Aus Sturm wird Windstille, Gegenwind und Stacheldraht

Aus: "Gold Schlamm Entertainment"
Vier Gruppen zeigen 20-Minuten-Stücke beim Nachwuchsbewerb des Theaters Drachengasse "Und immer ist Sturm". Preisvergabe.

Update 19. Juni 2017, 14.02 Uhr: Siegerstücke plus Jurybegründung hinzugefügt.

Zwei Vierzeiler aus ShakespearesSturm“ waren der Ausgangspunkt für alle Theaterprojekte des nunmehr zehnten Nachwuchsbewerbs des Theaters Drachengasse ( Wien). Aus den 64 eingereichten wurden 16 zu Hearings eingeladen und vier zeigen nun - bis 17. Juni 2017 - 20-Minuten-Versionen. Selber Ausgang, vier verschiedene Stücke – ziemlich unterschiedlich noch dazu.

In „Gold Schlamm Entertainment“ etwa baut sich im Boxring der sich überlegen darstellende Heroe Prospero auf, die (von einer Frau gespielt) runtermachende Schimpftiraden auf und gegen Caliban loslässt. Diese Figur, die das monsterhaft Naturwüchsige bei Shakespeare symbolisiert wird hier von Prospero obendrein als weibliches Prinzip etabliert und für minderwertig befunden. Caliban kontert damit, ja gar nichts sprachlos zu sein, sondern nur entweder einfach nicht gehört zu werden oder gar zum Verstummen gebracht worden zu sein. Bevor’s zum Showdown hinter den Seilen mit Heavy-Metal-Klängen und Wasserspritzern kommt, fallen noch – wie auch in anderen Stücken – Anklänge an aktuelle gesellschaftspolitische Auseinandersetzungen wie Wertekompass usw. Letztlich aber wird hier auch in Frage gestellt, ob es stets den Kampf der Geschlechter geben müsse.

Aus Sturm wird Windstille, Gegenwind und Stacheldraht
Aus: "Oh, wie schönist Panama"

Bei„Oh, wie schön ist Panama(der von Janosch berühmten Bilderbuch entliehene Titel ist leider doch verwirrend) pflanzt sich ein kleinbürgerliches Paar, das sich nicht (mehr) viel zu sagen hat, auf eine aufblasbare Couch neben einem Gebirge aus Konservendosen. Im Hintergrund Stacheldraht. Und damit Aktuelles allgegenwärtig. Auch das wird wie alles andere, nur mit wenigen Worten gestreift. Und auf einmal ist neben Franz und Magda ein dritter da. Ein Fremder? Oder doch „nur“ die Erinnerung an den verstorbenen, an der Enge erstickten (?) Sohn?

Aus Sturm wird Windstille, Gegenwind und Stacheldraht
Aus "Wind/Stille"

„Wind / Stille“nimmt schon mit dem Titel Bezug auf Shakespeares " Sturm". Drei am Strand Badende scheinen zu hoffen, dass das Boot am Meer auf sie zusteuert, gar Schiffbruch erleidet. Aber nichts, es segelt einfach vorbei. Allgemeinplätze wie „man weiß ja nichts ..., da muss man ja ...“ lassen allgemeine Wutbürger_innen-Anwandlungen anklingen. Und irgendwie Enttäuschung, dass es doch nun nicht zum Konflikt, zum Wickel kommt, weil das Boot mit seinen Insaß_innen vorbeizieht. Die diffuse Unzufriedenheit bleibt ebenso wie weiter Angst geschürt wird.

Aus Sturm wird Windstille, Gegenwind und Stacheldraht
Aus: "Das was ist, ist"

Um ganz andere Stürme geht es im vierten der ausgewählten Kurzstücke. „Das was ist, ist“dreht sich um weibliche Sexualität und ihre über Jahrhunderte ja Jahrtausende währende Unterdrückung, ja nicht einmal das (An)erkennen. Schon allein über Farben mehrere Vorhänge und Wortspiele wird ein sinnliches Plädoyer für klitoralen Orgasmus gespielt.

