Mit der "Nachtigall" Kulturen entdecken

Gruppenfoto beim Abschlussfest in der Volksschule Hebbelplatz
Mentoring- und Coaching-Projekt "Nightingale" bringt künftige Lehrende und Volksschulkinder für einige Monate zusammen.

Die U1 ist rot, die U2 lila, die U4… – grün…" Malika hat nicht nur das Farbleitsystem der Wiener U-Bahnlinie intus, sie kann auch den Plan lesen. Das ist nur ein Gewinn, den sie aus dem Mentoring-Projekt "Nightingale" gezogen hat. "Außerdem habe ich gemeinsam mit Sandra viel Mathe und Deutsch gelernt und gelesen. Wir waren aber auch auf Spielplätzen, einem wo ich hoch auf dem Trampolin gesprungen bin, und im Technischen Museum." Die 8-Jährige ist ein Mädchen, das an diesem Projekt teilgenommen hat.

Brücke

Mit der "Nachtigall" Kulturen entdecken
Katerina und Smaylen auf City-Tour
Dieses bringt angehende Lehrer und Volksschulkindern aus mehreren Bezirken zusammen. Derzeit gibt es in Wien rund vier Dutzend solcher Tandems, ein Dutzend mit PH-Studierenden feierte kürzlich den Abschluss mit Foto-Anschauen, Spiel, Spaß, Leintuch-Bemalen und Übergabe von Zertifikaten in der VS Hebbelplatz (Wien-Favoriten). Die anderen drei Dutzend studieren an verschiedenen Unis, in Graz und Salzburg.

Pädagogische Praxis

Mit der "Nachtigall" Kulturen entdecken
gurleen mit Katharina im Kindermuseum bei der Detektiv-Ausstellung
Angehenden Lehrern praktische Erfahrung in der Einzelbetreuung teil werden zu lassen (manche Lehramtsstudierende der Uni Wien präzisieren oder verwerfen danach ihre Berufsentscheidung), ihnen Einblick in für sich oft eher unbekannte Lebenswelten zu verschaffen, ist Hauptsinn und -zweck auf der einen Seite. So schildert einer der Studenten, dass sein "Patenkind" sich die 40 m²-Wohnung unter anderem mit vier Geschwistern teilen muss. Kein Wunder, dass es da nicht leicht ist, Hausübungen zu machen und man möglichst oft Zeit im Park und auf der Straße verbringen will. Und es in der Wohnung, wenn alle Kinder zu Hause sind, auch einmal recht laut werden kann – worüber sich wiederum Nachbarn aufregen…

Auf der anderen Seite eröffnet das Mentoring- und Coaching-Programm Kindern aus sognannten bildungsferneren Schichten die eine oder andere Begegnung mit Kultur- und Freizeiteinrichtungen zu denen sie sonst eher weniger Zugang haben/hätten.

Fußball bis Museum

Mit der "Nachtigall" Kulturen entdecken
Malika im Haus des Meeres
"Das Beste", so Metin, "war für mich, dass wir uns ein Fußballmatch live im Stadion angeschaut haben – Austria Wien gegen Sturm Graz. Ich hab zur Austria gehalten, aber Sturm hat drei zu null gewonnen. Aber eigentlich ist meine Mannschaft ja Galatasaray. Selber spiel ich auch gern. Erst heute haben wir im Turnsaal gespeilt und ich hab sogar ein Tor geschossen. Mit Clemens hab ich mich öfter getroffen. Wir waren auch im Naturhistorischen Museum, in der Städtischen Bücherei, im Haus des Meeres. Dort hab ich einen Hai gesehen, ein Krokodil, eine Schildkröte und eine lebendige Vogelspinne. Außerdem sind Vögel frei herum geflogen."

Sein Mentor Clemens freut sich vor allem darüber, "einen Zugang zu einer für mich neuen Kultur gewonnen zu haben, die ich vorher nur vom Hörensagen gekannt habe".

Faruk war mit Sophie "das erste Mal im Kindermuseum, bei der Detektiv-Ausstellung", aber auch im Haus des Meeres und im Haus der Musik." Am meisten beeindruckt hat ihn aber, dass die Studentin mit ihm "im Park am Hebbelplatz Fußball gespielt hat".

