Sanary-sur-Mer: Thomas Manns "Paradies wider Willen"

Sanary-sur-Mer in Südfrankreich
Das idyllische Fischerdorf Sanary-sur-Mer zwischen Marseille und Toulon wurde in den 1930ern zum Zufluchtsort vieler Künstler.

Man nannte sie die „Küste der Fremden“. Die Küste Südfrankreichs zwischen Menton und Marseille war für deutschsprachige Schriftsteller lange Zeit ein Sehnsuchtsort. In den beschaulichen, aber vergleichsweise unscheinbaren Ort Sanary-sur-Mer kamen die ersten Sommerfrischler ab 1930. Es war damals preiswerter als etwa Nizza, wo der Literat Heinrich Mann („Der Untertan“) gerne urlaubte. Er hielt das idyllische, aber wenig glamouröse Fischerdorf für ein Kaff, kam aber trotzdem, um seinen Bruder Thomas zu besuchen, der hier an seinem Roman „Joseph und seine Brüder“ arbeitete.

Ab 1933, als in Deutschland die Nazis an die Macht kamen, wurde der kleine Ort zwischen Marseille und Toulon zum Zufluchtsort vieler heimatlos gewordener Künstler. In Deutschland wurden ihre Bücher verbrannt, nach Frankreich flüchteten sie in der Hoffnung, die Nazis kämen nicht bis hierher.

Literaturnobelpreisträger Thomas Mann

Literaturnobelpreisträger Thomas Mann arbeitete  in Sanary-sur-Mer an seinem Roman „Joseph und seine Brüder“.

Doch das Idyll war angezählt: Als Reaktion auf Hitlers Angriffskrieg gegen Polen ordnete Frankreich im September 1939 die Internierung der deutschen Exilanten an. Einige konnten entkommen, darunter die Werfels und die Manns. Über Marseille gelangten sie in die USA und trafen einander in Kalifornien wieder. Franz Werfel verarbeitete die Flucht von Sanary über Paris, Lourdes und Marseille in seinem Theaterstück „Jakobowsky und der Oberst“.

Rund fünfzig deutschsprachige Schriftsteller fanden in Sanary eine vorübergehende Heimat. Obwohl einige von ihnen immer „fremdelten“. Es sei ja ganz schön hier, meinte etwa Alma Mahler, beschwerte sich allerdings über die angeblich vielen Fliegen.

Eine Tafel am Rande der palmengesäumten Promenade im Hafen erinnert heute an die Künstler in Sanary – und übertreibt dabei ein wenig: Stefan Zweig und Egon Erwin Kisch etwa waren hier nur Gast. Und doch ist die Liste jener, für die Sanary zumindest vorübergehend zum Zuhause wurde, beeindruckend: Die Manns, die Feuchtwangers, die Werfels gehören zu den prominentesten. Der Schriftsteller Ludwig Marcuse sprach von Sanary gar als „Hauptstadt der deutschen Literatur“ – durchaus verbittert, denn man war hier, so beschrieb es der Literaturwissenschafter Manfred Flügge, „wider Willen im Paradies“.

Anreise
Klimafreundlich mit dem Nachtzug von Wien nach Paris und weiter mit dem TGV nach Marseille. Oder per Direktflug Wien–Marseille mit Austrian Airlines

Unterkunft 
– Hotel La Magdeleine in Gémenos. relais-magdeleine.com
– Hotel-Spa du Castellet. hotelducastellet.net

Einkaufen
Weißwein und Rosé im bei Cassis gelegenen Weingut La Dona Tigana, das dem früheren Fußball-Nationalspieler Jean Tigana gehört. domaineladonatigana.com

Auskunft 
provence-alpes-cotedazur.com,  France.fr 

Im Hafen vor der 1570 erbauten Kirche Saint Nazaire, findet man heute noch die Cafés, die zum Treffpunkt der Emigranten wurden und wo etwa Bertolt Brecht gern auf der Gitarre zupfte und Spottlieder über Hitler sang. Von hier aus lässt sich Sanary entlang der ehemaligen Künstlerunterkünfte erkunden. Vor fast allen Häusern sind Infotafeln angebracht. Ein Spazierweg führt zu einem Turm oberhalb des Hafens, im Ort nur „Le moulin gris“ genannt. Hier mieteten sich die Werfels ein. Nach dem Krieg zog der Tauchfilmpionier Jacques Cousteau ein. 

Denn nicht nur für Literaturfans hat der 16.000 Einwohnerort viel zu bieten. Im Frühjahr blühen Mandelbäume und Mimosen, bis in den Spätherbst kann man baden. Und noch ein Turm spielt eine Rolle: Der Turm von Sanary, um 1300 als Verteidigungsanlage erbaut, gilt als Ortszentrum. An ihn schmiegt sich das Hôtel de la Tour, wo sich Thomas Manns Kinder Klaus und Erika monatelang einmieteten – während ihre Mutter Katja in Sanary Haus und Garten pflegte, um dem flüchtigen Paradies eine Ahnung von „zu Hause“ zu geben.

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