Auf welcher Seite der Gitter/Mauern/Zäune sitzen wir?

Szenenfoto aus ...
Das „Wiener Vorstadttheater – integratives theater österreichs“ spielt Fernando Arrabals „Und sie legen den Blumen Handschellen an“.

Ein Mann mit Gewehr und einem Handscan-Gerät checkt jede und jeden einzelnen Gast der Aufführung. Die erste Kontrolle überstanden versucht ein zweiter Uniformierter die Besucher_innen zu kommandieren, wohin sie sich zu setzen hätten. Kaum sitzen alle tauchen als Kontrapunkt drei Frauen mit Fächer zu spanischen Melodien auf und tanzen durch die Reihen.

Auf welcher Seite der Gitter/Mauern/Zäune sitzen wir?
Szenenfoto aus "Und sie legten den Blumen Handschellen an" - von Fernando Arrabal, gespielt vom Wiener Vorstadttheater
Nächster harter Wechsel: Was zuvor schon schemenhaft in seinen Umrissen als Gitterwerk ansatzweise zu erkennen war, stellt sich nun bei Bühnenlicht als tatsächliches Gefängnis heraus. Eingesperrt: Politische Gefangene in Spanien. Nachdem die Faschisten unter General Franco 1936 gegen die demokratische Republik geputscht hatten, drei Jahre lang Bürgerkrieg herrschte, diktierte Franco bis 1975. Zehntausende politische Gefangene, Todesurteile und Morde an politischen Gegner_innen waren an der Tagesordnung. Der Ort der Premiere war übrigens das Kulturzentrum in der ehemaligen Sargfabrik (!) in Wien-Penzing.

Träume als Überlebensmittel

Auf welcher Seite der Gitter/Mauern/Zäune sitzen wir?
Szenenfoto aus "Und sie legten den Blumen Handschellen an" - von Fernando Arrabal, gespielt vom Wiener Vorstadttheater
Vier verschieden Typen von Gefangenen begegnen wir in Arrabals Stück – vom alten jahrzehntelangen gestandenen Kämpfer bis zum verträumten, poetischen jungen Mann. Die Träume sind sein Überlebensmittel – in denen ihn vor allem viele Frauen nach der Befreiung umschwärmen – er sich aber eher nach dem Einsaugen freier Luft sehnt.

Der Autor, dessen Vater eines Tages von Schergen des Franco-Regimes verschleppt wurde und der dann selbst Mitte der 50er Jahre nach Frankreich flüchtete, war später kurz nach Spanien zurückgekehrt - und landete im Gefängnis. Dort schreib er dieses Stück – inspiriert durch allzu brutale Realität. Auch jener, dass sich mehr oder minder Prominente eher halbherzig für das Abwenden eines Todesurteils einsetzen, andere hingegen ihre patriotische Pflicht hervorstreichen.

Auch die eingangs schongenannten Frauenfiguren verkörpern verschiedene Typinnen – von der Ehefrau, die aus politischen Gründen ebenso wie aus Loyalität zu ihrem verfolgten, inhaftierten Mann steht bis zu jener, die den Angeheirateten deswegen verabscheut, weil er ihre und ihrer Kinder Leben durch seine politische Aktivität zerstören würde.

Historisch - UND gegenwärtig

Auf welcher Seite der Gitter/Mauern/Zäune sitzen wir?
Szenenfoto aus "Und sie legten den Blumen Handschellen an" - von Fernando Arrabal, gespielt vom Wiener Vorstadttheater
Dass es sich zwar um ein Stück mit konkretem historischen Bezug – aus dem Off werden Fakten aus dem besagten Gefängnis genannt - handelt, es aber nichts an Aktualität eingebüßt hat – ganz im Gegenteil – wird nicht zuletzt dadurch vermittelt, dass einige der Schauspieler_innen türkisch-kurdische Wurzeln haben, ein anderer Flüchtling aus Afghanistan ist. Und mit einem einfachen „Trick“ wird das Publikum nicht nur zu distanziert Zuschauenden. Wenn Amiel (Agrin Bektaş) in seine befreienden Träume versinkt, werden die Gitterwände umgedreht – nun sitzen alle sozusagen hinter Gittern. Wenn die Festung Europa Zäune und Mauern errichtet, mauert sie sich dann nicht auch ein?
Auf welcher Seite der Gitter/Mauern/Zäune sitzen wir?
Der Autor kam zur Premiere - gemeinsames Gruppenfoto mit den Theatermitgliedern - und dem Komponisten der Musik. Die drei gespreizten Finger der Hand am Ohr stehen für Freiheit, Gelichheit, Brüderlichkeit - die Losung der französischen Revolution.
Und sie legen den Blumen Handschellen an
von Fernando Arrabal
Deutsch von Kurt Klinger

Regie: Manfred Michalke
Musik: Harri Stojka

Es spielen:
Falidia: Sirma Kapan
Imis: Esra Karakas
Leila: Ronja Sel
Tosa: Recep Bektaş
Amiel: Agrin Bektaş
Pronos: Mladen Savić
Katar: Senol Bektaş
Gefängnisdriektor: Manfred Michalke
Soldaten: Naser Abuhelou und Ali Misbah

Stimme der Nonne: Margaretha Neufeld

Choreographie, Regie-Assistenz: Petra Rotar
Dramaturgie: Margaretha Neufeld
Schlagzeug: Goran Krstić
Technik: Ihsan Azadi Yılmaz

Ton: WBS-film
Ausstattung: ART for ART

Wann & wo?
11. Juni 2017; 18.30 Uhr
Sargfabrik, 1140, Goldschlagstraße 169

28. September 2017; 19.30 Uhr
Veranstaltungszentrum der VHS Donaustadt
1220, Bernoullistraße 1

12. Oktober 2017, 20 Uhr
Ateliertheater
1070, Burggasse 71

20. Oktober 2017, 19.30 Uhr
Veranstaltungszentrum der VHS Simmering
1110, Gottschalkgasse 10

25. Oktober 2017, 19.30 Uhr
Veranstaltungszentrum der VHS Großfeldsiedlung
1210, Kürschnergasse 9

11. November 2017, 19.30 Uhr
FMZ der VHS Margareten

17. November 2017, 19.30 Uhr
VHS Favoriten
1100, Arthaberplatz 18

https://www.wienervorstadttheater.com/

Kommentare