Rostock: Wo Seehunde bunte Badeanzüge tragen

Mojen. Es ist Sonntagmorgen im Seebad Warnemünde, die Ostsee ist gerade einmal zwei Grad wärmer als der Gefrierpunkt, die Ostseeluft fühlt sich bei steifer Brise an wie zehn Grad Celsius unter null. Das kann aber die Rostocker „Seehunde“ nicht abhalten. Ihr Chef, Dietmar Marquardt, meint unbeeindruckt: „Das Meer ist wärmer als die Luft.“
Dreißig Mitglieder des Winterbade-Vereins gehen an diesem Jännersonntag ins Meer baden, die meisten nur zwei Minuten. „Eine Minute pro Grad“, erklärt dazu ihr Obmann, Herr Marquardt.

Doch keine Angst! Auch die Spezies warm duschender Binnenländer kann hier im Meer baden: etwa bei einem wohltemperierten „Meerwasserbad mit Algen und Unterwassermassage“ im deutschlandweit bekannten „Hotel Neptun“. Das Wasser wird aus der Ostsee direkt ins Hotel gepumpt, das Algenkonzentrat kommt aus Frankreich.
Gott mag in Frankreich zu Hause sein. Die Hanseaten verstehen es aber auch, gut zu leben. Alleine wegen des Namens muss nach dem Wellnessen der „Warnemünder Sturmsack“ verkostet werden. Bombe! Die Windbäckerei ist gefüllt mit Vanilleeis, Himbeeren und „Sahne“.

Raunzen wie die Wiener hört man Rostocker selten. Wenn es stürmt, und es stürmt im Winter oft, erklärt Stadtführer Klaus Walter gleich nach der Begrüßung: „Ich stelle mich hier mit dem Rücken zum Wind, damit Sie mich besser hören können.“ Er schafft es tatsächlich, bei seiner Führung durch die Rostocker Altstadt den wie ein Sturmsack zitternden Binnenländer eineinhalb Stunden lang gut zu unterhalten.
Die Stadt liegt Walters Ausführungen zufolge an der Warnow, 145 Kilometer nördlich der Quelle im Landesinneren von Mecklenburg-Vorpommern, zehn Kilometer südlich der Mündung bei Warnemünde.
Das -ow am Ende des Flussnamens weist auf die ersten Siedler im siebenten, achten Jahrhundert hin. „Sie waren Slawen“, ruft Stadtführer Werner in den Wind. Rostock hieß in ihrer Sprache: „Dort, wo der Fluss breiter wird.“

Das Stadtrecht erhielt man 1218. Vom Wohlstand der freien Hanse- und Universitätsstadt zeugen zahlreiche Patrizierhäuser aus Backstein mit Giebeln. Das Kröpeliner Tor ebenso. Es ist so hoch wie ein Haus mit sechs Etagen und damit ein weithin sichtbarer Hinweis auf den Reichtum der Stadt. Einst hatte Rostock zweiundzwanzig solcher Tore.
Das Bier der Seefahrer
Wieder stemmt sich der Stadtführer gegen Wind und Wetter. Dann erzählt er auf dem zweitgrößten Platz in der Altstadt, vor der alten Universität, dass dieser lange Hopfenplatz hieß: „Rostock war ein Umschlagplatz für Bier. Gleich 260 Häuser in der Stadt hatten Braurecht.“

Auf Nachfrage bedauert er, dass es heute nur mehr eine Brauerei in Rostock gibt. Die heißt wie die Stadt, ihr Dunkles ist absolut trinkbar.
Auch das Bier wurde mit Schiffen transportiert. Dem ist hinzuzufügen: Weil viele Seeleute nicht lebend von ihrer Arbeit heimkamen, hat man in Rostock das Kloster Heiligenkreuz gegründet. Wo heute ein sehenswertes Stadtmuseum Besucher anlockt, wohnten früher einmal die Witwen der Seefahrer.

Manche Baulücke, mancher Neubau erinnert an den Weltkrieg. Rüstungsfabriken der Nazis machten auch diese Stadt zu einer Zielscheibe der alliierten Bombenangriffe.
Nach dem Krieg, schon zu Zeiten der DDR, wurde dann die repräsentative Lange Straße gebaut. Anders als andere Aufmarschboulevards des SED-Regimes ist diese nicht nur sehr breit.
Anreise: Wien–Rostock per Nightjet nach Berlin oder Hamburg, von dort weiter mit dem ICE. Mehr Infos hier sowie hier.
Übernachten: In Warnemünde im 5*-Hotel Neptun, in Rostock im zentral gelegenen Motel One.
Auskunft in der Deutschen Zentrale für Tourismus.

Sieben Architektenkollektive durften eigene Ideen einbringen. Geld hat wenig Rolle gespielt, stand doch Staats- und Parteichef Walter Ulbricht persönlich hinter dem Prestigeprojekt.
Ostalgie auf dem Gaumen bietet dann die „Eiswerkstatt Rostock“ in einem der ruhigen Innenhöfe der Altstadt. Hier soll das Softeis noch so wie zu DDR-Zeiten gefroren werden.
Alte Eismaschinen kommen zum Einsatz, und auch die Rezepturen werden noch wie zu „Honis“ Zeiten verwendet. Klassiker ist Vanille-Schokolade. Mango gab es im Arbeiter- und Bauernstaat nicht.

Matjes bei Wellengang
Sonst gibt es in der Hafenstadt viele frische Fische, etwa in Otto’s Restaurantschiff. Beim Verzehr der beiden Matjesfilets, zweierlei eingelegt, mit Bratkartoffel, Salat und „Hausfrauensauce“ (sic! – für stolze neunzehn Euro) darf der Binnenländer nicht seekrank werden. Otto’s Schinakel ist zwar fix verankert, und das an der Warnow und nicht im Meer, dennoch schaukeln die Lampen wie auf hoher See.
Ein letztes Argument für eine Winterreise an die Ostsee hat noch Eisschwimmer Dieter Marquardt parat: „In der kalten Jahreszeit gibt es hier keine Schwärme von Marienkäfern, Mücken – und Kreuzfahrtschifftouristen.“
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