Spannende Storys, guter Schreibstil, beeindruckende Bilder

Eine der jungen Jurys
Jury der jungen LeserInnen: Junge "Leseratten" wählten aus mehr als 200 Kinder- und Jugendbüchern ihre Favoriten.

Weit mehr als 200 Kinder- und Jugendbücher und fünf Dutzend Bilderbücher standen im vergangenen Schuljahr auf der Leseliste der Jury der jungen Leser_innen. Zum 22. Mal wählten junge „Leseratten“ - diesmal zwischen 12 und mehr als 20 Jahren – ihre Favoriten zwischen Buchdeckeln. Erstmals fand die Preisverleihung nicht im Literaturhaus in Wien-Neubau, sondern im Studio des Theaters Akzent (Wien-Wieden) – unweit von dem von der Initiatorin dieser Jury, Mirjam Morad, ziemlich neu installierten LiteraturRaum statt.

Die Auswahl ist allein schon bei der Anzahl der gelesenen Bücher keine leichte Aufgabe, immerhin finden sich in den Auswahllisten der jungen Literaturkritiker_innen auch Werke berühmter Autor_innen wie Cornelia Funke oder Linda Wolfsgruber. Natürlich wählten – wie auch in den 21 Jahren davor – die jungen, kritischen Buchfreund_innen letztlich doch Werke, die ihnen noch besser als sehr gut gefielen.

Mitten im Wald

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Jury der Jüngsten, die "Das dunkle Herz des Waldes" ausgewählt hatte
Marion Rindler und Annabelle Löffler aus der Gruppe der Jüngsten entschieden sich für „Das dunkle Herz des Waldes“ von Naomi Novik. Ihre Wahl begründen sie u. a. so: Das Buch „lädt ein in die märchenhafte Welt eines Zauberers, Drache genannt, der sich alle zehn Jahre ein Mädchen aus dem Dorf in den Wald holt. Die Geschichte spielt im Mittelalter und vermittelt das Gefühl als wäre man unmittelbar mit dabei und würde den Geruch der Bäume riechen. Was anfangs mysteriös und beängstigend scheint, wird logischer und löst sich mehr und mehr auf. Es ist ein fantasievolles, gut geschriebenes, spannendes Buch, das den Leser in diese zauberhafte Welt hineinzieht, so dass man das Buch kaum aus der Hand legen kann.“

Die Autorin, die von sich sagt, sie lebe mit ihrem Mann und sechs Computern in New York, wuchs mit Babajaga—Geschichten und Tolkien-Büchern aufgewachsen, studierte englische Literatur, ist im Bereich IT-Wissenschaften tätig gewesen, hat Computerspiele entwickelt, meinte aber dann, lieber zu schreiben als zu programmieren.

Traurig und doch nicht hoffnungslos

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"Vom ende der Einsamkeit" wurde gleich von zwei Jury-Gruppen zu ihrem Buchfavoriten gekürt
Die beiden altersmäßig nächstfolgenden Gruppen kamen – völlig unabgesprochen – zur selben Wahl: „Vom Ende der Einsamkeit“ von Benedict Wells. Es handelt sich um einen Roman über drei ungleiche Geschwister, die früh ihre Eltern verlieren.

Die Jüngeren (ab 15 Jahren: Anna-Maria Apata, Lea Gajdusek, Hannah Groman und Selma Köhler) begründen ihre Wahl u.a. so: „Dieses Buch berührt und bringt zum Weinen. Es vereint unglaubliche Traurigkeit, Hoffnung und Positivität. Eine persönliche Geschichte über die Verarbeitung von Trauer und Tod und über die Facetten des Lebens. Wunderschön, traurig und trotzdem optimistisch, gleichzeitig hoffnungsvoll, tröstlich und sehr ergreifend. Benedict Wells ist ein Naturtalent, der in die Tiefe gehen kann, Charaktere schafft, die man liebgewinnt und philosophische Gedanken zwischendurch einstreut. Ein unschlagbar gutes Buch!“

