Oder da sind Otto, der von sich als Friesenjung singt, und schnelle niederländische Gabber-Beats – gab es in den Neunzigern auch schon. Beides fusioniert, von Jost und Ski Aggu neu aufpoliert, ergab kürzlich in Deutschland gar einen Nummer-eins-Hit.
„Wir erleben bei Jugendlichen eine Nostalgie, eine Rückwendung zu einer vorangegangenen Zeit“, sagt Beate Großegger, wissenschaftliche Leiterin des Instituts für Jugendkulturforschung. Den Grund sieht sie in Ereignissen, von denen wir dachten, wir hätten sie überwunden. „Die Rückwendung ist krisenassoziiert. In den 1980ern gab es eine ähnliche Themenlage wie heute: Umweltzerstörung, Abrüstung, die Angst vor dem Kalten Krieg.“ Das ist zumindest so ähnlich wieder da.
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Angst vor dem Abstieg
„Die Jugend hat massive Gegenwarts- und Zukunftssorgen: die Teuerung, die Angst vor dem sozialen Abstieg. Das führt zu einer Sehnsucht nach einer anderen Zeit“, sagt die Sozialwissenschaftlerin. Wie das so ist bei der Nostalgie, ist das realitätsverzerrend. Natürlich war früher auch nicht alles gut. „Jugendliche setzen sich nicht wirklich mit damaligen Phänomenen auseinander, sondern basteln sich ihre eigene kleine Welt.“ In dieser Welt müsse es heute nicht mehr cool sein. Wenn etwas gefällt, ist es meist nice.
Cool steht für tough, hart und unterkühlt. Das kann man derzeit eher nicht brauchen. „Wenn man sich die aktuellen Farben und Formentrends ansieht, erkennt man in der nächsten Zeit softere Töne, viel Pastell“, erklärt die Expertin. „Zumindest die Teilzeitwelt der Freizeit soll ein wenig durch die rosarote Brille betrachtet werden.“ Das erklärt mitunter die Faszination an den harmlosen, eingängigen Melodien von Abba.
Und so lässt sich auch ein bemerkenswertes Erlebnis des deutschen Schlagerstars Dieter Thomas Kuhn deuten. Er stürmte die Bühne beim Maturaball seiner 18-jährigen Tochter. Unter Umständen hätten das einst einige – zumindest sein Kind – peinlich gefunden. Heute geht das als nice durch. „Die sind völlig ausgeflippt, die haben mitgesungen, die kannten das“, sagte Kuhn, der mit seinen Schlager-Cover-Versionen seit drei Jahrzehnten Erfolg hat.
„Da waren 100 Abiturienten, ich hatte nur die Gitarre und meinen Gitarristen dabei und wir haben auf Wunsch der Organisatoren vier Lieder performt“, berichtete der 58-Jährige. Zu seiner Überraschung kannten die jungen Gäste auch seine alten Cover-Hits wie „Griechischer Wein“ und „Über den Wolken“ und sangen lautstark mit.
Herz an Herz
Selbst bei der Abschlussschau der Wiener Modeschule in Hetzendorf wummerte kürzlich beim Schlussdefilee Blümchens Neunziger-Hit „Herz an Herz“ durch den Schlosspark. Dabei liefen zuvor, als die Models die Kreationen auf dem Laufsteg präsentierten, Töne, bei denen die Musikverantwortlichen bei Balenciaga neidisch hätten werden können. Nice! Aber auch voll trashig. Aber solche ironischen Brechungen hat die Jugend laut Großegger auch gerne. Denn: „Es gibt die Angst, erwachsen werden zu müssen in einer Welt, die von Unsicherheiten geprägt ist.“
In Gruppen kann man sich da schon wohler fühlen. Dennoch glaubt Großegger nicht, dass sich trotz Rückwendung zur Vergangenheit wieder stark abgegrenzte Jugendszenen bilden werden, wie wir sie in den Neunzigern kannten. Also nichts mit Skatern, Ravern, Grungern, Skinheads und was es sonst noch so alles gab, die ihre Szenecodes hochhielten und teilweise auch die Öffentlichkeit mit ihren Anti-Botschaften provozierten. „Es kommt nie etwas auf die gleiche Art wieder, es wird aufgegriffen, aber auch verändert“, erklärt die Expertin.
Gerade in den Neunzigern seien die Jugendkulturen ausdifferenziert gewesen. Die Jugendlichen heute hingegen probieren viele unterschiedliche Lifestyletrend aus. „Das Bekenntnis zu einem Lebensstil ist nicht so stark.“ Und so ist das auch mit Retro selbst. „Die Nostalgie ist zurückblickend, aber unverbindlich.
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