Wenn die letzte Hülle fällt

In der neuen Serie „Adam sucht Eva“ verkuppelt der Sender RTL nackte Frauen und Männer.
Frau und Mann hatten fürs Fernsehen ihr erstes Date – völlig nackt. Aufregend oder langweilig?

Eine einsame Insel im Pazifik, türkisblaues Meer, endlose Sandstrände. Zwei Menschen, jung, Single – und komplett nackt. Das sind die Zutaten der neuen Dating-Show "Adam sucht Eva – Gestrandet im Paradies", die gestern, Donnerstag, auf RTL startete.

Das Format stammt aus den Niederlanden und wurde nun fürs deutsche Fernsehen adaptiert. "Adam", also der männliche Kandidat, und "Eva", die weibliche Kandidatin, bestritten ihr erstes Treffen wie ihre berühmten Namensgeber: ohne lästige Textilien. Danach entschieden sie – dieses Mal aber bekleidet –, ob sie einander noch einmal sehen wollen. RTL pries das Format als "Sozial-Experiment" an, das herausfinden möchte, "wie stark wir von Vorurteilen geprägt sind". Es sei eine neue Herangehensweise des Kennenlernens, auf pure Natürlichkeit und Charme reduziert. Niemand könne sich "hinter Schminke und Designer-Klamotten verstecken".

Novum

Trotz blumiger Worte war die Aufregung nach der niederländischen Erstausstrahlung groß. Totale Nacktheit im Fernsehen, und das auch noch im Hauptabendprogramm – das gab’s noch nie. Das sei auch der Grund für die Empörung, meint Sexualpsychologin Daniela Renn: "Das ist etwas komplett Neues. Nach dem Dschungelcamp oder dem Bachelor kann uns ja nichts mehr so schnell vom Hocker hauen. Eigentlich ist im Fernsehen schon alles gezeigt worden, auch viel nackte Haut. Aber totale Nacktheit – das ist im wahrsten Sinne des Wortes die letzte Hülle, die fällt." Mit sexueller Lust habe das Anschauen der Sendung vornehmlich nichts zu tun, erklärt Renn. "Da kommt eher unsere voyeuristische Seite zum Vorschein. Das ist aber kein Voyeurismus zum Zwecke der sexuellen Erregung, sondern Neugierde: Wie schauen andere nackt aus?"

Seit der sexuellen Befreiung in den späten 1960er-Jahren ist Sexualität allgegenwärtig – Pornografie im Internet boomt, nackte Haut ist in den Medien längst an der Tagesordnung. Vieles, was vor der Liberalisierung als "pervers" galt – wie z. B. Oralverkehr –, gilt heute als 08/15-Zutat eines Durchschnittssexuallebens.

Kluft

Der Sexualforscher Johannes Wahala nennt es "das Zeitalter der Neo-Sexualität". Sexualität an sich sei uns vertraut – dennoch gebe es eine Kluft. "In Talkshows spricht man offen über Analpiercings, doch im privaten Bereich ist die Sexualität sehr wohl noch tabuisiert. Die eigene Sexualität ist oft schambesetzt, man spürt, das ist ein Intimbereich." Ein Grund, weshalb "Adam sucht Eva" manche Zuseher verstören könnte. Es sei aber wichtig, mit Nacktheit offen umzugehen, sagt Wahala. "Sie gehört zum menschlichen Leben. Wichtig ist, vor allem Kindern klarzumachen: Du entscheidest, wie du dich wem zeigst." Die Grenze sei erst dann überschritten, "wenn Nacktheit ins Pornografische abdriftet", sagt Wahala. "Wenn Nacktheit so dargestellt wird, als gäbe es keine Intimität mehr." Ziel der Sendung soll es schließlich sein, die große Liebe zu finden. "Und in der Liebe lässt sich Nacktheit sowieso schlecht vermeiden."

Unseren TV-Blog zur neuen RTL-Show "Adam sucht Eva" finden Sie hier.

Völlig Nackte in einer TV-Show zur besten Sendezeit – das ist neu, doch spärlich Bekleidete haben schon früher die Gemüter der Zuseher erhitzt. Als erste "Nacktdarstellerin" in einem nicht-pornografischen Film gilt die US-amerikanische Schauspielerin Audrey Munson. In "Inspiration" spielte sie 1915 die Muse eines Bildhauers und war in mehreren Szenen völlig nackt zu sehen. Mit dem Film wollte man den nackten Frauenkörper aus einen künstlerischen Perspektive, fern von Pornografie, zeigen.

Fast schon Kultstatus haben die Aufklärungsfilme von Oswalt Kolle. Mit der achtteiligen Serie "Das Wunder der Liebe" traf der Journalist und Filmproduzent 1968 einen gesellschaftspolitischen Nerv. Junge Paare diskutierten Probleme in ihrer Ehe – "vorzeitige Ejakulation des Mannes" etc. –, die anschließend anschaulich dargestellt wurden. Dazwischen wiesen Kommentare immer wieder auf die Folgen mangelnder Aufklärung hin. Mehrere Nackte in einem Reality-TV-Format waren erstmals 2008 zu sehen. In der BBC-Dokumentation "Nackte Tatsachen – Woher kommt das Schamgefühl?" verbringen acht Freiwillige nackt ein Wochenende zusammen. Das Experiment sollte neue Erkenntnisse über die Entstehung von Schamgefühl und den Umgang mit der menschlichen Nacktheit bringen.

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