Minnesota: Von der Waldeinsamkeit in die Metropole
L'étoile du nord – der Stern des Nordens, so lautet das Motto des US-Bundesstaats Minnesota. Tatsächlich: Nördlicher als hier geht es auf amerikanischem Boden mit Ausnahme von Alaska nicht. Zwischen den beiden Dakotas im Westen, Wisconsin im Osten, Iowa im Süden und Kanada im Norden liegt der Bundesstaat, den man auch „Land der 10.000 Seen“ nennt.
„Eigentlich sind es ja 11.842 Seen, aber wer zählt schon so genau“, sagt Jake Juliot von Explore Minnesota. Die Reisegruppe sitzt gerade im Kleinbus auf dem Weg nach Duluth. Hellgrüne, lichte Birkenwälder ziehen am Autofenster vorbei, die Fortsetzung des berühmten Highway 61 (Bob Dylan benannte sogar ein Album danach) schlängelt sich gemächlich durch das endlose Grün. Und immer wieder dazwischen: Tümpel, Teiche, Moore, Seen. Es gibt tatsächlich kaum eine Strecke, die man in Minnesota zurücklegen kann, ohne auf Wasser zu stoßen.
Zu Land, zu Wasser
Steht man dann in der Hafenstadt Duluth zum ersten Mal am Ufer des Lake Superior (Oberer See auf Deutsch), des flächenmäßig größten Süßwassersees der Welt, fehlen einem die Worte. Unendlich breitet sich der Horizont vor dem Blick aus, der versucht, die Weite zu erfassen. In der Sprache der Menschen, die seit jeher hier am See lebten, den Ojibwe oder Chippewa, trägt der See den Namen gichigami: großer See.
Glockengeläut unterbricht die Kontemplation und lenkt den Blick auf die Aerial Lift Bridge. Sie ist das Wahrzeichen der historischen Stadt am See: eine historische Hubbrücke, die innerhalb von fünfundfünfzig Sekunden auf vierzig Meter angehoben werden kann, um großen Schiffen die Ein- und Ausfahrt in den Hafen zu ermöglichen. Ein Schauspiel, das sich bis zu dreißig Mal am Tag ereignet und Schaulustige mit gezückten (Handy-)Kameras auf den Pier lockt.
Raue Schönheit
„Duluth ist auf Granitfelsen gebaut. Viele Nebelhörner, Seeleute, Holzfäller, Stürme, Blizzards“, so beschreibt der berühmteste Sohn der Stadt, Bob Dylan, seinen Geburtsort. Die Stadt ist also nicht besonders lieblich – aber dafür sehr reizvoll. Das von Backsteinbauten geprägte Straßenbild atmet authentischen Industriestil. Die alten Lagerhallen und Fabrikgebäude sind längst zu Restaurants, Craft-Brauereien, oder Geschäften umgebaut worden.
In einem der alten Gebäude im belebten Stadtteil Canal Park befindet sich die Vikre Distillery. In der von Emily Vikre und ihrem Mann Joel betriebenen Brennerei wird für die Produktion der hauseigenen Spirituosen nur Wasser aus dem Lake Superior verwendet. „Wir haben hier in Duluth das beste Wasser der Welt“, sagt Emily stolz, „es hat wenige Mineralien und ist besonders weich.“ Und das schmeckt man dann auch im „Boreal Juniper Gin“ oder „Voyageur Aquavit“.
Die Küste entlang
Hier, in Duluth, beginnt die North Shore (Nordküste). Diese am North Shore Scenic Drive entlangzufahren ist ein absolutes Muss für alle, die sich an Wald und Wasser nicht satt sehen können. Pastellfarbene Holzknusperhäuschen, rustikale Blockhütten und elegante Villen am Ufer ziehen die Blicke der Vorbeifahrenden auf sich, von vielen weht die US-Flagge, dazwischen: dichter Wald und immer wieder das umwerfende Seepanorama. Vier Stunden könnte man so weiterfahren, dann wäre man in Kanada.
Doch dann würde man die Gooseberry Wasserfälle verpassen, die am Weg liegen – nur einen kurzen Fußmarsch durch den Wald vom Bus entfernt. „Gibt es hier Bären?“ Aber nein. Leicht verunsichertes Lachen ringsum. Wie lauten noch mal die Verhaltensregeln für den Fall der Fälle? „ If it’s brown lay down, if it’s white good night.“ („Ist es ein Braunbär, leg dich hin, ist es ein Eisbär, gute Nacht“) So weit, so gut. Und was, wenn es ein Schwarzbär ist? Keiner weiß es. Macht auch nichts, die Wanderung zum Gooseberry River und seinen breiten, von hohen Nadelbäumen gesäumten Wasserfällen verläuft ohne Zwischenfälle.
Das tiefbraune Wasser ist eine Besonderheit des „Stachelbeerenflusses“. Die Farbe verdankt es nicht etwa Schlamm und Sedimenten, sondern den Gerbstoffen von Holz, Rinde und Blättern.
Stürme und Einsamkeit
Nur ein Stück weiter die Küste entlang wartet Minnesotas fotogenste und meistfotografierte Sehenswürdigkeit: das 1910 erbaute Split Rock Lighthouse, das hoch auf einer Klippe über dem Wasser thront. Hier ist das Reich von Hayes Scriven. Der 41-Jährige ist der sechsunddreißigste Leuchtturmwärter und lebt mit seiner Familie in einem der historischen Wärterhäuser unterhalb des Turms.
