Wintertourismus in Tirol: Es geht auch ohne Skilifte
Ein Sonntagvormittag im Jänner an der Talstation des Grünberg-Lifts bei Obsteig: Es geht zu wie in einem Taubenschlag. Zu spät Gekommene versuchen, noch einen Parkplatz zu ergattern. Die „Early Birds“ unter den Tourengehern haben ihre Trainingsrunde bereits hinter sich. Wieder andere tigern mit Schlitten oder Schneeschuhen los. Und zwischen allen diesen alternativen Wintersportlern sieht man Eltern, die ihren Kindern die Alpin-Ski zum Übungshang und dem kurzen Schlepplift im Kinderland tragen. Sie wirken aus der Zeit gefallen, old school.
In den 1980er-Jahren wären sie noch die Avantgarde gewesen, hätten über die Tourengeher, die sich keinen Liftpass leisten wollen oder können, die Nase gerümpft. Doch seit der altersschwache Sessellift am Grünberg 2011 nach jahrelangen, kontroversen Diskussionen abgebaut wurde, sind die alpinen Skifahrer hier die aussterbende Spezies. Die Waldschneise der ehemaligen Talabfahrt gehört jetzt den Tourengehern. Sie spuren hinauf zum verlassenen Liftwärter-Häuschen. Oder ziehen weiter zum Simmering mit seinem prächtigen Inntalblick. Denn hier ist Simmering kein Bezirk wie in Wien, sondern ein prächtiger Bergrücken.
Eine Zeit ohne Pistengaudi
Früher hatte es in den Hotels auf dem Mieminger Plateau geheißen: „Das Geld wird im Winter mit den Skifahrern verdient“. Daher haben die Obsteiger zu lange vergessen zu investieren. Der alte Sessellift verschlang jährlich zweihunderttausend Euro Betriebskosten und lockte immer weniger Besucher. Eine neue, moderne Bergbahn hätte viereinhalb Millionen Euro gekostet, das Land Tirol sagte zwei davon als Fördermittel zu, den Rest hätten Gemeinde und Liftgesellschaft mit Krediten stemmen sollen. So richtig wohl war dabei aber kaum wem.
Die meisten Hoteliers ahnten: Mit den großen Ski-Arenen im Ötz- und Pitztal, von denen man quasi umzingelt ist, würde man auch dann nicht mithalten können. Denn dort rüsten sie auf: noch mehr Pistenkilometer, noch höhere Gipfelrestaurants. Auf dem Mieminger Plateau dagegen ist der abgebaute Lift ein Symbol für einen Aufbruch in eine neue Zeit. Eine Zeit ohne Pistengaudi.
Die autofreie Anreise ist unkompliziert: bis Innsbruck per Zug, dann mit dem Bus nach Obsteig. Einige Hotels holen Gäste aus dem Inntal (Ötztal Bahnhof) ab, das Hotel Stern bietet Gästen bei Zug- Anreise sogar fünf Prozent Rabatt. Zur ÖBB-Webseite.
„Für uns war der Lift ohnehin nie wichtig“, sagt Simon Wilhelm, Eigentümer des Vier-Sterne-Biohotels Holzleiten nahe Obsteig. „Wir haben schon immer unser eigenes Ding gemacht und wollten nicht abhängig von den Entscheidungen anderer sein.“ 2008 hat er kräftig investiert, die klassische Herberge der Eltern in ein modernes Wellness-Hotel mit viel Lärchenholz verwandelt, 2011 komplett auf Bio umgestellt. „Unsere Gäste wünschen sich Ruhe und Erholung in intakter Natur“, erzählt Wilhelm.
Im Skiraum stehen Langlauf- und Touren-Bretter, Schlitten und Schneeschuhe – es gibt jeden Tag geführte Ausflüge. Die Zimmer sind an Wochenenden fast immer ausgebucht, das Hotel ist rund um das Jahr geöffnet, sorgt nicht nur im Hochwinter und -sommer für Umsatz.
Erstes klimaneutrales Hotel
Natürlich sei er anfangs nicht ganz sicher gewesen, ob die Strategie aufgehen würde: „Hinterher klingt das immer logisch. Aber es war schon ein Risiko.“ Wilhelm erinnert sich gut an die Debatte um die Zukunft des Grünberg-Lifts: „Einige Hoteliers fühlten sich im Stich gelassen, als das Aus beschlossen war.“ Zu ihnen gehörte Hermann Föger, Bürgermeister, Senior-Chef des Hotels Stern und pikanterweise Geschäftsführer der Grünberg-Liftgesellschaft.
