Lesen verleiht Flügel

Miriam Abi Ayad und Marion Rindler kopierten eine Seite des Buches mehrfach und verliehen diesen im wahrsten Sinn des Wortes Flügel.
Kinder und Jugendliche wählten ihre Buchfavoriten - zum 20. Mal.

Zum 20. Mal zeichneten Kinder und Jugendliche im Literaturhaus Wien Autorinn_en, Illustrator_innen und Verlage aus. Die „Jury der jungen LeserInnen“ – in verschiedenen Altersgruppen von 10 bis 20 Jahren – liest das ganze Jahr über Dutzende Bücher, diskutiert darüber und kürt gegen Ende des Schuljahres ihre Buchfavoriten.

Neue Jurorinnen

Lesen verleiht Flügel
Miriam Abi Ayad und Marion Rindler mit dem Buch, das sie für das beste halten.
Mit Miriam Abi Ayad und Marion Rindler bildete sich in diesem Jahr erst spät eine kleine, aber feine völlig neue Gruppe der allerjüngsten Fachleute dieser Jury, deren Urteil mittlerweile in einer Reihe von Verlagen sehr hoch geschätzt wird. So hoch, dass in diesem Jahr zur Preisverleihung sogar fünf Preisträger_innen und ebenso viele Vertreter_innen von Verlagen kamen. Dazu gesellten sich noch Repräsentant_innen zweier Kulturinstitute (Polnisches und Italienisches).
Lesen verleiht Flügel
Miriam Abi Ayad und Marion Rindler mit dem Buch, das sie für das beste halten.
Zurück zu den Jüngsten: Der Kinder-KURIER, der bei der Preisverleihung in Linz beim Kinder- und Jugendtheaterfestival Schäxpir war, traf Marion Rindler (10) und Miriam Abi Ayad (11) zu einem Exklusivtermin im Literaturhaus. Erstere kannte die Jury schon aus Erzählungen ihres Bruders (jetzt in der Jury der 13- und 14-Jährigen) und damit verbunden als Zuhörerin früherer Preisverleihungen. Sie wollte schon im Herbst als Jung-Jurorin einsteigen, blieb aber zunächst alleine – bis im März Miriam Abi Ayad auftauchte. Beide lesen – wie nicht anders zu erwarten sehr gerne. Die zuletzt genannte Neu-Jurorin erinnert sich, „ich hab schon vor der Volksschule lesen wollen und es darum auch gelernt. Und ich lese so ziemlich alles, was ich in die Hände bekomm, nur zu viel Fantasy mag ich nicht so sehr. Bis zur Jury hab ich oft mit einer Freundin, die ungefähr denselben Büchergeschmack hat, oft diskutiert. Sie konnte aber nicht zur Jury kommen, weil sie so vieles andere, vor allem Musik macht.“

Buch im Buch

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Miriam Abi Ayad und Marion Rindler kopierten eine Seite des Buches mehrfach und verliehen diesen im wahrsten Sinn des Wortes Flügel.
Die Wahl der beiden Viel- und Gern-Leserinnen fiel auf „Flügel aus Papier“ von Marcin Szczygielski, (Aus dem Polnischen übersetzt von Thomas Weiler, Verlag Sauerländer). In diesem Buch geht es um Rafal, einen 8-jährigen Buben, der mit seinem Großvater im Warschauer Ghetto lebt. Sie sprechen immer vom „Bezirk“. Das war ein Stadtteil der polnischen Hauptstadt, den die deutschen Besatzer, die Nazis, zugemauert hatten und den die polnischen vor allem Jüdinnen und Juden nicht verlassen durften, sozusagen ein Freiluftgefängnis. Die beiden Buchkritikerinnen „faszinierte an dem Buch, dass es eine wahre Geschichte aufgreift aber mit Fantasie verbindet“. Rafal findet in „Die Zeitmaschine“ von H.G. Wells sein Lieblingsbuch. Das Buch und die von ihm ausgelösten Gedanken von Zeitreisen sind für Rafal wie Flügel aus Papier, die ihn die schlimmsten Gefahren aushalten lassen. Außerdem zieht er immer wieder Parallelen zwischen Wells‘ Buch und seinem Leben im Ghetto. Die Eloi aus der „Zeitmaschine“ sind für ihn die Jüd_innen, in den SS-Männern sieht er die Wells’schen Morlocken.

