Ein Essay: Die Malediven und das inszenierte Paradies
Maumoon Abdul Gayoom, langjähriger Präsident der Malediven, machte sich schon 1992 Sorgen um sein Land: Der Archipel drohe durch den ansteigenden Meeresspiegel infolge des Klimawandels samt Erderwärmung unterzugehen. Denn die meisten der 1.200 Inseln ragen nur einen Meter aus dem Indischen Ozean. 1978 war Gayoom gewählt worden. Er verfügte damals, weil er die traditionelle Kultur schützen wollte, dass Hotels nur auf unbewohnten Inseln errichtet werden dürfen. An sich kein Problem: Besiedelt sind ohnedies nur 220.
Derzeit werden rund 170 Inseln touristisch genutzt. Und als Urlauber lernt man in der Regel auch nichts anderes als seine Hotelinsel kennen, man besichtigt nicht einmal die Hauptstadt Malé (sie soll laut und hässlich sein), man genießt die bemessene Zeit – mit Tauchen, Schnorcheln, Nichtstun. Man starrt gebannt aufs türkise Meer, und sollte die Insel groß genug sein, kann man durch den grandios weißen Sand laufen.
Diese Inseln, jede für 99 Jahre verpachtet, sind in gewisser Weise exterritoriale Gebiete, für die Bevölkerung tabu wie einst das Refugium von Tito vor der Küste Istriens. Auf ihnen ist all das gestattet, was an sich verboten ist, Homosexualität zum Beispiel, sexy Kleidung, der Verzehr von Schweinefleisch und der Genuss von Alkohol. Denn die Malediven sind ein muslimischer Staat. Mit einer gewissen Doppelmoral.
Die Eigenständigkeit der Hotelinseln zeigt sich schon daran, dass viele eine eigene Inselzeit haben. Denn die Urlauber wollen länger schlafen. Und der Sundowner soll doch bei Sonnenuntergang getrunken werden können – und nicht erst danach.
Eine künstliche Welt
Auch Finolhu, Teil des Baa-Atolls, hat eine Inselzeit. Es ist in der Tat ein Paradies, eine Kette aus vier Inseln, verbunden durch Sandbänke. Geschaffen aber nicht von Gott. Finolhu ist eine künstliche Welt. Eine Inszenierung. Noch vor dreißig Jahren war der Urlaub ein kleines Abenteuer. Auf der Flughafeninsel bei Malé stieg man in ein Boot und schipperte mitunter viele Stunden zu seiner erschwinglichen Unterkunft. Dort gab es nicht viel mehr als Palmen, Sand und Meer, Millionen Fische und atemberaubende Korallenriffs. Man konnte bloß zwischen Huhn und Thunfisch wählen. Es gab eine einzige Bar, sie war neben dem Schuppen mit den Taucheranzügen, und man musste nach dem Tauchgang alle Teile selber abwaschen. Man trank Cola und Bier, die Musik kam scheppernd aus dem Gettoblaster. Mehr brauchte es nicht, um im Glück zu sein.
Mittlerweile ist alles reglementiert. Auch aufgrund der strengen Umweltschutzauflagen und der hohen Steuern kann es keine billigen Unterkünfte mehr geben. Es gibt daher auch nicht mehr das Feeling, auf einer einsamen Insel gestrandet zu sein. Heutzutage nimmt man – wie in Venedig das Vaporetto – das Wasserflugzeug. Im Zehn-Minuten-Takt heben die Maschinen der Trans Maldivian Airways ab. Der Slogan „Your Gateway to Paradise“ verspricht nicht zu viel. Lässig schwingen sich die Piloten auf ihre Sitze: weißes Hemd mit Verzierungen, Sonnenbrille, riesige Uhr, kurze Hose und Flip-Flops.
Eine halbe Stunde später (wenn Gewitter keine Zwischenlandungen erzwingen) landet man in der Lagune von Finolhu. Das Resort ist quasi das Gegenteil einstiger Erlebnisse: eine High-End-Hotelinsel, ein Refugium der Luxusklasse. 2016 wurde es mit Unmengen an Stahlbeton aus dem Boden gestampft. Drei Jahre später übernahm der Hamburger Gregor Gerlach die Anlage (er hatte bereits zwölf Hotels in Europa, aber keine Bleibe für den Winter) und ließ sie während Corona „komplett neu“ designen.
