Strasser: Was Österreichs extremste Namensvetter eint und rädert
Der eine Strasser (Christoph) hat erst vor wenigen Tagen zum fünften Mal das Race Across America gewonnen. Der andere Strasser ( Michael) stellte vor zwei Jahren auf seiner Solo-Radfahrt von Kairo nach Kapstadt einen neuen Weltrekord auf und ist bald wieder auf Achse: Er will in nur 99 Tagen von Alaska bis zum Feuerland radeln.
Michael Strasser, 35, lebt und trainiert in Wien und Umgebung. Er hat 2014 sein Architekturstudium beendet. Sein größter Erfolg ist der Weltrekord beim „Cairo2Cape“ (2016, 11.000 km Kairo – Kapstadt, Solofahrt in 34,5 Tagen). Ab 23.7.2018 fährt er von der Arktis zur Antarktis. Live-Blog: www.strassermichael.at
Christoph Strasser, 35, lebt und trainiert in Graz und Umgebung. Er hat sein Studium an der Montanuni Leoben fast beendet. Sein größter Erfolg ist der fünfte Sieg beim „Race Across America“ (4960 km von der West- zur Ostküste). Infos: www.christophstrasser.at
Der KURIER traf die Namensvetter und Leidensgenossen zu einer Art Gipfeltreffen auf dem Semmering, der für beide übrigens erst dann zum Zauberberg wird, wenn sie ihn zehn Mal hintereinander hinauffahren.
KURIER: Christoph, wie geht es einem körperlich nur wenige Tage nach dem fünften Sieg beim Race Across America?
Christoph Strasser: Eigentlich gut. Es sind jetzt nur mehr der kleine und der Ringfinger der linken Hand taub. Die Straßen beim RAAM sind fürchterlich rau, was die Hände stark belastet. Was mich noch beeinträchtigt: Nach fünf Minuten vor dem Fernseher schlafe ich ein.
Was geht in einem vor, wenn man eineinhalb Tage vor dem Zweiten durch das Ziel radelt?
Christoph Strasser: Ich bin sehr zufrieden mit meiner Leistung, weil ich an allen acht Tagen mein Bestes geben konnte. Auch der zweite Teil des Rennens, als ich nur mehr gegen die eigenen Zwischenzeiten der vergangenen Jahre gefahren bin, war OK.
Michael, du bist vor zwei Jahren in 34,5 Tagen die 11.500 Kilometer lange Strecke von Kairo nach Kapstadt geradelt. Wie ging’s dir im Ziel?
Michael Strasser: Die ersten zwei Wochen richtig gut. Ich war zwei Tage nach meiner Rückkehr mountainbiken mit Freunden. Der Einbruch kam erst später: Ich habe ein Jahr an Entzündungen im Sprunggelenk und ein halbes Jahr an Entzündungen im Handgelenk laboriert. Vier Wochen lang kam ich in der Früh nur schwer aus dem Bett raus.
Du startest nun zu einer Tour, die dich quasi vom Eis der Arktis zum Eis der Antarktis führt. Wie viel hast du dafür trainiert?
Michael Strasser: Eine normale Trainingswoche umfasst dreißig Stunden. Zwanzig Stunden auf dem Rad, sieben Stunden Krafttraining, drei Stunden Laufen. Und das seit gut zwölf Jahren.
Was genau ist dein Ziel?
Michael Strasser: Ich will am Ende mit dem Gefühl durchs Ziel fahren, dass mein Team und ich alles rausgeholt haben. Und ja, ich starte nicht, um ins Ziel zu kommen. Natürlich will ich den bestehenden Rekord brechen.
Fragt ihr euch während des Trainings oft, manchmal, nie: Wozu tu ich mir das alles an?
Christoph Strasser: Oft, speziell im Winter, wenn ich bei uns in Graz alleine in den Keller gehe, dann sieben, acht Stunden auf dem Heimrad sitze und mich frage, wie ich das ganze Trainingspensum in den nächsten Wochen durchhalten soll.
Michael Strasser: Es gibt auch bei mir Trainingstage, an denen ich mir die Sinnfrage stelle, ebenfalls im Winter, wenn ich bei einer Skitour zehn Mal denselben Berg hinauf marschiere.
Kennt ihr das Phänomen „Innerer Schweinehund“?
Christoph Strasser: Durchaus, und den muss ich auch am Leben lassen. Denn der schützt mich – vor mir selbst. Ich bin es aber, der ihm an sechs Tagen der Woche erklärt, wo es lang geht.
Michael Strasser: Der Schweinehund kommt bei mir dann, wenn ich mich nicht ganz fit fühle. Da muss ich das Training dosieren. Jetzt, kurz vor dem Start zum neuen Rennen, ist er wie weg.
Was geht euch während eines Rennens durch den Kopf?
Michael Strasser: So kaputt konnte ich bei meiner Fahrt durch Afrika gar nicht sein, dass ich mir nicht gedacht habe: Was für ein Privileg ist es, auf einem Rad zu sitzen und das machen zu dürfen, was ich gerne mache!
