Stimmexpertin: "Plakolm kann doch so nicht mit Von der Leyen sprechen"
Ingrid Amon trainiert Menschen vor Auftritten. Sie erzählt, was Amerikaner besser können, was Van der Bellen und den lieben Gott eint, und welcher Spitzenkandidat am meisten Emotion weckt.
KURIER: Wie viel Stimme brauchen jene, die unsere Stimme bei der Wahl haben wollen?
Ingrid Amon: Sie sollten so viel Stimme haben und so eine gute Sprechtechnik, dass sie ein Stimmenimitator nicht innerhalb von einer Viertelstunde nachmachen kann. In dem Moment, wo der hört, welche Marotten ich habe und dass ich zum Beispiel in jedem dritten Satz „von daher“ sage oder alle paar Sekunden „äh“, dann ist das leicht nachzumachen. Es sollte Klang, Melodisches und Abwechslung da sein.
Landeshauptmann Hans-Peter Doskozil, hat einen Teil seiner Stimme verloren. Wie schlimm ist das als Politiker?
Das ist ein Handicap, muss aber auf einer ganz anderen Ebene betrachtet werden: als Herausforderung für unsere Gesellschaft, die so etwas nicht abwerten darf. Das ist vergleichbar mit dem Rollstuhl von Wolfgang Schäuble (verstorbener deutscher Bundestagspräsident). Man hat ihn als Politiker dennoch sehr ernst genommen. Die Therapeuten von Doskozil sind übrigens ein Hammer, großartig.
SP-Kandidat Andreas Babler hat einen starken NÖ-Akzent, Gesundheitsminister Johannes Rauch spricht vorarlbergerisch, Staatssekretärin Claudia Plakolm sehr oberösterreichisch. Wie wirkt Dialekt?
Man darf immer hören, woher sie kommen: Das ist „Heimat-Melos“. Man soll aber auch hören, dass sie dort nicht stehen geblieben sind. Das erwarte ich von der Politik, doch diesen Eindruck habe ich weder von Andreas Babler, noch von Claudia Plakolm. Das wirkt provinziell. Plakolm kann doch so nicht mit Ursula von der Leyen sprechen.
Im Rundfunk nervt einen oft auch dieser weiche Kärntner Dialekt, der Konsonanten verschluckt, oder?
Es liegt mir fern, meinen ehemaligen Arbeitgeber zu kritisieren, aber es gibt in öffentlichen wie privaten Medienhäusern keinerlei Verpflichtung mehr zur Ausbildung, die länger als ein paar Stunden dauert. Der einstige ORF-General Gerd Bacher hat Reportern bei falscher Aussprache zwei Wochen Sprechverbot im Rundfunk erteilt.
Hat jemand versucht, Ihnen Vorarlbergerisch auszutreiben?
Wir haben im Landesstudio Hochdeutsch wie eine Fremdsprache gelernt. Ich beherrsche annähernd Bühnendeutsch. Mittlerweile ist wegen des Zeit- und des Konkurrenzdrucks viel Sprachkultur verloren gegangen. Aber an welcher Kommunikation orientieren sich jetzt junge Leute?
Zum ausführlichen KURIER TV-Gespräch mit Stimmexpertin Amon
An TikTok zum Beispiel.
Ja, und an Influencern, die zum Großteil Deutsche sind. Man weiß ja auch: Wenn man eine Botschaft viermal nicht rübergebracht hat, wechseln wir ins Hochdeutsch – auch die Mutter, die bei ihrem Kind Gehör finden will. Die kommunikative Trefferquote ist höher.
Sind manche Politiker übertrainiert? Pamela Rendi-Wagner etwa wirkte im Zwiegespräch authentisch und sympathisch, auf dem Bildschirm hingegen oft künstlich.
Ob das übertrainiert ist, weiß ich nicht. Ich beobachte eher das Gegenteil, dass man die Hausaufgaben nicht gemacht hat. Man muss die Menschen auch in einer Hollywood Bowl als Individuen adressieren und nicht als anonyme Hörermasse. Das kann jeder Amerikaner besser.
Warum eigentlich?
Weil die das Reden vor vielen Leuten lernen. Da braucht es zum Beispiel Pausen. Wenn Kamala Harris oder Donald Trump sagen: „Good Evening!“, „Thank you!“ Dann lautet das wie: „Guten Abend, Ingrid Amon!“, „Danke, Ingrid Amon!“. Harris meint mich, und das macht dieses unglaubliche Charisma aus. Wenn Sie mich fragen, mit wem ich einen Abend verbringen möchte, dann würde ich antworten: „Mit dem Schauspiellehrer, dem Körpersprachetherapeuten und dem Stimmtrainer von Barack Obama.“ Das zu lernen gehört zur Selbstentwicklung öffentlich agierender Menschen dazu. Bei uns ist man leider noch lange nicht so weit.
