Smartphone statt Bilderbuch: Wenn Kleinkinder Medien nutzen

Smartphone statt Bilderbuch: Wenn Kleinkinder Medien nutzen
Tablet und Co. werden immer öfter zum Babysitter. Wie das auf die Kleinsten wirkt und was Eltern beachten sollten.

Sie können gerade einmal auf zwei Beinen stehen, das Hantieren mit dem Smartphone geht aber schon ruckzuck. Innerhalb kurzer Zeit haben Kleinkinder den Dreh heraus, wie sie wischen und klicken müssen, um Videos und Fotos anzuschauen oder Spiele-Apps zu starten. Und die Eltern sind meist froh über eine kurze Pause – vor allem, wenn sie müde sind, das Abendessen vorbereitet oder die Wäsche aufgehängt werden muss. Das Smartphone wird immer öfter zum Babysitter.

Die Kinder- und Jugendpsychotherapeutin Andrea Koschier sieht das kritisch: „Kleinkinder sind sehr auf ihre Eltern als Übersetzer angewiesen. Sie brauchen die direkte Beziehung zu ihnen, um die reizintensiven Inhalte am Smartphone einordnen zu können. Es reicht nicht, das Kind vors Tablet zu setzen und ein Video zu starten.“ Vor allem Kleinkinder bräuchten Erklärungen, man müsse mit ihnen über die Inhalte sprechen und sie mit ihren Emotionen auffangen. „Man kann sich z. B. liebevoll ins Bett kuscheln und gemeinsam das iPad benutzen. Das Kind sollte aber nicht damit alleine gelassen werden“, rät Koschier. Die Behauptung, dass Kinder über Apps und Videos etwas lernen, hat für sie nur dann Gültigkeit, wenn sich die Eltern dazusetzen.

Immer mehr Reize

Wie genau die intensiven Reize von Videos, Apps oder Spielen auf das Gehirn von Kleinkindern wirken, ist wenig erforscht. Bekannt ist, dass – wie auch bei Erwachsenen – das Belohnungszentrum aktiviert wird, sodass nach immer neuen Reizen verlangt wird: zuerst nur ein kurzes Video, dann ein längeres und immer weiter. Für Eltern sei es teilweise erschreckend, wie fixiert schon Kleinkinder auf die Geräte sind, erzählt Koschier aus der Praxis. Die Alarmglocken sollten schrillen, wenn Kleinkinder das Handy dem gemeinsamen Spielen mit den Eltern, anderen Erwachsenen und Kindern vorziehen.

Die deutsche Medienstudie „BLIKK“, bei der 5600 Kinder und Jugendliche untersucht wurden, rüttelte 2017 mit drastischen Ergebnissen auf: Sechs von zehn Kindern zwischen zwei und fünf Jahren schaffen es höchstens zwei Stunden lang ohne Digitalgerät zu spielen. Kinder unter sechs Jahren, die mehr als 30 Minuten am Tag am Handy spielen, haben Schwierigkeiten, sich zu konzentrieren. Sie liegen in der Sprachentwicklung zurück und sind eher hyperaktiv. Die Studie zeigt allerdings nur auffällige Zusammenhänge – keine Ursache-Wirkung-Beziehungen.

Baby and Mobil Phone

Langeweile aushalten

Oft bekommen Kleinkinder das Handy gegen Langeweile in die Hand gedrückt, wenn sie nörgeln oder unruhig werden. Laut Koschier ist aber gerade Zeit ohne Beschäftigung wichtig, um Eindrücke zu verarbeiten. Aus der Langeweile heraus lernen Kinder außerdem, sich selbst eine Beschäftigung zu überlegen. Quengelnde Kinder mit dem Smartphone „ruhig zu stellen“, kann auch für den Medienpädagogen Christian Swertz nur eine Ausnahme sein: „Das führt oft dazu, dass die Kinder nach der Mediennutzung besonders unruhig sind. Ursache dafür sind Spannungskurven, die Aufmerksamkeit erzeugen und in vielen Inhalten enthalten sind. Medienfirmen erhöhen so ihre Nutzungszahlen und verdienen damit Geld.“

Danach tanzen und toben

Bei den Kindern führen sie zu emotionaler Erregung, die auch bleibt, wenn das Gerät aus der Hand gegeben wird. „Eltern können das leicht lösen, indem sie mit den Kindern nach dem Medienkonsum toben, tanzen oder turnen“, sagt Swertz.

Statt Kinder mit Medien ruhig zu halten, empfiehlt er, sie in die Aufgaben des Alltags einzubinden, etwa gemeinsam zu kochen oder aufzuräumen – auch, wenn das länger dauert.

Eine Empfehlung, ab wann Kleinkinder ein Smartphone nutzen „sollen“ gibt es nicht. Interessieren sie sich dafür, sei es wichtig, ihnen diese Erfahrung zu ermöglichen. „Das Smartphone und ähnliche Geräte sind zu einer Kulturtechnik geworden. Ein erster Kontakt kann daher sinnvoll sein – so wie der Buchdruck über Bilderbücher vermittelt wird“, erklärt Medienpädagoge Swertz.

