Höhenweg-Wandern in Osttirol: Bis die Schuhsohle abfällt

Türkisblauer Gebirgsee am Lasörlinghöhenweg
Auf dem 57 Kilometer langen Lasörling-Höhenweg hoch über dem Virgental mahnt der Wirt der Neuen Reichenberger Hütte seine Gäste eindringlich, die alpine Sicherheit wichtiger zu nehmen.

Abendessen auf der Lasörlinghütte, auf den Tellern sind Leberkäse, Erdäpfelpüree und Cremegemüse angerichtet. Die Tischrunde ist zusammengewürfelt: Die weibliche Sportskanone aus dem Salzburger Land, die jeden Gipfel mitnimmt, unterhält mit markigen Sprüchen. Der in sich gekehrte Hobbyradler aus Deutschland schweigt und nickt. Das Vater-Sohn-Gespann aus Kärnten erzählt begeistert von seinen jährlichen Weitwandertouren. Gemeinsamkeit: Sie haben alle den Gipfel des Lasörling (3.098 Meter) bestiegen, bevor sie in die Hütte eingekehrt sind.

Der Ausblick sei ein Traum, sind sie sich einig, der Anstieg jedoch ein mühsamer Schotterpfad. Die Lasörlinghütte liegt auf 2.350 Metern und ist eine private Schutzhütte am siebenundfünfzig Kilometer langen Lasörling-Höhenweg im Osttiroler Virgental. Der Weg zur Hütte führt über den Lasörlingkamm mit Blick auf den Schnee des Venedigermassivs.

Der steile Aufstieg wird mit prächtigen Ausblick belohnt 

Am nächsten Tag ziehen sich die rund fünf Kilometer zur ebenfalls privat betriebenen Bergerseehütte. Diese Etappe ist als einzige als schwer eingestuft. Der Zustieg zum Berger Törl ist steil und seilversichert. Oben wartet als Belohnung eine hochalpine Gerölllandschaft. Beim Abstieg fällt der Blick auf einen links liegenden, türkisblauen Gebirgssee. Auf der anderen Seeseite stürzen Gesteinsbrocken mit Krawall in die Tiefe. Nach dem Abstieg führt ein Weg entlang des Bergersees direkt zur Hütte, wo sich die Wandersleute nach und nach auf der Sonnenterrasse niederlassen. Einem Niederländer ist auf dem Weg die Schuhsohle abgefallen, er hat sie behelfsmäßig wieder befestigt. Gemeinsam mit seiner Tochter beschließt er, vorerst ins Tal abzusteigen. Eine Wanderführerin aus Deutschland kommt abends aufgewühlt zur Hütte und erzählt: In ihrer Wandergruppe sei wer krank geworden, anderen sei die Tour zu anstrengend. Sie trage die Verantwortung und müsse sich nun überlegen, was zu tun sei.

Höhenweg-Wandern in Osttirol: Bis die Schuhsohle abfällt

Fast direkt hinter dem See thront am Hochplateau die Neue Reichenberger Hütte. 

Nachhaltige Hüttengaudi

Tags darauf legt eine heitere Mädelsrunde aus dem Raum München ein ganz schönes Tempo vor, um auf die Neue Reichenberger Hütte zu gelangen. Zehn Kilometer, tausend Höhenmeter. Die Route beginnt auf dem Muhs-Panoramaweg und führt nach einem Abstieg steil bergauf in Richtung Michltalscharte. An den 2.652 Meter hohen Übergang schließt die Rote Lenke (2.793 Meter) an, die als anspruchsvollste Stelle der Etappe gilt. Von jetzt an geht es nur mehr bergab und geradeaus, vorbei am in der Sonne glitzernden Bödensee. 

Die Neue Reichenberger Hütte

Verschnaufpause in der Neuen Reichenberger Hütte

Fast direkt hinter dem See thront am Hochplateau die Neue Reichenberger Hütte. Vor dem stattlichen Alpenvereinshaus verteilen sich Liegestühle, in denen entspannt und geplaudert wird. Einstimmung aufs Abendessen. Hier oben wird jeden Tag frisch gekocht – und zwar ausschließlich vegetarisch. Aus pragmatischen Gründen: Das Haus hat zu wenig Gefriermöglichkeiten und die Entsorgung von Fleisch und Soßenresten ist aufwendig und teuer. „Außerdem schadet es nicht, weniger Fleisch zu essen“, findet Hüttenwirt Werner Kuba. 

