Outsiders in der Wiener U-Bahn

Außenseiter unter sich: Unterschiedliche Fahrgäste in der U-Bahn bzw. in einem Theaterstück
Was, wenn Menschen in der U-Bahn ins Gespräch kommen?
Von Uwe Mauch

Einmal angenommen, Sie fahren in Wien mit der U3 und zwischen den Stationen Zieglergasse und Westbahnhof bleibt Ihr Zug stehen und bewegt sich "aus Sicherheitsgründen" auf unbestimmte Zeit keinen Millimeter mehr weiter.

Das ist die spannungsgeladene Ausgangssituation der neuen Theaterperformance Outsiders von Jakub Kavin, die am 3., 4. und 5. Dezember in der Expedithalle der ehemaligen Ankerbrotfabrik in Wien-Favoriten uraufgeführt wird.

Für 13 Menschen, 13 Schauspieler, so vielfältig wie das Leben, wird der Waggon plötzlich zur Zelle bzw. zur Begegnungszone für divergierende Menschen aus der Mitte und vom Rand der Gesellschaft.

Wichtig ist Regisseur Kavin, dass sie 13 Akteure aus ganz unterschiedlichen sozialen Milieus engagieren konnten (siehe unten): Neben Normalos wie etwa der pensionierten ORF-Lady oder der jungen Tänzerin ein syrischer Flüchtling, eine Rollstuhltänzerin, eine ehemalige Sexarbeiterin, ein Straftäter, der nach seiner Entlassung vom Verein Neustart begleitet wird.

Drei Aufführungen sind bereits gesichert; es fehlen aber 5000 € für eine rundum professionelle Darbietung. Dieses Geld soll mittels Crowdfunding gesammelt werden. Der Reinerlös der Karten geht dann an die Flüchtlingshilfe von Ute Bock.

Zum Karten-Vorverkauf hier.

Flucht – auf die Bühne:

Schauspieler aus Syrien

Outsiders in der Wiener U-Bahn
Mit anderen Menschen von der Welt abgeschnitten sein:Johnny Mhanna, 24, weiß, wie das ist. 45 Flüchtlinge saßen mit ihm im Schlauchboot, auch die beiden kleinen Mädchen, die ihm wie Engel vorkamen. 160 Minuten dauerte die Überfahrt von der türkischen Küste nach Mytilini auf der Insel Lesbos, bei der er fast ertrunken wäre. Schon 2012 hatte er Syrien verlassen und in Beirut an acht Theaterstücken, zwei Kino- und zwölf Kurzfilmen mitgewirkt. Bis Jordanien Visapflicht für Syrer einführte. Bilder der Flucht auf seinem Handy: Die geretteten Engel am Strand von Mytilini, daneben der Fast-Food-Laden, der das Geschäft des Lebens macht, Massen von Menschen in Mazedonien und Serbien, wo man an Johnny ausgezeichnet verdient hat. Happy End? „Vom Theaterstück hab’ ich auf der Flucht via Facebook erfahren.“

Endlich eine offene Tür:

Freigänger aus dem Krieg

Outsiders in der Wiener U-Bahn
„Ich habe im Häf’n Deutsch gelernt“, erzähltAbdilahi Faraah Ahmed, 26. Schwarzer im Gefängnis – eh klar! Doch wer dem Somali aus Mogadischu zwei Minuten zuhört, wird sich auf die Lippen beißen: „Ich wurde im Krieg geboren und wusste bis zu meiner Flucht nicht, was Frieden ist. Jeden Tag wurde jemand getötet oder verletzt. Das macht Angst. Meine Eltern versuchten dennoch, ein möglichst normales Leben zu führen. Der Vater als Maurer, die Mutter mit einem Lebensmittelladen. Ich träumte davon, Bauingenieur zu werden. Doch ich durfte in Österreich nie arbeiten. Als ich endlich einen Job fand, musste ich das, was ich verdient hatte, zurückzahlen. Alle Türen waren für mich zu. Da habe ich zu trinken begonnen – und wild um mich geschlagen. Ein Fehler, klar. Meiner Bewährungshelferin verdanke ich den Neustart.“