Rasche Einigung

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Miriam Abi Ayad und Marion Rindler kopierten eine Seite des Buches mehrfach und verliehen diesen im wahrsten Sinn des Wortes Flügel.
Trotz des traurigen Themas verschafft, so die beiden, dieses Buch, „in dem ja sogar viel von einem zweiten Buch („Die Zeitmaschine“) vorkommt, auch heitere Momente.

Recht rasch waren sich die beiden auch über ihr Siegerbuch einig. „Es gab schon noch ein zweites für die engere Auswahl, „Die Spur des Mondbären“ von Gill Lewis (aus dem Englischen von Siggi Seuß, dtv), „aber es hat uns dann doch nicht so gut gefallen wie „Flügel aus Papier“.

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Miriam Abi Ayad und Marion Rindler mit dem Buch, das sie für das beste Titelbild auszeichneten.
Aber die „weiteren Bücher zu nominieren war nicht gerade superleicht“, gestehen die beiden, dass es mitunter schon schwierig war, sich auf eine Auswahl zu einigen. Ganz leicht fiel die Wahl der beiden dafür was den Coverpreis betrifft, den jede Gruppe auch vergibt: „Das Haus, in dem es schräge Böden, sprechende Hunde und Wachstumspulver gibt“ von Tom Llewellyn (Autor), Maximilian Meinzold (Illustrator) und Petra Sparrer (Übersetzerin) (Verlag Thienemann). „Da passt die Art der Zeichnung und der Schrift einfach sehr gut zum Titel des Buches“, finden Miriam Abi Ayad und Marion Rindler.
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Die 15- und 16-jährigen Juror_innen wählten David Safiers "28 Tage lang" zu ihrem Buchfavoriten dieses Schuljahres.
Ein zweites Buch spielt im und um das Warschauer Ghetto. David Safier verpackt in „28 Tage lang“ den Wider- und Aufstand der letzten vier Wochen des Ghettos in in einen fast Abenteuer-Jugendroman.
Mehr dazu – sowie ein Gespräch mit dem Autor gibt es hier:

Nikola Pilsel, eine der drei Mitglieder der Jury der 15 und 16-Jährigen zum Kinder-KURIER: „Ich selber fand viele Bücher gut“, auf dieses aber hätten sich alle drei einigen können.

Cover-Top und -Flop

Was Cover und Gestaltung betrifft wählten Nikola Pilsel sowie ihre Kolleg_innen Petra Kaser und Gregor Schindler „Zwillingssterne“ von Christina Moracho, aber auch den gesamten kleinen, jungen Verlag Königskinder.
Diese Gruppe wählte aber auch einen „Cover-Flop“. „Wanted. Ja. Nein. Vielleicht“ von Lena Hach aus dem Beltz & Gelberg-Verlag sei ein „echt gutes Buch, aber das Titelbild ist gar nicht gut“, befanden die jungen Buch-Fachleute.

8-Jähriger will Napoleon treffen

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"Teo": die junge Autorin aus Italien mit den jugendlichen Jurymitgliedern.
Eine ziemlich schräge tiefgründige und doch sehr witzige Story ist der nicht einmal noch 30-jährigen Lorenza Gentile mit Teo (dtv) gelungen. Der 8-jährige Teo ist voll genervt von den oft sehr bösartigen Streitigkeiten seiner Eltern. Wie Schlachten sind diese. Zum Geburtstag bekommt er ein Buch über Napoleon, einen französischen Feldherrn, der (fast) alle Schlachten gewonnen hat. Den will er treffen, um diese Schlacht zu gewinnen, die Streits der Eltern zu beenden. Als er drauf kommt, dass Napoleon schon tot ist, fällt ihm die Geschichte mit Orpheus und Eurydike ein, der ja auch die Chance gehabt hätte, seine schon verstorbene Ehefrau aus dem Totenreich zurück zu holen.
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"Teo"
Oder ist der einzige Ausweg, selber zu sterben, um Napoleon zu treffen? Und was ist überhaupt nach dem Tod? Teo beginnt sich damit zu beschäftigen, kommt drauf, dass dies abhängig ist von der jeweiligen Religion, die einen kennen Paradies und Hölle, andere einen ewigen Kreislauf aus Wiedergeburten und wieder andere gehen davon aus, dass nichts ist. Sein Freund Xian hat eine ganz andere Theorie. In jedem Menschen sieht er Zahlen. Nach dem Tod käme einfach ein Minus davor, die Person würde dann eine negative Zahl...