Das Haus des Meeres war für fast alle Tandems so etwas wie ein Fixpunkt, bzw. hat dieses bei den meisten Kindern einen bleibenden Eindruck hinterlassen, so auch bei Fatih, der mit Kathi dort "echte Schlangen und Fische gesehen" hat. Erstmals in seinem Leben war er auch Bowling spielen, "das war für mich neu und spannend". Im Tiergarten Schönbrunn beeindruckten ihn am meisten "Zebras, Giraffen und vor allem die Affen".

Gemeinsam entdecken

Mit der "Nachtigall" Kulturen entdecken
Sandra und Malika vor der Rettungszentrale, der sie auch einen Besuch abstatteten.
Studentin Petra hat "in Marija eine neue, kleine Freundin gewonnen. Wir werden auch nach dem Projekt uns immer wieder treffen und gemeinsam was unternehmen". Marija sprudelt los: "Wir waren im Naturhistorischen Museum , Schwimmen, im Kindermuseum. Wir haben gemeinsam gekocht – mehrere Male sogar; einmal Palatschinken, einmal Suppe und ein anderes Mal haben wir Schnitzel gemacht." Am meisten aber ist Marija stolz auf ein Autogramm von Thomas Brezina. "Wir waren bei einem Lesefest im Rathaus. Da hat er ein bisschen was vorgelesen und dann bin ich hingegangen und er hat mir ein Autogramm gegeben und wir haben auch ein gemeinsames Foto davon gemacht." Von all "seinen Büchern gefällt mir am besten Tom Turbo. Ich hab aber auch die Fernsehserie und den Kinofilm gesehen".

Die angehende Lehrerin hat aber nicht nur eine Freundin gewonnen, "für mich war vieles auch neu. Ich komm aus Linz und hab in Wien vorher gar nicht so viele Einrichtungen gekannt".

Erfunden wurde Nightingale (zu Deutsch Nachtigall) 1997 im schwedischen Malmö und nahm sich ein Vorbild am israelischen Programm "Perach". 2004 kam "Nightingale" über ein Comenius-Projekt an Pädagogische Unis in Spanien, Schweiz, Norwegen, Finnland, Dänemark, Island, Deutschland und Österreich. Die erste heimische Einrichtung, die sich daran beteiligte, war die Pädagogische Hochschule in Linz. Seit 2010 organisieren die Kinderfreunde und da federführend Günther Leeb von der "Initiative Interkulturelle Arbeit" die Projekte in den anderen österreichischen Städten. Die pädagogische Hochschule in Wien-Favoriten hat sogar eine eigene Lehrveranstaltung "Mentoring und Coaching von SchülerInnen" eingerichtet.

Mit der "Nachtigall" Kulturen entdecken
Aynur und Marie am Eis
In Schweden sind übrigens mittlerweile ehemalige Mentees zu MentorInnen geworden, berichtet Leeb vom jüngsten internationalen Netzwerktreffen der Nightingale-Projekt in Malmö. Aus den bisherigen Evaluierungen in Österreich ergebe sich, dass übrigens bei gut einem Drittel der Tandems der Kontakt auch lange nach dem Projektzeitraum gehalten habe.

Berührungsängste

Noch gebe es bei angehenden Lehrerinnen und Lehrern, berichtet Leeb, so manche Berührungsängste. Eine Studierende hat sich voriges Jahr nach der Informationsveranstaltung entschieden nicht teilzunehmen, "weil sie sich nicht zugetraut hat, mit ihrem Mentee allein durch die Stadt zu fahren". Wie das dann als Lehrerin mit einer ganzen Klasse sein wird? (Nicht nur) Leeb träumt davon, dass sich doch alle Studiengänge für angehende Lehrende solche und ähnliche Projekte anbieten und verweist auf das "Beispiel der Rütli-Schule in Neu-Kölnn, einer früher argen Brennpunktschule, die heute in vieler Hinsicht zum Vorbild geworden ist. Unter anderem besuchen die Lehrerinnen und Lehrer im Laufe eines Schuljahres alle Schülerinnen und Schüler zu Hause in ihren Familien."

www.nightingalementoring.org

www.kinderfreunde.at/Gemeinsam/Projekte

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