Bei der Preisverleihung ergänzten die Jung-Buch-Jurorinnen: „Das Buch war außergewöhnlich berührend, emotional, sehr einfühlsam geschrieben, tiefgründig mit philosophischen Gedanken. Es ist eine wahnsinnig traurige Geschichte und trotzdem spürt man so wenig Pathos in diesem Buch, weil es so menschlich ist und auch die Sprache zeugt davon, wie viele Facetten jeder Mensch hat. und wie unglaublich menschlich sie einfach mit ihren Problemen und Erfahrungen umzugehen lernen. Das Buch feiert einfach diese Zweischneidigkeit des Lebens, in dem Freude und Trauer immer zusammenkommen und es nie zu spät ist, auch einmal Glück zu finden... das auch auf ganz leisen Sohlen daherkommen kann und in den kleinen Momenten liegt.“

Geschichte UND Schreibstil!

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Skype-Interview mit dem Autor Benedict Wells
Die 17-/18-Jährigen (Jacqueline Kanta, Nikola Pilsel und Sarah Rabong) fanden: „Die Geschichte selbst und wie sie aufgebaut ist, verdient bereits den Preis, aber auch der Schreibstil und die Sprache. Ebenso die Beziehung der Geschwister, die wunderschön charakterisiert ist und der Ton, der immer richtig getroffen, nie übertrieben, nie emotional extrem wirkt. Man wird total in die Geschichte hineingezogen. Der Schriftsteller hat die ganze Komplexität erkannt. Das Ende ist traurig, aber nicht hoffnungslos.“

Bei der Preisverleihung sprachen die drei davon, dass das Buch so geschrieben sei, „dass man hinein gefallen ist in die Geschichte, sich in die Figuren hinein versetzt hat und man auch nicht aufhören konnte zu lesen. So packend war’s einfach. Man hat auch richtig mitgefühlt, musste auch weinen. Die Geschichte bleibt länger im Kopf, lässt einen nicht los, das schwirrt einem im Kopf herum auch wegen der Botschaft, die das Buch vermittelt, eben dass im Leben viel Unglück passieren kann, aber dass man sich trotzdem auf etwas freuen kann, was nachher kommt, dass immer noch was Besseres kommen kann, dass man nicht aufgeben soll. Der Autor hat es geschafft, die ganzen Beziehung so darzustellen, dass man sie verstanden hat, obwohl sie eigentlich so kompliziert sind.“

Eine der Jurorin meinte gar: „Nachdem ich das Buch zugeklappt habe und in mich gekehrt ruhig war, hatte ich zunächst keine Lust, ein anderes Buch zu lesen oder was anderes zu machen, sondern eine Zeitlang nur darüber nachgedacht. Das hat man nicht bei vielen Büchern.“ Sie hob die vielen Hintergrundgeschichten hervor, in denen man „so viel über die Geschwister erfährt. Obwohl es nicht actionreich, geschwindigkeitsvoll“ geschrieben sei, wäre es „sehr packend, man will unbedingt weiter lesen.“

Die Jugendlichen führten mit dem Autor auch via Skype ein Interview – siehe

hier
:

Fast hundert Jahre alt und doch ...