Christoph Strasser: Im Idealfall geht mir beim Rennen wenig durch den Kopf, am liebsten die Witze meines Betreuerteams und die Anfeuerungen aus den Sozialen Medien. Ich habe keine mentalen Mantras und stelle mir auch nicht die Sinnfrage.
Nehmt ihr die Landschaft wahr?
Michael Strasser: In Botswana soll ich 15 Meter neben einem Elefanten vorbeigeradelt sein. Habe ihn nicht bemerkt! Das war an einem Tag, an dem es mir nicht so gut ging. Andererseits sah ich Kinder in die Schule gehen oder fünfzig Frauen vor einer Mine händisch Steine zerkleinern.
Christoph Strasser: Bei den Rennen durch Amerika und Australien hatte ich genügend Zeit, um die Landschaft anzusehen, speziell in den ersten Tagen. Kommt der Schlafmangel dazu, registriert man mehr als da ist: Einmal sah ich unseren Kameramann mit einem Emu im Schwitzkasten. Das Tier war in Wirklichkeit seine Kamera.
Was ist euer größtes Problem während des Rennens?
Christoph Strasser: Die Müdigkeit aufgrund des kumulierten Schlafentzugs. Und die Flüssigkeitsbilanz. Die ist für mich eine Gratwanderung: Trinkst du zu viel, lagert sich das Wasser in den Organen ein, trinkst du zu wenig, trocknet dein Körper aus.
Michael Strasser: Für mich gilt es beim Rennen, von Anfang an fokussiert zu sein. Die ersten 800 Kilometer führen auf einer Schotterstraße durch Alaska. Schon die kleinste Unachtsamkeit kann das Ende unseres Unternehmens bedeuten.
Und euer schönster Moment?
Michael Strasser: Wenn es nach einem seelischen Tief wieder ein Hoch gibt. Schön ist zudem: die Hochs werden mit zunehmender Renndistanz mehr.
Christoph Strasser: Ja! So ein Rennen muss man sich wie einen emotionalen Ausnahmezustand vorstellen. Wenn ich am zweiten Tag spüre, alles läuft wie geschmiert, ich fühle mich stark, das Training hat sich bezahlt gemacht, kann es vorkommen, dass mir die Tränen kommen.
Wie groß ist euer Betreuerteam?
Christoph Strasser: Beim Rennen elf Betreuer in drei Autos.
Michael Strasser: Vier Betreuer in zwei Autos.
Kennt ihr eure aktuellen Körperfettanteile und Pulswerte?
Michael Strasser: Ich kenne sie, aber ich will sie bei mir behalten.
Christoph Strasser: Ich kenne sie nicht. Ich stelle mich auch nur alle drei Jahre auf die Waage, weil mir das nur Stress macht.
Auf was habt ihr da Gusto?
Christoph Strasser: Auf österreichisches Leitungswasser, frischen Salat aus meinem Garten und gute Bergsteiger-Wurst.
Michael Strasser: Was mich sehr ärgert: dass meine Tomaten reif werden, während ich jetzt drüben in Amerika unterwegs bin.
Doping, ein Thema für euch?
Christoph Strasser: Nein, weil es einfach nicht dafür steht, und man beim Race Across America auch kein Geld verdient.
Michael Strasser: Nein, weil bei uns nicht das eine oder andere Prozent mehr das Rennen entscheidet, sondern in erster Linie die mentale Stärke.
Kommt ihr mit dem Radfahren finanziell über die Runden?
Michael Strasser: Ich kann seit zwei Jahren dank des Radfahrens meine Stromrechnungen bezahlen. Doch für das Afrika-Projekt muss ich noch immer 30.000 der 70.000 Euro auftreiben, und für die Logistik der Ice2Ice-Tour haben wir jetzt mal 180.000 Euro veranschlagt.
Christoph Strasser: Bei mir geht es, aber auch erst seit meinem dritten RAAM-Sieg, und weil ich pro Jahr 50 Vorträge halte.
Wie fühlt ihr euch, wenn ihr drei Tage nicht auf dem Radl sitzt?
Michael Strasser: Wenn ich stattdessen laufen darf, ist alles gut. Aber im Ernst: Ich weiß, da kann ich richtig ungut werden.
Christoph Strasser: Ich auch! Das ist, wie wenn man einem Mechaniker, der hoch motiviert ein Radl reparieren möchte, den Schraubenschlüssel wegnimmt.
Was antwortet ihr Menschen, die euren Antrieb infrage stellen?
Michael Strasser: Dass wir keinen Gesundheitssport betreiben, ist schon klar. Aber so lange es für mich passt, werde ich meiner Leidenschaft folgen.
Christoph Strasser: Ich nehme das niemandem übel, will auch niemanden überzeugen, will nur, dass die Leute wissen, dass wir keinen Euro Förderung erhalten.
Was soll mal im Nachruf stehen?
Michael Strasser: Er durfte sein ganzes Leben lang das machen, was er gerne machte.
Christoph Strasser: Das größte Kompliment habe ich nach einem Vortrag erhalten, als mir jemand sagte: Danke, du hast mich motiviert, mich selbst von meinen Zwängen zu befreien.
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