Hier war einst eine gefährliche Gegend für die Schifffahrt – und eine wichtige. Denn das in Minnesotas Iron Range abgebaute Eisenerz wurde über den Lake Superior in die Stahlwerke der Welt verschifft. Doch immer wieder kam es vor der rauen Nordküste zu Schiffsunglücken. Bei einem Sturm im November 1905 mit fast zehn Meter hohen Wellen zerschellte ein schwerer Lastkahn an der Klippe direkt vor dem Split Rock. Insgesamt versanken in diesem Sturm dreißig Schiffe im See. Ein Leuchtturm musste also her. Übrigens: Das Wrack des Schiffes liegt noch heute auf dem Grund des Sees und ist ein beliebter Tauchplatz.
Scriven steigt die Wendeltreppe des Leuchtturms hinauf, der Wind pfeift laut um den Turm. „Bei Nordostwind versteht man hier sein eigenes Wort nicht mehr“, sagt Scriven und lacht. Rund um den Leuchtturm gibt es weit und breit nur Wald und Wasser. Aber das stört ihn überhaupt nicht: „Ich bin nie einsam, ich habe hier jeden Tag 1.500 Besucher – und wenn alle weg sind, sitze ich auf meiner Terrasse und schaue aufs Wasser.“ Er liebt die Nordküste.
Und auch die eine oder andere unerklärliche Begegnung bringt ihn nicht aus der Ruhe. Etwa als er eines Nachts oben am Turm stand und nach unten in Richtung des angeschlossenen Museums schaute. „Ich schwöre, dass ich einen Mann in Uniform gesehen habe, der schnellen Schrittes den Platz überquerte. Da habe ich mir nur gedacht: ,Zeit fürs Bett‘“.
Hat man ein paar Tage entlang der dünn besiedelten Nordküste des Lake Superior in Waldeinsamkeit und kleinen Küstenorten, wie etwa der beschaulichen Künstlerkolonie Grand Marais verbracht, könnte man fast vergessen, dass weiter südlich die pulsierende Metropolregion der sogenannten „Twin-Citys“ wartet. Und auch die hat viel Sehenswertes zu bieten.
Stadt der Kontraste
Etwa den historischen Mill District, direkt am Ufer des Mississippi, der Minneapolis von ihrer Zwillingsstadt St. Paul trennt. Unübersehbar sind hier die Ruinen der Washburn A Mill im Zentrum der Skyline, die 1878 wegen einer Mehlstaubexplosion erst in die Luft flog und 1991 dann durch ein großes Feuer endgültig zerstört wurde – auf der Website des heutigen Mill City Museums mit einer großen Portion Selbstironie als „feurige Vergangenheit“ zusammengefasst.
Im Walker Art Center, einem der meistbesuchten Museen moderner Kunst in den USA und dem angrenzenden Skulpturenpark kann man Stunden verbringen. In der Mall of America ganze Tage. Sie ist mit fünfhundert Geschäften und einem Erlebnispark das größte Einkaufszentrum der USA. Praktischerweise gibt es direkt an die Mall angeschlossene Hotels. Und auch ein Besuch in Paisley Park, Wohnsitz und Musikstudio des Musikers Prince, ist Pflicht für Minneapolis-Neulinge. Die Lage des großen Gebäudes – direkt neben einem Highway – ist dabei ebenso ungewöhnlich wie das Gebäude selbst. Fenster sind auf den ersten Blick von außen keine zu entdecken, die von Prince designten Innenräume verbreiten den herben Charme eines 90er-Jahre-Motels und ein Blick nach oben auf die Raster-Kassettendecke weckt Erinnerungen ans Großraumbüro.
Kurz gesagt, Prince war ein Ausnahmemusiker, auf den man in Minnesota zu Recht sehr stolz ist. Aber Inneneinrichtung war nicht seine größte Stärke. Doch seine Magie wirkt auch heute noch. Als sich die Tourgäste selbst auf Aufforderung des Guides zurückhaltend zeigen, auf Princes Pingpongtisch eine Runde zu spielen, greift ein klassischer American Dad mit Kappe und Kurzarmkarohemd entschlossen zum Schläger: „Come on, do it for Prince!“
Anreise
5 Mal pro Woche non-stop mit Lufthansa ab Frankfurt nach Minneapolis-St. Paul, ab 572 € (Economy, inkl. Steuern und Gebühren).
Flugzeit: 8:20 Std. mit der Boeing 787-900.
-Kompensation via atmosfair.de: 142 €
Reisezeit
– Frühling und Sommer: Lange, sonnige Tage und warme Abende laden zu Bootstouren, Angeln und Wassersport ein. Durchschnittlich 13 Grad im Frühling und 25 bis 30 Grad im Sommer
– Herbst: Der Herbst taucht die Natur des Bundesstaates in spektakuläre Farben, die man beim Wandern oder vom Wasser aus bestaunen kann. Durchschnittlich 15–20 Grad
– Winter: Abenteuer wie Eisangeln, Skilanglauf und Skifahren, Hundeschlittenfahrten und Schneeschuhwanderungen sorgen für Winterzauber. Durchschnittlich –11 Grad
Hotels
– Moxy Minneapolis Downtown, marriott.com
– JW Marriott Minneapolis Mall of America
– The Lift Bridge Lodge Duluth, liftbridgelodge.com
Auskunft
https://www.exploreminnesota.com/
und VisitTheUSA.de
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