Gibt es Naturtalente?
Talent muss man dennoch fordern. Üben gehört dazu. Bei uns kommen Politiker drei Wochen vor einer Wahl und wollen lernen zu überzeugen. Das funktioniert nicht und wirkt dann oft wie dressiert.
Wer kommuniziert bei uns in Ihrem Sinne perfekt?
Wifo-Direktor Gabriel Felbermayr, Albertina-Chef Klaus Albrecht Schröder, die ORF-Moderatoren Susanne Höggerl und Tobias Pötzelsberger. Bei denen hat man das Gefühl: „Die meinen genau mich.“
Manche Politiker können sich chamäleonartig auf die jeweilige Umgebung einstellen. Jörg Haider war so einer.
Das musste man Haider zugutehalten: In dem Moment, in dem man mit ihm zusammen war, hatte man das Gefühl, der einzig wichtige Mensch zu sein. Er hat zugehört. Er hätte nie jemandem die Hand geschüttelt und in eine andere Richtung geschaut. Im Kern geht es um Wertschätzung.
Bei den freiheitlichen Politikern hieß es früher immer, sie seien neurolinguistisch programmiert. Was halten Sie davon?
Zu NLP kann ich nichts sagen, aber das Spannende an der freiheitlichen Schule ist, dass man deren Drill sofort erkennt. Jede Partei hat ja ihre eigenen Akademien. Die FPÖ war da einst am schnellsten. Und man macht es den Freiheitlichen leicht: Während heimische Politiker meist zu wenig Emotionen zeigen, hat Herbert Kickl keine Angst vor Emotionen, auch nicht vor den negativen wie Wut und Aggression. Und dann macht er plötzlich wieder in einem Interview auf gediegener Staatsmann: Der spielt alle Stückeln auf seinem Klavier.
Was hat Bundespräsident Alexander Van der Bellen, was andere nicht haben?
Er individualisiert seine Ansprache, redet langsam genug, dass alle mitkommen. Und er hat das, was Kompetenz wie beim lieben Gott und beim Nikolaus vermittelt: eine tiefe Stimme.
Ex-Kanzler Werner Faymann arbeitete gemeinsam mit dem Pantomimen Samy Molcho an seiner Gestik. Wie wichtig ist das?
Gestik bestimmt die melodische Gestaltung. Hände sind ganz wichtig. Donald Trump hat eine Dominanzgeste, sonst aber recht wenig im Programm. Jeder sollte sein Repertoire erweitern: Wir haben alle viel mehr drauf, nützen es aber nicht.
Wie wichtig ist Kleidung?
Man kann nicht nicht kommunizieren. Natürlich haben Farben und Kleidung eine Wirkung.
Angela Merkel hatte daher vorsichtshalber ihr Outfit auf eine Art Uniform in mehreren Farben reduziert.
Ja, bei Frauen ist das besonders schwierig, weil uns die Modeindustrie nahelegt, uns damit auszudrücken. Aber auch Männer haben damit Probleme: Wenn sie zum Beispiel am Podium die Beine übereinanderschlagen und man sieht zwischen Socken und Hose ein Stück nackter Haut. Oder schlecht sitzende Anzüge, die Schulterpolster passen nicht, die Hemden spannen. Männer sind oft schlecht gekleidet ....
....aber man verzeiht und ignoriert es eher.
Da bin ich gar nicht sicher. Man denke an die Slim-Fit-Anzüge von Christian Kern, das Mascherl von Wolfgang Schüssel: Solche Dinge sind Saboteure der eigenen persönlichen Ausstrahlung und Botschaften. Und mit jedem Zentimeter mehr nackter Haut steht man in der Hierarchie weiter unten.
Was sind die wichtigsten Richtlinien, die Sie einem Schützling vor einem großen Auftritt mitgeben?
„Schätze dein Publikum. Strahle es an und behandle es als ein Wesen. Schau dir Kamala Harris an: Wenn du „Guten Abend“ sagst, mach keinen Aufsager, sondern meine den Menschen in der ersten, zweiten oder dritten Reihe, und übe das daheim mit der Kaffeetasse. Und mach Pausen.“ Das hat man uns jenseits des großen Teiches unfassbar voraus: Was die Pausen machen können!
Richtig sprechen
Ingrid Amon ist Expertin für Stimm- und Sprechtechnik. Von 1978 bis 1997 war sie im ORF Sprecherin, Journalistin und Moderatorin. 1990 gründete Amon das Institut für Sprechtechnik in Wien. Sie ist Mitbegründerin des europäischen Netzwerks Stimme.at, hält Vorträge sowie Seminare und hat mehrere Bücher geschrieben, u. a. den Bestseller: „Die Macht der Stimme, außerdem den Ratgeber: „Meine Stimme– mein Erfolg“ mit Übungen und Anwendungsbeispielen.
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