Abfall wird mit ins Tal genommen

Gerichte wie cremige Suppen, Chili mit Sojagranulat, Linseneintöpfe oder Kichererbsencurry versorgen die Wandernden mit Eiweiß. Verfeinert wird das Essen mit reinen Gewürzen statt mit fertigen Gewürzmischungen. Trotz der fleischlosen Kost sind Speck und Salami am Frühstückstisch drin, zusätzlich zu selbst gebackenem Brot, Käse und am Vorabend angesetztem Birchermüsli. „Ich will aber nicht sehen, dass die Hälfte davon in der Müslischale bleibt“, mahnt der Hüttenwirt allabendlich seine Gäste. Und ersucht sie gleichzeitig, ihren Abfall selbst mit ins Tal zu nehmen. Jeglicher Müll muss am Ende der Saison per Hubschrauber hinunter geflogen werden, das ist kostspielig. Auch Wasser und Strom sind hier oben keine Selbstverständlichkeit. Warm zu duschen, ist ein Luxus, den es nur per Münzeinwurf gibt. „Wir verfügen glücklicherweise über eine eigene Quelle. Strom erzeugen wir mit einer PV- Anlage auf dem Dach und einem kleinen Wasserkraftwerk selbst“, erklärt der Hüttenwirt über Energieversorgung und Hüttentechnik.

Hüttenwirt Werner Kuba und seine Frau Christina

Hüttenwirt Werner Kuba und seine Frau Christina achten auf Nachhaltigkeit

Sicher am Berg

Solche Einblicke und Impulse versucht Werner Kuba ohne Zeigefinger zu geben, wie er später am Telefon berichtet. Das sei ein Balanceakt. Er beschreitet ihn jeden Abend, wenn er sich nach dem Essen zu den Leuten in die Stube setzt. „Reden wir über alpine Sicherheit im Hochgebirge“, sagt er dann auch. Da wird es ruhig im Raum. Kuba spricht klar und eindringlich. Vor allem am Anfang der Wandersaison, wenn noch viel Schnee auf den Übergängen liege, komme es oft zu brenzligen Situationen. Auch im Sommer könnten Wetterumschwünge und Gewitter gefährlich werden. Auf Höhenwegen lauere die größte Gefahr in der Kombination aus Unterkühlung und Energieverlust. „Man verkrampft, wird weniger trittsicher – das führt zu einer angstvollen Dynamik und weiterem Energieverlust. In diesem Zustand rutscht man schneller aus oder knickt um“, sagt Kuba.

Anreise Der Weitwanderweg startet in Matrei in Osttirol. Erreichbar mit Zug und Bus, von Wien in etwa 7 Stunden. oebb.at

Lasörling Höhenweg Der Weg führt auf rund 57 Kilometern über dem Virgental und lässt sich  in drei bis sechs Etappen begehen. Von jeder Hütte aus ist ein Abstieg ins Tal möglich. Ziel ist der Parkplatz Ströden bei Prägraten, wo eine Einkehr im Almgasthaus Islitzeralm belohnt

Auskunft osttirol.com

3.740 Höhenmeter legt man bergauf auf dem Weitwanderweg zurück, der als  mittel-schwierig eingestuft ist. Vorab  über  Streckenverlauf, die einzelnen Etappen und Wetterbedingungen informieren! 

Er rät, sich vor einer geplanten Mehrtagestour mit dem Wetter vertraut zu machen oder Ortskundige danach zu fragen. Die Mehrzahl der Gäste mache das nicht. Sich mental auf einen Notfall vorzubereiten und richtig ausgerüstet zu sein, könne jedenfalls lebensrettend sein. „Nehmt euch ein Erste-Hilfe-Set samt Rettungsdecke mit“, empfiehlt er. Auch ein Biwaksack könne im entscheidenden Moment Leben retten. Mit im Rucksack sollten noch eine warme Haube, warme Handschuhe, lange Unterwäsche und dichte Kleidung sein. Auch gute Schuhe, in denen man häufig unterwegs ist, sind ratsam – damit im ungünstigsten Fall nicht einfach die Sohle abfällt, wie bei dem niederländischen Wanderer. „Habt ihr noch Fragen?“ Nach kurzer Denkpause ergibt sich eine Diskussion.

Die Wanderer verteilen sich am nächsten Morgen in sämtliche Richtungen entlang des Lasörling Höhenweges. Dabei bleibt Zeit genug, um Kubas Worte nachklingen zu lassen.

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