Flüchtlinge spielen Jelineks "Schutzbefohlene"

Flüchtlinge spielen Jelineks "Schutzbefohlene"
Profi-Kunstschaffende erarbeiteten mit Flüchtlingen aus Traiskirchen einstündige Performance nach Elfriede Jelineks Stück "Die Schutzbefohlenen".

Die Bühne im großen Saal des Theaterhauses Dschungel Wien ist vollbesetzt, ja sie geht fast über. Rund drei Dutzend junge Männer, einige Frauen und ein paar Kinder sitzen auf dem Boden, dicht gedrängt. In kleinen Gruppen unterhalten sie sich. Manche sitzen eher abseits, allein (gelassen). An einer Seite steht ein zwar abgewetzter aber doch irgendwie pompös wirkender roter Lehnsessel. Die Publikumsreihen füllen sich – auch fast mehr als Platz ist – dichtest gedrängt. Zwei Musikerinnen drehen Ocean Drums. Meeresgeräusche.

Traiskirchen

Flüchtlinge spielen Jelineks "Schutzbefohlene"
Sirene. Alle auf der Bühne springen auf, stellen sich wie zum Appell auf. Ein Mann in Uniformjacke begrüßt sie im Kommandoton und schlüpft in die Rolle eines Angehörigen der ORS, jener privaten Firma, die das Flüchtlingslager Traiskirchen verwaltet. Das ist er natürlich nicht. Die Schauspielerinnen und Schauspieler aber sind zum Großteil sehr wohl aus Traiskirchen: Flüchtlinge, die noch immer Lagerinsaßen sind oder andere, die es waren und nun in kleineren Einrichtungen oder bei Privatpersonen untergekommen sind.

Vor diesem Hintergrund spielen die Flüchtlinge in der folgenden Stunde ein Stück nach „Die Schutzbefohlenen“ von Elfriede Jelinek – angereichert um die eine oder andere eigene Erfahrung. Die Literatur-Nobelpreisträgerin hatte ihren Text im Winter 2012 geschrieben, nachdem damalige Traiskirchen-Insaßen nach Wien marschiert waren, um zu demonstrieren. Und als Reaktion darauf, dass immer wieder Flüchtlinge im Mittelmeer ertrunken sind.

Flüchtlinge plus Profis

Flüchtlinge spielen Jelineks "Schutzbefohlene"
Die jetzigen rund drei Dutzend Flüchtlinge haben in Zusammenarbeit mit einigen Profi-Künstler_innen, die das Projekt ehrenamtlich durchführen, im Juli begonnen an diesem Stück zu arbeiten. Zunächst wurden die Texte auf Farsi und Arabisch übersetzt, fast alle der Beteiligten kommen aus Afghanistan, Syrien und dem Irak. Nachdem sie den Text in ihren Erstsprachen gehört und gelesen hatte, begann das Lernen des deutschsprachigen Textes. „Es war schon ziemlich anstrengend die Texte zu lernen“, meint die Jugendliche Tara zum KiKu. Iman und andere pflichten ihr bei. Aber alle haben sich mit vollem Engagement und Freude an diese Aufgabe gestürzt. Erstens „wollen wir ohnehin noch viel mehr Deutsch lernen als wir überhaupt Deutschkurse haben“ und zweitens „gerade als wir im Lager waren (gilt für jene, die es noch immer sind) hatten wir damit was zu tun, sonst kannst du dort eh nix machen“.

Zwiespältig

Flüchtlinge spielen Jelineks "Schutzbefohlene"
Dennoch war die Arbeit an diesem Stück für einige der Beteiligten, wie sie im Publikumsgespräch nach der Aufführung meinten, ambivalent. „Viele Bilder und Gefühle aus der jeweils eigenen Flucht sind wieder hoch gekommen, was uns wieder traurig gemacht hat. Aber so können wir euch unsere Geschichten erzählen.“ Was immer wieder sehr Beklemmung auslöst. Immer wieder sorgen die Schauspieler_innen aber auch für die eine oder andere sarkastisch-witzige Szene.
Flüchtlinge spielen Jelineks "Schutzbefohlene"
„Die Schutzbefohlenen"
nach Elfriede Jelinek
Drei Dutzend Flüchtlinge (in auch aus organisatorischen Gründen wechselnder Besetzung) spielen in einer Inszenierung von Tina Leisch und Bernhard Dechant („Die schweigende Mehrheit sagt JA“)
unterstützt von österreichischen Schauspieler_innen und musikalisch arrangiert von Sun Sun Yap und Julia Pervolaraki

18. Dezember, 19 Uhr

Brunnenpassage
1160, Brunnengasse 71/Yppenplatz

Montag, 14. Dezember, 19 Uhr
Schauspielhaus Wien
1090, Porzellangasse 19

www.schweigendemehrheit.at/

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