Mit dem neuen Nachtzug nach Rom: Zwischen Nostalgie und Mini Cabins

ÖBB Nightjet Couchette Liegewagen am Hauptbahnhof in Wien am Bahnsteig vor der Abfahrt Richtung Rom
Seit Mitte September verkehren die neuen Nachtzüge der ÖBB auf den Strecken Wien-Rom und München-Rom. Warum die Fahrt trotz modernster Ausstattung eine kleine Zeitreise ist.
Von Lea Moser

Eine Reise mit dem Nachtzug ist eine Reise in vergangene Zeiten. Als Damen im Speisewagen mit Handkuss begrüßt wurden. Als damit noch Abenteurer, Diplomaten und Detektive verreisten. Der belgische Geschäftsmann Georges Nagelmackers brachte Schlafwagen nach Europa und gründete die Compagnie Internationale des Wagons-Lits. Die Züge der CIWL fuhren ab den 1880er-Jahren mit Speisewagen, Schlaf- und Gepäckwagen zwischen den Metropolen Wien und Paris – die Grundlage des Orientexpress bis Konstantinopel. Dessen Wagons-Lits waren einst Schauplätze kleiner Geschichten, die zu großer Literatur verwoben wurden. Getragen von Luxus und Überfluss, von Muße und einer Zeit, in der Reisende noch die Geduld hatten, den Weg zu schätzen und die sonst unwahrscheinliche Begegnung mit dem anderen.

Historisches schwarz-weiß Foto Nachtzug, Mann liegt im Schlafwagen im Bett mit Mitropa Zeitung auf der Brust

So reiste man anno dazumal im Nachtzug durch Europa

Der Nachtzug von heute ist anders: spartanischer Komfort statt Luxus, NFC-Plastikkarten statt Concierge mit Schlüsselbund. Das Bedürfnis nach Privatsphäre wird größer, während der Wunsch nach Begegnung schrumpft. In der neuen Generation des Nightjets reist man in Einzelkabinen oder Schlafkapseln: Ungestört vom Klogang oder Schnarchen der Mitreisenden, aber auch ohne Chance auf Zufälle. Immer seltener erfährt man etwas über seine Mitreisenden bei einer geteilten Packung Kekse oder einer gemeinsam getrunkenen Flasche Wein. Doch auch wenn die Zeit der Speisewagen-Philosophie zu Ende geht, das Nachtzuggefühl bleibt. Die Abenteurer von heute sind verliebte Pärchen, die in den Mini Cabins Karten spielen, Studentinnen, die ihre übergroßen Rucksäcke in winzige Gepäckfächer stopfen und Familien mit Brettspielen und Fahrrädern. Im Nachtzug erfasst die Reisenden eine seltsame Geborgenheit: Draußen ziehen verlassene Landschaften vorbei, Orte, die in der Dunkelheit ihren Sinn verlieren, Industrie, Verschubbahnhöfe, Felder. Ein Dorf, das man nie besuchen wird, hell erleuchtet für einen kurzen Moment, bevor es wieder zum leeren Schatten wird.

  • ÖBB Nightjet: Neu sind u.a. die Schlafkapseln (Mini Cabins) für Alleinreisende und ein elektronisches Zutrittssystem zu den Kabinen mit NFC-Karten 
  • Wege nach Rom Täglich ab Wien, Sparschiene in der Mini Cabin/im Liegewagen ab 54,90 Euro;  Schlafwagen ab 99,90 Euro. nightjet.com
  • Klimaverträglich reisen: Ein Flugzeug produziert auf einem Kilometer etwa 31 Mal so viel CO2-Emissionen wie ein Zug

Und drinnen: eine ganze Welt für sich. Die Gemütlichkeit breitet sich in der engen Kabine immer mehr aus, je unwirtlicher die Landschaft draußen wird. Das wird schmerzlich bewusst, wenn man vom warmen Zugbett aus auf einen Bahnsteig blickt, auf dem ein obdachloser Mensch im Freien schläft. Selbst kuschelt man sich in seine Nische, schaltet mit Ohrstöpseln und Schlafmaske die Welt aus und flüchtet sich in sprunghafte Träume.

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