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... nicht nur die Preisbücher, sondern auch viele aus den Auswahllisten standen und lagen bereit ...
Weil sie sich fürs selbe Buch entschieden haben, stellte diese Jurygruppe noch jenes Buch vor, das sie auf Platz 2 setzten – außerdem bekam es einen der Coverpreise: „Marylin“. Der Text ist vor fast 100 Jahren als Fortsetzungsroman in der „Neuen Freien Presse“ in Wien erschienen. Im Mittelpunkt steht ein Paar in New York. Marylin, die Hauptfigur, ist von einem Geheimnis umgeben, nirgends findet sich ein Foto ihrer Mutter. Weshalb, das erklärt sich später, als sie ein Kind zur Welt bringt – mit dunkler Hautfarbe. Obwohl in liberalen Kreisen unterwegs und sie und ihr Mann mit einem dunkelhäutigen Boxer befreundet sind, nimmt sie lieber den Vorwurf, fremdgegangen zu sein in Kauf als zu sagen, dass ihre Mutter ebenfalls dunkelhäutig war.
Alle halten sich für sehr liberal, sehr toll, weil sie mit schwarzen befreundet sind. Sie sind ja sooo tolerant, aber..
Über dieses Buch sagten die Jurorinnen: „Sehr gut gefallen hat uns, dass es einen richtigen Plot-Twist gibt. Anfangs wie eine Liebesgeschichte, geht es gegen Ende um ein ganz anderes Thema, ein viel schwierigeres. Ab dem Zeitpunkt wo man erfährt, dass Marilyn eine schwarze Mutter hat, werden Sachen, die vorher unlogisch erschienen sind, deutlicher und klarer, warum sie von dem Geheimnis gehemmt wurde.
Oft geht es nicht um direkt ausgelebte Diskriminierung, sondern um einen Rassismus, der ein bisschen beiläufig, ein bisschen alltäglich daherkommt und man sich besser vorstellen kann, wie das sein muss, wenn man unterschwellig immer wie ein Mensch zweiter Klasse behandelt wird. Es ist nicht nur eine Geschichte, die in das Jahr 1928 führt – obwohl dessen Lebensgefühl vermittelt wird. Man sieht schon Parallelen zur Gegenwart.“
Auch als Cover wird schwelender Rassismus sichtbar gemacht. Es passt perfekt zur Geschichte und spiegelt die Atmosphäre wieder - unangenehm und beklemmend.

Bilderbücher

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"Wasserwelten" hatte es - nicht nur - dieser Jury angetan
Die „ältesten“, langjährige Jury-Mitglieder, die nun (wieder) dabei – und schon über 20 Jahre – sind, wählten zwei außergewöhnliche Bilderbücher aus. Teresa Meier, Katharina Pech, Tamara Pilz und Resi Schlemmer entschieden sich für „Martha“ vom Künstler Atak (Georg Barber) und kürten mit „Wasserwelten“ von Rambharos Jha einen Sonderpreis.

Zu ersterem begründeten die vier jungen Frauen ihre Entscheidung so: „In farbenfrohen, ausdrucksstarken Bildern erzählt die letzte Wandertaube Martha ihre Geschichte. Dieses Buch ist ein Gesamtkunstwerk, das rundherum stimmig ist: Jedes Bild ist ein Gemälde, das mit prächtigen Farben und wilden Pinselstrichen die Welt der Wandertauben und ihr Aussterben greifbar macht. Dass die Proportionen nicht immer zusammenpassen, stört dabei nicht. Besonders ist auch der Aufbau der Geschichte, die mit einer dunklen Formation am Himmel beginnt und immer konkreter wird. Erst ganz am Ende stellt sich die Erzählerin als Martha vor. Der Text passt wunderbar zu den Bildern, indem er sie poetisch und präzise beschreibt, jedes Wort ist mit Bedacht gewählt. Ohne umständliche Erklärungen wird so der Konflikt zwischen Mensch und Wandertaube dargestellt. Schön gestaltet ist auch das Cover mit Leinenrücken, das Martha vor einem Vogelschwarm zeigt.“

Der Autor und Illustrator findet: „Für mich ist es eine Geschichte darüber, wem die Welt gehört.“ Es geht immerhin um die Ausrottung einer Tierart durch das Einwirken von Menschen. In diesem Buch lässt er die Taube erzählen – mit wenig Text – in Summe knapp mehr als 1 ¼ Seiten.

