Ein großer Bogen umspannt die Bühne –eine 24-Stunden-Uhr. Darunter ein mehr als halb geöffneter alter Kasten mit Laden drinnen und neben Gewand vielem buntem Zeugs. Die Innenseiten der Türen zieren eine Art Landkarte, die irgendwie an eine Schatzkarte erinnert. Schräg davor ein Bett mit großem Teddybär. Auf dieser Bühne, die sich später noch in vor allem mit Hilfe eingeblendeter Hintergrundbilder –und natürlich dazu gehörender gespielter Figuren verwandeln wird, läuft rund zwei Stunden eine spannende, rasante Zeitreise-Fantasiegeschichte ab, die sich der Theaterdirektor himself ausgedacht hat.
Sch...-Leben
Zurück zum Start: In dieses Zimmer kommt Gunnar, so der Name der Hauptfigur in „Der Pirat im Kleiderschrank“, dem jüngsten Stück des Theaters der Jugend in Wien. Nein, er ist nicht der Pirat, sondern der Bewohner des Zimmers davor, vor dem Kasten. Ein hochbegabter, einsamer, tod-trauriger Bub - sein Vater ist erst vor wenigen Monaten bei einem Unfall gestorben. Und fantasievoll ist er, sehr sogar wie sein Vater, der ihm immer Abenteuergeschichten erzählte und das sehr, sehr realistisch. Mehr als unglücklich ist er aber mit seinem Vornamen, den der Vater als Tribut an einen bekannten mutigen, schrecklichen Wikinger-Kämpfer ausgesucht hatte. Echt ein „Scheiß-Leben“ sei das, flucht der sich sonst sehr gewählt ausdrückende Gunnar vor sich hin, bittet seinen Vater – im Himmel oder wo auch immer – ihm doch wenigstens ein Zeichen zu senden.
"Blutiger" Pirat
Krach, pfauch, Rauch kommt aus dem Kasten, den Gunnar in der Zwischenzeit geschlossen hatte, die Tür fliegt auf, ein Mann wie ein Pirat adjustiert, poltert mit einer Rolle und dem Ruf „Asyl!“ mitten in das Kinderzimmer. Fasziniert von Gunnars Taschenlampe, die er „Zauberfackel“ nennt, stellt sich der Fremde mit einem „spaanissen“ Akzent als Capitano Barométro Labradór Origano Ortopédico Drammatizánte vor. Den ein bisschen seltsam anmutenden Namen hat er sich zusammenfantasiert, damit die Anfangsbuchstaben BLOOD, also das englische Wort für Blut ergeben. Er protzt nicht nur mit diversen Heldentaten, dass er der Schrecklichste von allen und der Liebling aller Frauen unter 53 sei. Er hat in seiner Tasche auch eine Schatzkarte – und eine Zauberkugel , die er dem Wächter der Zeit gestohlen hat, „nicht gestohlen, nur Beute gemacht“.
Vom Dino-Ei zur jungen Kaiserinnen-Tochter
Auf die Kugel gespuckt und gerieben, spanische Sprüche auf der Schatzkarte – und schon geht’s für Gunnar und den Piraten auf Zeitreise: Zuerst zu einem vermeintlichen Stein, der sich als Riesen-Ei eines Dinosauriers entpuppt. Klopf, klopf, das Baby will raus. Doch auch die T-Rex-Mutter taucht auf... Kugel, Karte – und weiter geht’s – auch nicht weniger gefährlich – vermeintlich. Im Labyrinth von Knossos auf Kreta entpuppt sich der seit Jahrtausenden praktisch immer als Ungeheuer dargestellte Minotaurus als harmlos. Von den Menschen, vor allem den Herrschern zum Sündenbock gestempelt. Ihre Morde jubeln sie dem Tier unter.
Weitere Stationen der abenteuerlichen Zeitreise sind der Palast des indischen Königs Ashoka, Pompeji vor dem Ausbruch des Vulkans Vesuv, die Wälder Robin Hoods, ein Piratenschiff – von dem B.L.O.O.D geflüchtet ist und auf dem der echte Käpt’n Blood führt - und schließlich Schloss Schönbrunn. Dort treffen die beiden auf die noch nicht zehnjährige Maria Antonia, 15. Und vorletztes Kind der Kaiserin Maria Theresia. Der Versuch, sie vor der späteren Heirat nach Frankreich zu warnen, die ihr als Marie Antoinette letztlich das Leben kostete, fruchtet natürlich genauso nichts, wie die Warnung in Pompeji am Tag vor dem Vulkanausbruch. Die Zeitreise darf die Vergangenheit nicht verändern, sonst...
Freundschaft, Menschlichkeit
Zwischen den Stationen taucht der „Wächter der Zeit“ in flotten Video-Einspielungen auf, um seine Zeitreise-Kugel zurück haben zu wollen, bevor er gegen Ende real auftaucht. Viel wichtiger aber als die spannenden Abenteuer ist die zaghafte Annäherung von Gunnar und dem Piraten aus dem Kleiderschrank, die sich sogar zu einer echten Freundschaft verdichtet – die allerdings – wie auch der verstorbene Vater – „nur“ in Gedanken des „Hosen- und Klugscheißers“ Gunnar weiterleben. Das Stück ist ein abenteuerliches, spannendes Loblied der Fantasie – und für Menschlichkeit. Gunnar schafft es von Station zu Station den Piraten mehr von Kampf und Räubereien abzubringen und sein Herz zu öffnen. Nicht zuletzt dadurch verändert sich Gunnar vom vermeintlichen Loser zu einem selbstbewussten Alltagshelden, der auch zu sich selber steht.
Der Pirat im Kleiderschrank von Thomas Birkmeir Theater der Jugend Wien, ca. 2 Stunden, ab 6 Jahren
Besetzung Gunnar: Stefan Rosenthal Captain B.L.O.O.D. Uwe Achilles Der Wächter der Zeit Horst Eder Mutter / Shakuntala / Bandenmitglied Robins / Humpelfuß Felicitas Franz T-Rex Küken / Sheela / Bandenmitglied Robins / Marie Antoinette Julia Edtmeier Der Minotaurus Gongniù / Ashoka / Bruder Tuck / Einauge / Maria Theresia / Vater Frank Engelhardt Theseus / Diener Ashokas / Little John / Der echte Captain Blood Florian Stohr Diener Ashokas / Flavius / Robin Hood / Rattenfresser Jakob Elsenwenger
Regie Thomas Birkmeir Bühne Hans Kudlich Kostüme Irmgard Kersting Videogestaltung ATZGEREI (Aschenbrenner, Schönhardt, Tripolt) Licht Christian Holemy Dramaturgie Wolfgang TürksYvonne Zahn
Assistenz / Inspizienz Eva Maria Gsöllpointner Assistenz Videogestaltg. Marian Essl Regiehospitanz Elisabeth Niklas
Aufführungsrechte: Theater der Jugend, Wien
Wann & wo? Bis 25. Juni Renaissancetheater, 1070, Neubaugasse 36, 1070 Wien
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