Er empfiehlt, auf eine ausgewogene Nutzung verschiedener Medien und Formate zu achten und Kindern die unterschiedlichen Gestaltungsmöglichkeiten näher zu bringen: Kleinkinder können beispielsweise bereits selbst Fotos machen; zusammen können gemeinsam gesungene Lieder aufgenommen und angehört werden. Ob Inhalte etwa aus Apps und Videos für Kinder verständlich sind, können Eltern feststellen, indem sie die Kinder bitten zu erzählen, was sie gerade gemacht, gesehen oder gehört haben.

Nutzen Eltern und Kinder das Smartphone oder Tablet gemeinsam, ergibt sich die zeitliche Begrenzung meist von selbst – so wie auch Bilderbücher nur eine gewisse Zeit angesehen werden. Ein Verbot oder das Festlegen einer bestimmten Altersgrenze, ab der Kinder ein Smartphone nutzen dürfen, sei laut Swertz wenig sinnvoll – vor allem, wenn die Eltern die Geräte selbst dauernd in der Hand haben.

baby with cell phone

Das sagen Eltern: Was darf Ihr Kind am Smartphone machen?

Roman K. (44), Sohn David (4): „David darf mit dem Smartphone Fotos machen und ansehen. Videos schauen wir gemeinsam, aber selten. Spiele darf er definitiv nicht spielen, bis jetzt ist das aber auch  kein Thema.  Zweijährige, die schon am Handy spielen, schrecken mich ab. Wenn ich alleine mit ihm bin und etwas im Haushalt machen muss oder noch etwas am Laptop aufarbeite, dann biete ich ihm manchmal das Smartphone an, damit ich ihn im Blick habe und er nicht alleine im Garten ist. Auf dem Tablet habe ich einen eigenen Bereich eingerichtet, wo er ,nichts anstellen’, aber seine Serien anschauen kann – für maximal 30 Minuten. Aufpassen muss man bei YouTube – da landet man mit wenigen Klicks  bei nicht kindgerechten Inhalten.“

Barbara L. (31), Töchter Stefanie (4) und Katja (1): „Wir haben uns  gegen elektronische Medien entschieden, weil wir denken, dass unsere Kinder noch früh genug damit in Kontakt kommen. Wir lesen mit ihnen  viele Bücher und versuchen, möglichst viel Zeit draußen zu verbringen. Das Handy ist für mich, wie auch der Fernseher, eine  Ausrede vieler Eltern, keine Zeit mit ihrem Kind verbringen zu müssen. Meine Kinder dürfen das Smartphone nur im ,äußersten Notfall’ benutzen, wenn z. B. im Wartezimmer beim Arzt keine andere Bespaßung mehr funktioniert. Dann schauen wir  Katzen- oder Urlaubsfotos  an. Videos im Alter meiner Kinder finde ich nicht gut. Dazu sind sie  noch zu klein und können den Kontext nicht erfassen.“

Katharina D. (43), Söhne Thomas (2) und Clemens (8): „Da wir Erwachsene das Gerät häufig in der Hand haben, wollen es die Kinder  auch. Mit Verboten macht man solche Sachen nur noch attraktiver. Ich finde es wichtig, Regeln festzulegen. Das Smartphone dürfen meine Kinder nur in Ausnahmefällen und  unter Aufsicht verwenden (z. B. beim Arzt, wenn der Kleine schon weint). Das Tablet ,gehört’ schon fast ihnen, da sind hauptsächlich Kinder-Apps installiert und es ist nicht mit dem Internet verbunden. Das Gerät dürfen sie nur zu gewissen Zeiten und nicht unbegrenzt nutzen. Anfangs gab es Proteste, wenn Schluss war, aber irgendwann haben sie es akzeptiert. Je älter die Kinder werden, umso wichtiger ist es, ihnen den Umgang damit beizubringen.“

Hannah W. (32), Tochter Viola (2): „Viola darf mit uns zusammen Bilder und Videos anschauen, die wir gemacht haben, oder die wir von Verwandten bekommen haben. Wenn wir Nägel schneiden, also ca. einmal die Woche, schauen wir immer dasselbe Video mit Fischen im Aquarium. Meine Erfahrung ist: Je mehr sie schauen darf, desto größer ist das Theater, wenn es ausgemacht wird. Ab und zu darf sie  bestimmte Zeichentrickvideos ansehen.  Es gab schon ein paar Situationen, da haben wir sie etwas schauen lassen, um fünf Minuten Ruhe zu haben, oder etwas fertig kochen zu können, aber das war eher die Ausnahme. In ihrem Alter soll sie auch  immer dieselben Dinge zu sehen bekommen, da ich das Gefühl habe, dass das schon aufregend genug ist.“

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