Nachwuchswettbewerb 2017Und immer ist Sturm Theater Drachengasse, Bar&Co in Kooperation mit der Kulturabteilung der Stadt Wien

Finalist_innen:

Gold Schlamm Entertainment Volksbühne Wien Text, Konzeption: Clara Gallistl Regie: Alexander Tilling Es spielen: Lisa Furtner, Dolores Winkler

Oh, wie schön ist Panama Ein Projekt von Rieke Süßkow und Emre Akal Text: Emre Akal Regie: Rieke Süßkow Es spielen: Deniz Baser, Burak Uzuncimen, Julia Carina Wachsmann Bühnenbild: Lukas Fries Sounddesign: Paul Wolff Requisite, Kostüm: Raffaela Schöbitz Regieassistenz: Azelia Opak

Wind / Stille Text, Regie: Roman Hutter, Teresa Kovacs Es spielen: Clara Diemling, Benjamin Kornfeld, Florian Werkgartner Bühne, Kostüm: Julia Grevenkamp Licht, Sound: Helen Farnik Bühnen-, Kostümassistenz: Lisa Becker

Das was ist, ist Konzept, Text, Regie, Bühne, Kostüm, Musik und Performance: Charlotte Bohn, Barbara Juch, Franziska Kabisch Ausstattung: Maren Blume

Wann & wo? Bis 17. Juni 2017 Theater Drachengasse, Bar&Co, 1010, Fleischmarkt 22 Telefon: (01) 513 14 44 e-mail: karten@drachengasse.at www.drachengasse.at

Der Nachwuchsbewerb des Theaters Drachengasse fand zum zehnten Mal statt. Ausgansgpunkt in dieser Saison waren zwei Zitaten aus „Der Sturm“ (The Tempest) von William Shakespeare zur Frage nach Konstruktion und Wahrnehmung von Wirklichkeit. 64 Projekte wurden eingereicht, 16 zu Hearings eingeladen danach durften vier davon 20-Minuten-Versionen entwickeln und zeigen sie nun. Publikum und eine dreiköpfige Jury - Ali Abdullah (Werk X Wien), Corinne Eckenstein (Dschungel Wen) und Bettina Hagen (Kuratorium für Theater, Tanz und Performance der Stadt Wien) - wählen ihre Favoriten. Der Jurypreis von 5000 Euro wird vom Theater Drachengasse verdoppelt, um daraus ein abendfüllendes Stück weiter zu entwickeln.

Die Shakespeare-Zitate:

Ein Teufel, von Geburt ein Teufel, dess‘ Natur, Kein Pfropfreis adeln kann; an dem die Mühe, Die ich mir menschlich gab, umsonst, ganz ganz, umsonst ist.

Ein Wunder! Wie viele herrliche Geschöpfe hier! Wie schön die Menschheit ist! O schöne, neue Welt, Die solche Wesen trägt!

Die Fachjury bestehend aus Bettina Hagen vom Kuratorium für Theater, Tanz und Performance in der Stadt Wien, Corinne Eckenstein vom Dschungel Wien und Ali Abdullah vom Werk X Wien vergab den mit 5.000.- Euro geförderte Jurypreis beim 10. Nachwuchsbewerb des Theaters Drachengasse an „Oh, wie schön ist Panama von Emre Akal und Rieke Süßkow. Der mit 1.000.- Euro dotierte Publikumspreis ging an „Gold Schlamm Entertainment“ der Volksbühne Wien.

Aus der Jurybegründung: „überzeugt hat eine sehr geschlossene Ensembleleistung von Text, Regie, Bild, Ton und darstellerischer Kraft. Eine mit einem höchst aktuellen Thema im Zentrum entwickelte eigene Theatersprache, auf deren detaillierte Ausarbeitung zu einem abendfüllenden Theaterabend wir gespannt entgegenfiebern“, meinen die Juror_innen.

Realisierung

Mit der von der Kulturabteilung der Stadt Wien zur Verfügung gestellten Förderung bekommen Emre Akal und Rieke Süßkow die Möglichkeit, ihr Stück abendfüllend auszuarbeiten und von 28. Mai bis 16. Juni 2018 im Theater Drachengasse zu zeigen.

Narziss, du Opfer!

Der kommende, elfte, Nachwuchsbewerb 2018 ist dem Thema „Narziss, du Opfer!“ gewidmet.

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