Moby Dicks Vergeltung: Wale fressen Fischern die Leinen leer

Pottwale
Die Pottwale sind hungrig und schlau. Meeresforscher und Fischer wollen den Schaden begrenzen.

Findige Pottwale machen Fischern im Golf von Alaska die Beute streitig: Seit vielen Jahren plündern sie dort riesige Mengen Fisch von den langen, mit bis zu 4.000 Haken versehenen Fangleinen. Die typischen Geräusche der Kutter beim Einholen der Leinen sind für die riesigen Meeressäuger dabei wie eine Art Essensgong.

Oft lockt der Sound sogar eine ganze Gruppe von Pottwalen an, die die Fische fressen, bis an die Oberfläche vorstoßen und Boote verfolgen. Meeresforscher und Fischer arbeiten jetzt zusammen, um den Schaden zu begrenzen.

Das ungewöhnliche Verhalten der Pottwale begann vor über zwei Jahrzehnten. Damals wurden in Alaska die Fristen zum Fang von Kohlenfisch (Black Cod/Anoplopoma fimbria) verändert - von jährlich zehn Tagen ohne Mengenbegrenzung auf acht Monate mit Fangquote. Und die Pottwale lernten schnell, dass ihnen ihr Futter - in 700 bis 1.100 Meter Tiefe an der horizontalen Leine hängend - fast drei Viertel des Jahres quasi zum Anbeißen serviert wurde.

"Die erfahrensten Wale fanden heraus, dass sie in die Leine beißen und sie schütteln können - so wie man Äpfel vom Baum schüttelt", sagte Aaron Thode, Experte für Meeressäuger vom Scripps Institut für Ozeanographie in Kalifornien, in einem Interview. Er hat die Tiere mit Unterwasserkameras beobachtet: Da Kohlenfische mit ihren weichen Mäulern von der Leine abfallen, vermeiden die Wale zumeist, sich selbst durch die Haken zu verletzen. Trotzdem drohen ihnen hier und da Verletzungen durch Boote und Leinen.

Hohe Verluste

Mehr als 1.000 US-Dollar Verlust pro Tag und Schiff kann eine solche Walattacke für die Fischer bedeuten - denn oft verlieren sie ein Viertel, manchmal sogar 100 Prozent ihres Fangs, beklagt der Rat zum Fischereimanagement im Nordpazifik. Seit 2003 arbeiten die Fischer deshalb zusammen mit Meeresforschern der Umweltbehörde NOAA im Projekt Seaswap, an der Lösung des Problems - eine in dieser Form seltene Kooperation.

Pottwale, zu den bedrohten Tierarten zählend und durch das Walfangmoratorium weitestgehend geschützt, sind in vieler Hinsicht noch Unbekannte: Die größten Raubtiere der Erde können über 20 Meter lang werden. Sie tauchen problemlos 1.500 Meter hinab und damit tiefer als jeder andere Wal. Bis zu 100 Minuten können sie unter Wasser bleiben und tauchen dann erst in großer Entfernung wieder auf. Bis heute unklar ist die Bedeutung des mächtigen Spermaceti-Organs in ihren bulligen Köpfen - dient die zähe, von der Konsistenz an Sperma erinnernde Masse darin als Rammbock? Oder zur Echolot-Ortung?

Zunächst wollten die Forscher herausfinden, was die Wale genau anlockt. "Es war nicht irgendein Teil der Ausrüstung, es war die Art und Weise, wie die Fischer die Boote fuhren", berichtet Thode. Sie fuhren einen Test ohne Fang, bei dem das Boot wie beim Einholen der Leine beschleunigte, abstoppte und entsprechende Luftblasen erzeugte: "In weniger als zehn Minuten hatten wir Zwölf-Meter-Wale rund um unser Boot." Bei ruhiger See hören die Tiere ihren Essensgong noch in einer Entfernung von mehr als 25 Kilometern.

Pläne gescheitert

Plan A, die Pottwale mit einer akustischen "Essensgong-Boje" von den Fischerbooten wegzulocken und auszutricksen, schlug dann aber fehl. Die Tiere merkten schnell, dass bei der Boje nichts zu holen war und blieben weg.

Plan B, in Wal-freien Gewässern zu fischen - zeigt mittlerweile Wirkung: Die Forscher versahen einige Tiere mit Peilsendern und eine Web-App zeigt nun, wo die Wale sich tummeln. So können die Boote andere Fischgründe ansteuern. Daneben melden die Fischer einzelne Wal-Sichtungen an eine Zentrale, die die Infos an alle weitergibt.

2017 wurde von Alaskas Fischereirat zudem eine neue Methode zugelassen, um Kohlenfisch ähnlich wie Hummer in Körben zu fangen - und damit deutlich Wal-sicherer. Die Methode ist vielen Fischern jedoch zu teuer. Bis auf Weiteres bleibt also das Wal-Vermeidungsnetzwerk vor Alaska der beste Weg, um den smarten Pottwalen auszuweichen. Fünf Prozent der Jahresfangquote landen trotzdem im Magen von Moby Dick. (Andrea Barthélémy/dpa)

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