Der Magadisee schimmert wie ein glatt geschliffener Opal in der Mitte der Senke. Was von oben wie winzige Fliegendreck-Pünktchen aussieht, entpuppt sich sechshundert Meter tiefer als Ansammlung von Giganten. Eine Elefantenherde bummelt über eine Sandpiste und bricht dann in den Wald. Die besten Bissen sind auch in der Tierwelt nicht einfach zu erreichen und so recken und strecken die grauen Riesen ihre Rüssel gen Himmel, um ein paar zarte Blätter aus den Baumkronen zu zupfen.
Doch Noel drängelt zum Weiterfahren, denn ein Tag im Krater vergeht wie im Flug und muss gut eingeteilt sein. Zunächst geht es über eine Ebene, auf der sich Hyänen in der Morgensonne wärmen. Sie sind zu faul, um auch nur zu schauen, als ein Grüppchen Thomson-Gazellen vorbeihüpft – eigentlich ein Festmahl für die gefleckten Raubtiere. Der Landcruiser folgt der Piste Richtung See. Wie bei einer Parade laufen Zebras im Gänsemarsch das Ufer entlang und in der Ferne schimmert es rosarot. „Flamingos“, ruft Noel und gibt Gas, dass der Staub aufwirbelt. Doch schon erhebt sich die rosarote Wolke und entschwebt. Macht nichts. Der Kessel steckt voller weiterer spektakulärer Erlebnisse.
„Was wollt ihr sehen?“, fragt Noel, als gäbe es eine Wildlife-Menükarte zum Aussuchen. Löwen, lautet die Antwort, was Noel nicht wundert. Die Raubkatzen mit den messerscharfen Zähnen stehen oft ganz oben auf der Hitliste der Safarigäste und sind sein Spezialgebiet. Rund hundert Löwen genießen ein süßes Leben im Krater. Ihre Lieblingsspeisen – Gazellen, Gnus und Büffel – präsentieren sich ihnen wie auf einem gut gefüllten Buffet.
Die Geier weisen Noel den Weg. Sie umkreisen einen Büffelkadaver und ziehen mit ihren Hakenschnäbeln Fleischfetzen von den Knochen. Auch die Hyänen haben offenbar Lunte gerochen. Drei Männchen traben mit ihrem schaukelnden Gang über die Ebene an.
Wenn die Kameras verstummen
„Das war der Tok tok-Pride“, erklärt Noel, „ein Löwenrudel, das sich immer in der Nähe des Picknickplatzes Ngoi Tok tok herumtreibt“. Während die anderen Safarifahrzeuge noch um den Büffel stehen, macht Noel sich auf den Weg. Die Löwen werden nach dem Fressen trinken, das weiß er aus langer Erfahrung. Der Ranger schlägt einen Haken und tatsächlich: Zwei dichtbemähnte Männchen und drei Löwenweibchen kommen dem Fahrzeug entgegen. Genau genommen schleppen sie sich. Riesige, vollgefutterte Bäuche hängen knapp über dem Gras. Fünfundvierzig Kilogramm Fleisch kann ein Männchen bei einer Mahlzeit vertilgen.
Mit ihren bernsteinfarbenen Augen fixieren die Katzen das Auto, kommen näher und schlendern so dicht vorbei, dass man nur die Hand ausstrecken müsste, um in ihr Fell zu greifen. Wer der Anführer ist, lässt sich nicht übersehen. Er dreht der Blechkiste sein Hinterteil zu und setzt eine Duftmarke an den Reifen. Sogar die ewig klickenden Kameras verstummen, zum einen aus Respekt, aber auch, weil diese Löwen viel zu nah sind, um in den Sucher zu passen.
Auf dem Rückweg zur Lodge prescht der Landcruiser durch eine Gnuherde, umkurvt einen Haufen hektisch flatternder Perlhühner und scheucht ein paar Warzenschweine auf, die mit steil aufgestelltem Schwanz davoneilen. Dann ist der Kraterrand erklommen, gerade rechtzeitig, um sich zum Sundowner auf der Terrasse der Ngorongoro Crater Lodge niederzulassen.
Noel ist ein Mann mit vielen Talenten. Er reicht belegte Brote und fragt nach dem bevorzugten Wein zum Dinner. Soll vorher noch das Badewasser eingelassen werden? Nein, die Gäste sind allesamt zufrieden und starren fasziniert in die Kratertiefe. Ein paar Pünktchen sind dort zu erkennen. Jetzt, am Abend, stehen bei den Zweibeinern die Zeichen auf Entspannung. Dort unten aber herrschen andere Gesetze. Wenn die Dämmerung hereinfällt, die Konturen verschwimmen und sich die Welt in Schwarz-Weiß taucht, beginnt in der Tierwelt die Jagd.
Kommentare