Tiercoach: Warum Qualzucht bei Hunden nicht süß sein darf

Eine Englische Bulldogge streckt die Zunge heraus.
Hunde mit flachem Gesicht lösen bei Menschen Beschützerinstinkte aus. Doch die allzu ausgeprägten Merkmale machen die Vierbeiner krank.

Hunde sind verfressen – ob Begleiter oder Hüter, die Vierbeiner legen sich mächtig ins Zeug, um an Futter zu gelangen. Wissenschaftler der Eötvös Loránd Universität in Budapest haben nun die tierische Vorliebe für Würstel genützt und Frankfurter in drei Boxen mit unterschiedlich kniffeligen Öffnungsmechanismen versteckt. Dann luden sie 15 Französische Bulldoggen, 15 Englische sowie 13 ungarische Mudis zum Snack.

Entsprechend der Hypothese waren die Versuchskaninchen mit längerer Nase viel erfolgreicher in der Futterbeschaffung als die beiden Rassen mit flachem Gesicht; gleichzeitig wandten sich die kurzschnäuzigen Haustiere weit öfter mit Dackelblick an ihre Besitzer.

Studien-Erstautorin Dorottya Júlia Ujfalussy zieht in der Fachzeitschrift scientific reports den Schluss: „Die wahrgenommene Hilflosigkeit kann die soziale Beziehung zwischen Besitzern und diesen Hunderassen fördern.“ Kurz gesagt: Die Babyfaces erobern mit flehendem Blick die Herzen der Halter und erfreuen sich damit trotz bekannter gesundheitlicher Schwachstellen großer Beliebtheit.

Viele wissen über Qualzucht Bescheid

Tatsächlich zählen die kleinen Bulldoggen, Mops, Pekinese und Boxer auch hierzulande zu den angesagten Rassen. Eine repräsentative Online-Erhebung der Tierschutzorganisation Vier Pfoten zeigte kürzlich, dass 77 Prozent der Befragten über das Thema Qualzucht Bescheid wissen; teils aus persönlicher Erfahrung. Dabei sind verantwortungsvolle Halter, Veterinärmediziner und seriöse Züchter einig, dass das Leid, das durch übertriebene Rassemerkmale entsteht, verhindert werden kann und muss.

„Haustiere mit Kindchenschema lösen bei Menschen sehr starke Emotionen aus“, sagt KURIER-Tiercoach Katharina Reitl. Behalten Vierbeiner den runden Kopf, die großen Augen und die Stupsnase bis ins Erwachsenenalter bei, aktivieren sie dauerhaft den Beschützerinstinkt. Mit den wilden Vorfahren freilich hat die „Kurzköpfigkeit“ nichts mehr gemein; vielmehr verursacht die „Brachyzephalie“ gesundheitliche Probleme.

Zahlreiche Probleme in Kauf genommen

„Die verkürzten Atemwege führen zu ständigen Atembeschwerden, bei körperlichen Aktivitäten wird schnell bedrohliche Atemnot daraus“, beginnt Zoodoc Reitl aus der Ordination Tiergarten Schönbrunn die Aufzählung der typischen Symptome. Die Zähne haben zu wenig Platz in der kurzen Schnauze, Fehlstellungen können zu Zahnschmerzen durch Entzündung und zu Einbissen führen.

Auch die Ohren sind häufig betroffen. Rinnt Flüssigkeit in der Eustachischen Röhre zwischen Ohr und Nase nicht ab, entzündet sich das Mittelohr, mitunter ist die Wahrnehmung durch einen Erguss getrübt. Die Augen wiederum, die im flachen Gesicht weit vorstehen, sind wenig geschützt, im Stress können sie vor das Lid fallen. Haare, die auf der Hornhaut reiben, reizen das Sehorgan. Die kurzen Tränenkanäle funktionieren nicht ausreichend.

„Brachyzephalie verursacht bei den Tieren sehr viel Schmerz. Menschen dürfen sich nicht von Gefühlen leiten lassen und das süß finden“, appelliert Reitl an die Halter. Sie nimmt aber auch die Züchter in die Pflicht. Werden gezielt lange Schnauzen eingekreuzt, schlagen die Gene bereits in der nächsten Generation durch. Qualzucht dürfe kein Standard sein.

Nur zehn Prozent stammen aus kontrollierter Zucht

„Seriöserweise werden die Elterntiere gut untersucht, bevor sie zur Zucht kommen“, sagt Philipp Ita vom Österreichischen Kynologenverband, ÖKV. Die Vererbung rassespezifischer Krankheiten kann damit weitgehend verhindert werden. Was beim Mops aus dem Hinterhof passiert, wisse man freilich nicht. Ita hält fest: „Nur zehn Prozent der Welpen in Österreich stammen aus kontrollierter Zucht.“

So leben nach Schätzungen des ÖKV etwa 15.350 Französische Bulldoggen zwischen Vorarlberg und dem Burgenland, dabei verzeichnete das Hundezuchtbuch im Vorjahr nur 72 Tiere dieser Rasse. Beim Mops waren es 26 eingetragene Exemplare auf österreichweit rund 7.700 Vierbeiner.

„Es ist unerträglich, dass Tiere unter gängigen Schönheitsidealen ihr Leben lang leiden müssen“, sagt Veronika Weissenböck von Vier Pfoten. KURIER-Tiercoach Reitl ergänzt: „Es sind nicht nur Hunde betroffen, die auf ihren Gassi-Runden unter Beobachtung stehen. Es gibt auch in den Wohnungen einige Katzen- und Kleintierrassen mit Qualzuchtmerkmalen. Das darf nicht schön sein.“

Fragen an den KURIER-Tiercoach: tiercoach@kurier.at

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