Absurdes Bühnenbild
Die Hauptinsel mit allen wichtigen Facilitys (diverse Restaurants, Spa und Gym), lose verstreut, hat etwas von einem Dschungel. 850 Kokospalmen wurden gepflanzt, fünfzig Bananenstauden und ebenso viele Papaya-Bäume. Gesandete Wege führen durch die üppige Vegetation, Elektrobuggys surren umher. Die „Lagoon Villas“ und „Ocean Pool Villas“, Hunderte Quadratmeter groß, spielen alle Stückerln. Ja, so stellt man sich das Urlaubsparadies vor. Doch mit der Zeit merkst du, dass du Teil einer Inszenierung bist. Klar wird dir das spätestens, wenn du über die lange Sandbank zur Insel mit dem vorzüglichen Restaurant „Crab Shak“ gegangen bist – und vor einem uralten, roten VW-Bulli stehst. Eine grandiose, absurde Kulisse.
Von nun an fallen dir die Details der Inszenierung auf. Die Bungalows sind, bloß als Zierde, mit Palmblättern aus Plastik gedeckt. Weil echte zu schnell verrotten würden und es Ratten gäbe. Auf der Außenseite der Insel gibt es Dämme aus Stein, damit der Sand nicht weggeschwemmt wird. Palmen am Strand werden mit Säcken gestützt. Mit Kabelbindern und Gestellen aus Stahl bastelt man Ersatzteile für Korallenriffs. Hinter Mauern aus Plastikpalmenblättern brummt die Theatermaschine mit den Dieselgeneratoren. Und im „Backstage“-Bereich liegen die Wohnblöcke der Angestellten (samt „Guest Etiquette“-Tafeln). Allerorts wird man mit Musik beschallt, selbst am Strand, prächtig präpariert wie der Ganslernhang: Zwischen den Liegebetten, die sich genauso wenig verschieben lassen wie die Sonnenschirme (aber sehr cool ausschauen), ist ein Lautsprecher vergraben.
Die Truman Show
Hunderte gute Geister wieseln herum – auf 320 bis 350 Gäste kommen 380 Angestellte. Sie rechen andauernd die Wege, da liegt kein Blatt herum. Sie schenken dir ein Lächeln, wünschen dir einen schönen Tag. Und der Butler – er betreut vier Villen, also maximal acht Gäste – fragt erneut nach, ob er etwas buchen darf, ein Treatment etwa oder einen Tauchgang.
Finolhu Baa Atoll
Das Resort zählt zu den 25 luxuriösesten Anlagen auf den Malediven. Alle Restaurants bieten Spitzengastronomie, es gibt viele Freizeit-Angebote und eine Tauchschule, finolhu.com/de
Nicht gerade preiswert
Eine Beach-Villa (ohne schönen Blick) kostet im August für zwei Personen samt dem Essenspaket Premium in der Woche inkl. aller Steuern rund 14.000 US-$, eine Ocean-Pool-Villa (sehr empfehlenswert) 15.600 US-$. Im Jänner 2024 muss man mit 17.600 bzw. 20.300 US-$ rechnen. Hinzu kommen der Flug nach Malé und das Wasserflugzeug (590 US-$ pro P.)
Irgendwann denkt man an Jim Carrey und den Film „Die Truman Show“ (1998): Alle Menschen, denen Truman in der Kleinstadt Seahaven begegnet, sind Statisten oder Schauspieler. Die Welt ist bloß Simulation, aber immerhin noch nicht virtuell. Dann ergibt man sich dem gnädigen Schicksal. Und genießt, ohne weiter nachzudenken. Die Abmachung lautet: Wir haben keine Ahnung, wie man die Lichter auf der Terrasse rund um den Pool ausknipst, wir ziehen einfach die blickdichten Vorhänge zu.
Die Reise erfolgte auf Einladung von Finolhu.
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