Sein Sohn René dagegen, der das Hotel Stern 2005 vom Vater übernommen hatte, wollte vieles neu und anders machen: Auch er stellte auf bio um, machte das Hotel mit alternativen Energiequellen als eines der ersten in ganz Österreich klimaneutral. Im Gegensatz zu seinem Vater war er dafür, als die alten Liftmasten am Grünberg abmontiert wurden. Weil die Gästezahlen 2012, im ersten Jahr ohne den Lift, im Stern stabil blieben und seither sogar leicht ansteigen, wurde der Generationenkonflikt abgeblasen.
Juniorchef René Föger räumt jedoch ein, dass es nicht bei allen so gut lief: „Diejenigen, die so weitermachten wie bisher, mussten Federn lassen.“ Die Fögers haben sich umgestellt: Statt Skipässen gibt es jetzt eine Bergführerin im Haus, die die Gäste auf Schneeschuh- und Skitouren mitnimmt.
– Das Biohotel Holzleiten wirbt so: „zum Glück NUR 40 Zimmer – wir sind anders“, ab 131 € p. P./Nacht mit HP und Jause.
– Das Familienhotel Stern („I schaug auf di, du schaugsch auf mi!) setzt Nachhaltigkeit- Standards – seit 2021 auch mit Öko-Hallenbad „Sternen- taucher“, ab 98 € p. P./Nacht mit HP u. Jause, hotelstern.at
Genauere Auskunft zum Mieminger Plateau.
Der Tourismus-Manager Christoph Stock ist zufrieden mit der Entwicklung auf dem Mieminger Plateau, aber man habe viel Überzeugungsarbeit leisten müssen: „Wie die Missionare sind wir von Hotel zu Hotel gezogen und haben für die Wende geworben. So manch einer war entsetzt, von Verrat war die Rede.“ Einige gehörten tatsächlich zu den Verlierern, wie die Skischule Schaber.
Juniorchef Schaber, Vorname: Ingemar wie Stenmark, konnte plötzlich keine Kurse für Erwachsene mehr anbieten, der Ausrüstungsverleih brach ein. Inzwischen hat er das Geschäftsmodell angepasst: Kinderkurse am Grünberg-Übungslift gibt es noch immer, Tourenkurse für Einsteiger sind neu hinzugekommen, dazu verleiht er Schlitten, Langlauf- und Tourenski.
„Die Mieminger wollten ihren Gästen früher einen Bauchladen für alles anbieten“, sagt Stock. „Jetzt haben sie verstanden, dass sie ein Alleinstellungsmerkmal besitzen, das sie nur vermarkten müssen: Ruhe, Natur ohne Bausünden und Liftmasten, viele Sonnenstunden. Sein Verband habe in neue Geräte zum Präparieren der Loipen investiert, in die Rodelstrecke vom Lehnberghaus, und im Sommer in Erlebnis-Spielplätze, Rundwanderwege und ein Moos-Biotop mit Holzstegen und einem Naturlehrpfad.
Zurück zum Grünberg: Einer der „Aufsteiger“, die das verlassene Liftwärter-Häuschen am Berg ansteuern, sagt mit einem Augenzwinkern: „Hätten früher so viele Leute einen Skipass gelöst wie jetzt mit Tourenskiern unterwegs sind – der Lift hätte nie stillgelegt werden müssen.“ Aber nein, er weine den alten Zeiten keine Träne nach.
Mehr Gäste denn je
Nach dem Verlassen der ehemaligen Piste und dem Abzweig zur Simmeringalm treffen wir Hüttenwirt Günther Aschbacher, der gerade mit der Schneekatze die Zutaten für Kaspressknödel und Kaiserschmarrn nach oben fährt. Auch er und sein Sohn Matthias bestätigen: „Seit der Sessellift weg ist, haben wir im Winter mehr Gäste denn je.“
Eine knappe Stunde später können wir uns ein Bild davon machen: Mehr als hundert Wintersportler haben den Weg hier hinauf gefunden. Die Stube ist rappelvoll, selbst draußen findet man kaum einen freien Platz. Am Holzgeländer lehnen Dutzende von Rodeln und Tourenski. Nach der Rast steigen wir noch die knapp dreihundert Höhenmeter zum Simmering hinauf. Natürlich, es ist eine Genusstour – aber was für ein Blick hinüber zur Mieminger Kette!
Zurück im Biohotel Holzleiten steuern wir den weitläufigen Wellness-Bereich an. In der Saunahütte im Garten ist nämlich ein „Meditations-Aufguss“ angekündigt. Zum Sound von tibetischen Klangschalen gießt der Aufguss-Meister ätherische Öle über den heißen Ofen. Man hat nicht das Gefühl, dass DJ Ötzi hier schmerzlich vermisst wird.
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