Sonderpreis

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... nicht nur die Preisbücher, sondern auch viele aus den Auswahllisten standen und lagen bereit ...
Über „Wasserwelten“ meinen die vier Jurorinnen: „Es ist kein gewöhnliches Bilderbuch, sondern ein Kunstwerk, das die Kunst und Literatur der nordindischen Region Mithila in den deutschsprachigen Raum transportiert. Ausgewählte Texte aus indischen Schriften werden mit Bildern im Stil der künstlerischen Tradition von Mithila kombiniert. Die leuchtenden Farben, das ungewöhnliche Format und die sorgfältige Buchgestaltung mit wunderbarem Papier machen dieses Bilderbuch zu einem haptischen und visuellen Erlebnis.“

Rambharos Jha wollte die Wasserwelten, die er als Kind am Ufer des Ganges entdeckt hatte so darstellen wie er sie erlebt hatte. Dazu griff er zu einer speziellen Maltechnik, einer traditionellen in Indien, mit der zu besonderen Anlässen Wände der Häuser und Vorhöfe bemalen mit Darstellungen von Götter und Göttinnen, Fruchbarkeitssymbolen usw. – meist von Frauen, nur selten von Männern – gemalt werden.

Eingebaut sind alte tamilische Gedichte und ein kurzer erläuternder Begleittext. Das Buch aus handgeschöpftem Papier ist „fast wie eine Indien-Reise, man kann es sogar riechen“ meint die Jury.

www.juryderjungenleser.at/

Die Auswahlen:

Jugendjury (12 – 14 Jahre)
Naomi Novik
Das dunkle Herz des Waldes
Aus dem amerikanischen Englisch von Marianne Schmidt.
Cbj 2016

KritikerInnenjury (ab 15 bzw. 17/18)
Benedict Wells
Vom Ende der Einsamkeit
Diogenes 2016

Bilderbuchpreis (20+)
ATAK
Martha
Aladin 2016

Sonderpreis (20+)
Rambharos Jha
Wasserwelten
Aus dem Englischen von Eveline Masilamani-Meyer
Baobab Books 2016

Coverpreise

Jugendjury (12/14 Jahre)
Der Hummelreiter
Friedrich Löwenmaul
Gestaltung, Bildtafeln und Vignetten: Eva Schöffmann-Davidov
Beltz & Gelberg 2016

„Das liebevoll und mit vielen Details gestaltete Cover bringt die fantastische Welt der Insekten direkt zum Leser - wie eine Blumenwiese in die man eintaucht. Es erinnert an Bienenwaben, dekoriert mit wunderbaren Blumen und Insekten, in deren Mitte eine goldene Hummel fliegt mit einem Reiter auf ihr. Die Farben sind gedeckt: Braun für das Erdreich und den Körper der Hummeln und Grün für deren Flügel sowie der Pflanzen. Im Buch gibt es drei grüne doppelseitige Bildtafeln sowie Vignetten, die jeweils Motive aus dem Cover aufweisen.“

KritkerInnenjury (15-20 Jahre)
Marylin
Gestaltung und Illustration: Jorghi Poll
Edition Atelier 2016

KritkerInnenjury (17-18 Jahre)
Kirschblüten und rote Bohnen
Gestaltung: Lübbeke Maumann Thoben, Köln
Illustration: Rüdiger Trebels
DuMont, 2016

„Das Cover passt genau zum Inhalt des Buches. Die minimalistische Darstellung der drei Hauptpersonen - nebeneinander und mit dem Rücken zum Betrachter stehend - gibt ihre Geschichte und die Beziehung zueinander wider und lässt ihre Charaktere erahnen. Wunderschön sind auch die symbolhaft angedeuteten, zarten Kirschblüten, die im Buch eine zentrale Rolle spielen. Sie setzen sich auf dem raffiniert gestalteten Vorsatzpapier fort, das eine Lasche mit dem Informationstext aufweist. Das handliche Format, die Leinenstruktur des Covers, die zarte Farbgebung und das zartrosa Lesebändchen runden die einfühlsame Gestaltung ab und bereiten visuelles wie haptisches Vergnügen. Ein echter Hingucker!“

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