Kreta: Selbstfindung auf einer griechischen Insel

Blick auf eine Küstenlandschaft mit Bergen, einem Fluss und einem Strand unter blauem Himmel.
Wenn sich der Winter hierzulande nicht und nicht verzupfen mag und die Seele nach Sonne, Wärme und spiritueller Inspiration schreit, dann sollte man aufbrechen.

Vollklimatisiert, all-inclusive, Poollandschaft und Sirtaki nach dem Dessert: Diesen Urlaubsklassiker kennt man. Nichts dagegen zu sagen, doch manchmal dürstet die Seele nach Alternativen abseits des üblichen Entspannungsmodus. Überhaupt in jener Zeit des Jahres, in der sich wärmere Luft behutsam über Europa legt, hierzulande noch zögerlich, im Süden bereits entschlossener.

Eine Karte von Kreta, Griechenland, mit hervorgehobenen Städten und dem Kretischen und Libyschen Meer.

Kreta, Griechenland

Der Sonne entgegen, dem Winter davon – wann, wenn nicht im Frühjahr, wird diese Floskel zum dringlichen Anliegen. Man träumt – und schon wirkt das Wunder Zufall: Zwei Frauen erzählen auf Facebook vom speziellen Spirit Südkretas, und dass sie diesen anderen Frauen gerne wandernd und naturverbunden nahebringen wollen: Martina Draper, die Fotografin (martina-draper.at) und Maria Sono Magia (ihr Künstlername), die ihren Gongs besondere Klänge entlockt. Klingt spannend, Anmeldung erbeten – check. Und wer sich jetzt fragt, was Gongs sind: handgefertigte, verschieden große Scheiben aus Neusilber, die sanft gespielt werden und deren Frequenzen in meditative Zustände führen.

Über uns die Milchstraße

Einige Wochen später geht’s per Flieger nach Heraklion, und dann etwas mehr als eine Stunde mit dem Taxi nach Plakias, durch die imposante Landschaft, in ein gepflegtes Haus samt großer Terrasse mit weitem Blick auf das Azurblau des libyschen Meers. Nichts als Sonne, Stille und ein paar Frauen auf der Suche nach tiefgründigen Erfahrungen – aber nicht nur: Sie wollen es auch lustig miteinander haben. Welch’ ein gelungenes Experiment. Es wird viel geredet, gemeinsam gekocht und gegessen, getrunken, gelacht – und irgendwann, zu Neumond, gegen fünf Uhr früh, auf der Terrasse zu den Klängen der Gongs meditiert. Und über uns die Milchstraße – einfach nur magisch.

Gelbe Blütenstände einer Rutenpflanze vor einer Berglandschaft.

Dolden des giftigen Riesenfenchels, eine der auffälligsten Pflanzen auf Kreta

Der Süden Kretas gilt als Mekka der Sinnsuchenden und Hotspot für Retreats aller Art – von Yoga bis Mediation, man malt, man tanzt, man atmet und geht viel bergauf. „Bei jedem Schritt mit der Natur bekommt jemand weit mehr, als er sucht“, meinte John Muir, Schotte und Naturalist. Menschen, die gerne gehen, um bei sich anzukommen, sind hier richtig. Die Landschaft ist weitgehend unverfälscht, keine Spur von Touristenhochburgen. Je weiter südwestlich, desto wilder und ursprünglicher wird es. Ein anderes Kreta, eines, das Naturbelassenheit, Geschichte und Mythen zum ungeschminkten Gesamtkunstwerk vereint.

Auch hier locken immer mehr schicke Villen mit Infinitypools – trotzdem bleibt alles auf charmante Weise bodenständig. Die Straßen können holprig und schmal sein, viele Wege sind ungesichert, die felsige Landschaft wirkt archaisch. Wanderer entdecken Almen genauso wie schroffe Klippen, die steil ins Meer hinabfallen. Jeder, der es liebt, in Canyons oder Schluchten herumzukraxeln, wird hier glücklich. Und in keiner Gegend gibt es so viele Höhlen, im Meer und auf dem Land. Raus aus der Komfortzone, um neue und ungewohnte Wege zu entdecken, das ist das Mantra. Rasch entfaltet der Sinn der Sinnsuche seinen Zauber.

Ein Restaurant mit Holztischen und Stühlen unter einem großen Baum an einer felsigen Küste.

Die idyllische Taverne Nikos & Anna in Rodakino

Ein Bad im Blütenmeer

Speziell im Frühjahr badet man im Wildblumenmeer, unter Olivenbäumen blüht es üppig und bunt. Anemonen in Weiß, Rosa, Lila, Leinkraut, gelber Sauerklee, Stechginster – oder „Cretan Dittany“, der Diptam-Dost. Ein Universal-Heilkraut, das nur hier zu finden ist, und Violettrosa schimmert. Die Monate April und Mai sind insofern die ideale Reisezeit, als der kretische Süden kein touristisches Niemandsland mehr ist und es auch dort trubelig werden kann. Speziell die Gegend um den Badeort Plakias wird im Hochsommer stark besucht, während im April alles noch herausgeputzt wird, und man in den Tavernen immer einen Platz findet.

Blick auf eine Küstenstadt mit Bergen im Hintergrund bei Sonnenuntergang.

Kretas Südküste

Was Plakias trotzdem nicht ist: eine Partyhochburg. Dafür punktet es mit Ausflugszielen, wie etwa die Schluchten von Kourtaliotiko, drei Kilometer lang, mit sechshundert Meter hohen Klippen, zahlreichen Höhlen und Wasserfällen – höchst dramatisch. Darin liegt das Bachbett des Megalopotamos, der im Meer unweit des Klosters Preveli mündet und sich dort, an einem der schönsten Strände Kretas, zu einem glitzernd türkisfarbenen Mini-See formt, umrahmt von einem Hain kretischer Dattelpalmen.

Die Insel der Frauen

Dass sich, im spirituellen Sinn, Frauen zu Kreta besonders hingezogen fühlen, mag mit der zentralen Rolle des Weiblichen in der minoischen Religion zu tun haben. Auch, wenn die Ära der Minoer als älteste Hochkultur Europas (zwischen 3000 und 1400 vor Christus) nach wie vor zahlreiche Rätsel birgt, spielt der Göttinnen-Mythos eine bedeutende Rolle, der minoische Götterhimmel ist dominant weiblich. Das hat durchaus Bedeutung, auch wenn die Existenz einer rein matriarchalischen Kultur wissenschaftlich angezweifelt wird.

Kein Wunder, dass Maria hier ihre zweite Heimat gefunden hat, sie bietet Retreats und Wanderungen an. Die Magie „der Erde Südkretas“ beschreibt sie als mütterlich und wild: „Sie entsteht für mich durch die fühlbare Kraft der Elemente und der vorhandenen Göttinnen-Energie, sie öffnet in mir ein Gefühl der Hingabe und des Ur-Vertrauens in das Leben selbst.“

Nach so viel purem Kreta, und dermaßen aufgeladen, lebt sich der Alltag daheim gleich viel leichter.

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