„Jacke, Tasche, Ärsche“:

Performerin im Rollstuhl

Outsiders in der Wiener U-Bahn
Außenseiterin in der Wiener U-Bahn: Wie das ist, weißCornelia Scheuer, 45, nur zu gut: „Jacke, Tasche, Ärsche – das ist das, was ich als Rollstuhlfahrerin zu sehen bekomme.“ Der Wiener Untergrund sei für sie nach wie vor wie „ein Dschungelcamp“. In dem sie um ihr Recht kämpfen muss, etwa vor Aufzügen. Menschen im Rollstuhl oder mit Kinderwagen sollten Vorrang haben. Haben sie aber nicht. Sie habe nicht viel Zivilcourage, sagt sie, aber manchmal muss sie doch etwas sagen. Auch jenen, die sich noch immer bemüßigt fühlen, ihr wie einem Armutschkerl über die Haare zu streichen. Zwar gibt es im öffentlichen Raum heute weniger Barrieren und daher mehr Menschen mit Behinderung. Normaler Umgang sei aber noch immer schwierig: „Manchmal muss ich den Leuten helfen, muss ich ihnen die Furcht vor mir nehmen.“

Ruhe in vollen Zügen:

Tänzerin aus Belgrad

Outsiders in der Wiener U-Bahn
Sie wird die Darinka Novaković spielen. Mehr wisse sie noch nicht, sagtKatarina Šćekić, 28, vor dem Probenstart. Groß war ihre Freude, als sie nach dem Casting ein Okay bekam. „Denn ich bin schon mehr Tänzerin, weniger Schauspielerin.“ Mit 20 übersiedelte die gebürtige Serbin von Belgrad nach Salzburg. Ausbildung und Studium der Theater-, Film- und Medienwissenschaft führten sie über Linz weiter nach Wien. Die Chance, in Österreich zu studieren, schätzt sie sehr. In ihrer Heimat sei das aufgrund der ökonomischen Lage schwierig geworden. Wien sei weniger hektisch als Belgrad, auch offener für fremde Kulturen. „Dafür ist das Leben in Belgrad mehr spontan, und man kommt auch mit den Menschen leichter ins Gespräch.“ Wie wahr! Wiener U-Bahn-Züge vermitteln oft das Gefühl, als würde hier Sprechverbot herrschen.

Der Engel in neuer Rolle:

Redakteurin im Ruhestand

Outsiders in der Wiener U-Bahn
In die Rolle der ausländerfeindlichen, ständig sudernden älteren Wienerin soll sie schlüpfen.Sonja Sommer, 67, schüttelt den Kopf. „Also die ist konträr zu mir. Die hat mit mir nichts zu tun. Im Gegenteil. Auch ich war in Traiskirchen, um den Flüchtlingen zu helfen.“ Dennoch freut sich die ORF-Pensionistin, die lange im Sekretariat vom Aktuellen Dienst gearbeitet hat, auf diesen Rollenwechsel: „Das gibt mir die Chance, neue Erfahrungen zu machen.“ Bisher war sie im Werbefernsehen zu sehen, als Botschafterin für Milchprodukte, Lebensmittelketten oder einen speziellen Staubsauger. Da war mehr ihr Lächeln gefragt. Ihre Hoffnung ist groß, dass das neue Theaterstück gegen aktuelle Ängste wirkt. Und am Ende verrät sie: „Wenn ich ehrlich bin, bin ich kein Engel. Manchmal kann ich mich auch aufregen.“

Weg von den Sorgen:

Trabant auf Arbeitssuche

Outsiders in der Wiener U-Bahn
Er hat im Publikumsdienst und bei der Requisite im Theater in der Josefstadt gearbeitet, ein halbes Jahr bei Admiral Sportwetten, als Botenfahrer, Rezeptionist, in einer Apotheke und als Regiehospitant in den Kammerspielen. Von einem Job zum nächsten, das sei jahrelang gut gegangen, erzähltMichael Ernst, 46. „Doch seit drei, vier Jahren ist es schwieriger.“ Wer über 40 ist, zählt auch als Jobhopper zum alten Eisen. Fühlt er sich als Outsider? „Ich fühle mich eher als Trabant. Ich werde es sicher wieder schaffen.“ Lieber redet Herr Ernst aber über anderes: „Ich bin ein Filmfanatiker. Ich liebe den Film. Vielleicht ist das auch eine Flucht.“ Und über das Theater: „Seit zehn Jahren bin ich Darsteller beim Ersten Wiener Lesetheater.“ In Outsiders wird er einen verkappten Künstler spielen: „Das werde aber nicht exakt ich sein.“

