenen Sinn wird der aufgewühlten Mutter nicht zugetraut, das Rudel weiter zu führen“, zitiert Sziemer aus Peter Wohllebens „Das Seelenleben der Tiere“. Ob Hirsch, Wal oder Giraffe – das Band zwischen Mutter und Kind scheint besonders stark.

"Geht ums Überleben"

„Wildtiere können sich keine lange Trauerzeit leisten. Da geht es ums Überleben“, sagt Sziemer und wendet sich den Haustieren zu. Bei ihnen ist die Eile zurück zum Alltag voll Freude, Eifersucht oder Angst nicht geboten. Hund Hachiko etwa brachte es mit seiner traurigen Geschichte sogar auf die Kinoleinwand. Der treue Vierbeiner lief noch zehn Jahre lang täglich zum Bahnhof, um sein Herrl abzuholen. Dabei hatte der Professor 1925 überraschend seine letzte Reise angetreten und kehrte nie mehr aus Tokio heim.

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