Königsklasse der Juwelen: Wie High Jewelry im Chanel-Atelier entsteht
Patrice Leguéreau glaubt an schicksalhafte Fügungen. Zumindest, wenn es um Edelsteine geht.
„Er war ein Geschenk des Himmels“, sagt der Fine-Jewelry-Kreativdirektor von Chanel, wenn er über den aktuellen Star seiner exklusivsten Linie spricht: Für die neue High-Jewelry-Kollektion des französischen Hauses hat der Designer eine Kette entworfen, in deren Mittelpunkt ein 55.55-karätiger Saphir steht. Ein symbolträchtiges Gewicht: Der Fünfer war Gründerin Gabrielle Chanels Glückszahl. „Der Stein wurde uns bereits so geschliffen angeboten. Es war also eine glückliche Fügung“, erinnert sich der Designer im KURIER-Gespräch.
Bei der Kette handelt es sich um eines der Stücke für jenen kleinen Kundenkreis, für den Geld keine Rolle spielt: Nur die außergewöhnlichsten und somit teuersten Diamanten und Farbedelsteine werden für die Einzelanfertigungen, die im Atelier oberhalb der Chanel-Schmuckboutique am Pariser Place Vendôme entstehen, ausgewählt.
So gesellt sich bei der „Allure Céleste“-Kette zum 55.55-karätigen Saphir ein 8.05-karätiger tropfenförmiger, lupenreiner Diamant. Patrice Leguéreau legt bei der Suche nach den passenden Diamanten großen Wert darauf, dass diese der sogenannten Kategorie IIa angehören. Steine dieses Typs sind äußerst rein und farblos, weil sie keinen nachweisbaren Stickstoff enthalten (Stickstoff sorgt für eine gelbliche Tönung). Nur zwei Prozent aller weltweit geförderten Diamanten sind als IIa einzustufen.
Noch rarer ist ein blauer Diamant, der in einem Ring verarbeitet wurde – diese Farbe macht nur 0,1 Prozent aller Diamanten aus. „Es sind die besten Steine, die wir finden können“, erklärt Leguéreau.
Die Chanel-Affäre
Diese Seltenheit hat ihren Preis – über den sich der Designer allerdings in Schweigen hüllt. Viel lieber spricht der charismatische Franzose über die Inspiration zu dieser Kollektion namens „1932“.
In jenem Jahr entschied sich der Diamant-Monopolist London Diamond Corporation, mit Gabrielle „Coco“ Chanel zu kooperieren. Drei Jahre, nachdem der Schwarze Freitag mit dem damit verbundenen Börsencrash zu einer Weltwirtschaftskrise geführt hatte, sollte die Nachfrage nach Diamanten wieder angekurbelt werden.
Mit der weltweit ersten High-Jewelry-Kollektion, die Gabrielle daraufhin entwarf, löste sie einen Skandal aus – der als Chanel Affair in die Geschichte eingehen sollte. Statt wie damals üblich nur auf Kundenwunsch jeweils ein Schmuckstück anzufertigen, präsentierte sie eine komplette Kollektion namens „Bijoux de Diamants“ in Form einer mehrtägigen Ausstellung. „Ihr Zugang war sehr unterschiedlich zur damaligen Arbeitsweise in der Schmuckbranche“, sagt Leguéreau.
Eine Frau, eigentlich „nur“ Modedesignerin, entwarf nun auch noch Diamantschmuck? Die Juweliere vom Place Vendôme, dem Pariser Schmuck-Mekka, waren so empört, dass sie die Destruktion der Kreationen und die Rückgabe der Diamanten verlangten. Allerdings waren zu diesem Zeitpunkt bereits einige Stücke verkauft. Eines davon konnte vor einigen Jahren wieder in den Besitz des Hauses Chanel gelangen: eine Brosche in Form eines Sterns.
Dieses Original und die Nachbildungen der anderen von Himmelskörpern inspirierten Stücke dienten Patrice Leguéreau nun 90 Jahre später als Inspiration für seine Arbeit.
„Ich wollte bei dieser Kollektion etwas sehr Poetisches ausdrücken“, sagt der Designer, während er Fotos vom Entstehungsprozess der Preziosen zeigt. „Dieses Mal habe ich nicht mit Schmuckskizzen angefangen, sondern große Aquarellbilder vom Himmel gemalt.“ Sie bildeten die Basis für die drei Themen der Kollektion: Sterne, Mond und Sonne.
Nicht nur für einen Anlass
Eine der größten Herausforderungen sei auch nach 30 Jahren als Schmuckdesigner die Vermittlung der Vision an sein Team: „Zuerst ist da meine Idee, dann muss ich es schaffen, dass alle in dieselbe Richtung denken. Da geht es um viel mehr als nur handwerkliches Wissen.“
Letzteres zeigt, wie fließend die Grenzen zwischen Schmuckdesign und Kunst bei der Herstellung von High Jewelry sind. Gabrielle Chanel war, was die Art und Weise betrifft, wie solch teurer Schmuck zu tragen sei, ebenfalls eine Querdenkerin: Ihre Entwürfe konnten in einzelne Teile zerlegt werden, um diese auch tagsüber tragen zu können.
Ein Konzept, das auch Leguéreau aufgreift: „Bei der ,Allure Céleste’-Kette ist der Anhänger abnehmbar und als Armband tragbar. Ein anderer Teil kann zur Brosche werden. Der Mechanismus dahinter ist so komplex, dass ich niemals die Erleichterung meines Atelier-Managers vergessen werde, als die Kollektion nach fast drei Jahren schließlich fertig war.“ Diese Wandelbarkeit, obwohl als Idee nicht neu, entspricht mehr denn je der modernen Auffassung von Luxusschmuck: „Die Frau soll die Freiheit haben, diesen so zu tragen, wie sie es möchte“, sagt Patrice Leguéreau. Coco Chanel hätte zugestimmt.
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