Die Bühne im großen Saal des Theaterhauses Dschungel Wien ist vollbesetzt, ja sie geht fast über. Rund drei Dutzend junge Männer, einige Frauen und ein paar Kinder sitzen auf dem Boden, dicht gedrängt. In kleinen Gruppen unterhalten sie sich. Manche sitzen eher abseits, allein (gelassen). An einer Seite steht ein zwar abgewetzter aber doch irgendwie pompös wirkender roter Lehnsessel. Die Publikumsreihen füllen sich – auch fast mehr als Platz ist – dichtest gedrängt. Zwei Musikerinnen drehen Ocean Drums. Meeresgeräusche.

Traiskirchen

Outsiders in der Wiener U-Bahn
Sirene. Alle auf der Bühne springen auf, stellen sich wie zum Appell auf. Ein Mann in Uniformjacke begrüßt sie im Kommandoton und schlüpft in die Rolle eines Angehörigen der ORS, jener privaten Firma, die das Flüchtlingslager Traiskirchen verwaltet. Das ist er natürlich nicht. Die Schauspielerinnen und Schauspieler aber sind zum Großteil sehr wohl aus Traiskirchen: Flüchtlinge, die noch immer Lagerinsaßen sind oder andere, die es waren und nun in kleineren Einrichtungen oder bei Privatpersonen untergekommen sind.

Vor diesem Hintergrund spielen die Flüchtlinge in der folgenden Stunde ein Stück nach „Die Schutzbefohlenen“ von Elfriede Jelinek – angereichert um die eine oder andere eigene Erfahrung. Die Literatur-Nobelpreisträgerin hatte ihren Text im Winter 2012 geschrieben, nachdem damalige Traiskirchen-Insaßen nach Wien marschiert waren, um zu demonstrieren. Und als Reaktion darauf, dass immer wieder Flüchtlinge im Mittelmeer ertrunken sind.

Flüchtlinge plus Profis

Outsiders in der Wiener U-Bahn
Die jetzigen rund drei Dutzend Flüchtlinge haben in Zusammenarbeit mit einigen Profi-Künstler_innen, die das Projekt ehrenamtlich durchführen, im Juli begonnen an diesem Stück zu arbeiten. Zunächst wurden die Texte auf Farsi und Arabisch übersetzt, fast alle der Beteiligten kommen aus Afghanistan, Syrien und dem Irak. Nachdem sie den Text in ihren Erstsprachen gehört und gelesen hatte, begann das Lernen des deutschsprachigen Textes. „Es war schon ziemlich anstrengend die Texte zu lernen“, meint die Jugendliche Tara zum KiKu. Iman und andere pflichten ihr bei. Aber alle haben sich mit vollem Engagement und Freude an diese Aufgabe gestürzt. Erstens „wollen wir ohnehin noch viel mehr Deutsch lernen als wir überhaupt Deutschkurse haben“ und zweitens „gerade als wir im Lager waren (gilt für jene, die es noch immer sind) hatten wir damit was zu tun, sonst kannst du dort eh nix machen“.

Zwiespältig

Outsiders in der Wiener U-Bahn
Dennoch war die Arbeit an diesem Stück für einige der Beteiligten, wie sie im Publikumsgespräch nach der Aufführung meinten, ambivalent. „Viele Bilder und Gefühle aus der jeweils eigenen Flucht sind wieder hoch gekommen, was uns wieder traurig gemacht hat. Aber so können wir euch unsere Geschichten erzählen.“ Was immer wieder sehr Beklemmung auslöst. Immer wieder sorgen die Schauspieler_innen aber auch für die eine oder andere sarkastisch-witzige Szene.

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