Die Gruppe der jugendlichen Kritiker_innen begründen ihre Wahl so: „Mit Teo haben wir ein weiteres Buch um die großen Dinge des Lebens vor uns, das ebenfalls konsequent aus der Sicht des Kindes geschrieben ist. Die Gedanken des Kleinen sind so nachvollziehbar, obwohl so irrationale. Genial. Sehr berührend, philosophisch und voller Poesie schreibt Lorenza Gentile über ein schweres Thema, das ganz leicht daherkommt und doch so zerbrechlich ist. Dieses Buch ist ein Glückstreffer. Nicht entgehen lassen!“

Ohne Worte

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"Der Fluss": Jungjuror_innen und Video von der Arbeit des Illustrators.
Schon in den vergangenen Jahren hatte die älteste Gruppe der Jury der jungen LeserInnen immer wieder Bilderbücher ausgewählt. Diesmal vergaben sie einen „Sonderpreis für ein herausragendes Kunstbuch“ an Alessandro Sanna für „Der Fluss“ (Verlag Peter Hammer). Seine Aquarellbilder kommen gänzlich ohne Worte aus, lassen Landschaft, Menschen und Tiere in den verschiedenen Jahres- und Tageszeiten vorbeiziehen. Wie in einer Art Film beim schnellen Durchblättern, zum Verweilen samt entdecken von Neuem beim langsamen Verweilen vor einzelnen Seiten.

Hier die gesammelten Ergebnisse aller Altersgruppen der „Jury der jungen LeserInnen“

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"Flügel aus Papier": Jungjurorinnen, Autor und Übersetzerin
KINDERBUCHPREIS 2015 der Jury der Jungen Leser (10/11 Jahre)
Marcin Szczygielski, „Flügel aus Papier“ (Aus dem Polnischen übersetzt von Thomas Weiler, Verlag Sauerländer)
Jurorinnen: Miriam Abi Ayad, Marion Rindler

JUGENDBUCHPREIS 2015 der Jury der Jungen Leser (13/14 Jahre)
Jean-Claude van Rijckeghem und Pat van Beirs „Galgenmädchen“ (Übersetzerin aus dem Niederländischen Mirjam Pressler, Verlag Gerstenberg)
Juror_innen: Isabella Springer, Victoria Löffler, Tobias Rindler

JUGENDBUCHPREIS 2015 der Jury der Jungen Leser (15/16 Jahre)
David Safier, „28 Tage lang“ (Rowohlt)
Juror_innen: Petra Kaser, Nikola Pilsel, Gregor Schindler

KRITIKER_INNENPREIS 2015 der Jury der Jungen Kritiker (17/20 Jahre)
Lorenza Gentile, „Teo“ (Übersetzerin aus dem Italienischen: Annette Kopetzki, dtv)
Juror_innen: Axel K. Gendron, Zoë K. Gendron, Jacqueline Kanta

BILDERBUCHPREIS 2015 der Jury der Jungen KritikerInnen
(17/20 Jahre + Gastjuror aus der Jugendbuchjury: 14 Jahre)
Tine Mortier/Kaatje Vermeire, „Marie und die Dinge des Lebens“ (Aus dem Niederländischen von Rolf Erdorf übersetzt, Verlag Bohem)
Juror_innen: Axel K. Gendron, Zoë K. Gendron, Jacqueline Kanta und Tobias Rindler

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"Der fluss"
SONDERPREIS 2015 der Jury der Jungen Kritiker (17/20 Jahre)
Alessandro Sanna, „Der Fluss“ (Verlag Peter Hammer)
Juror_innen: Axel K. Gendron, Zoë K. Gendron, Jacqueline Kanta + Tobias Rindler

Titelbilder

COVERPREIS 2015 – Kinderbuchjury (10/11 Jahre)
Tom Liewellyn, „Das Haus, in dem es schräge Böden, sprechende Tiere und Wachstums- Pulver gibt“ (Übersetzerin aus dem Amerikanischen Englisch: Petra Sparrer, Vlg. Thienemann)
Jurorinnen: Miriam Abi Ayad, Marion Rindler

COVERPREIS 2015 – Jugendbuchjury (13/14 Jahre)
Juli Berry, „Lasst uns schweigen wie ein Grab“ (Übersetzung aus dem Amerikanischen Englisch: Eva Plorin, Thienemann)
Juror_innen: Isabella Springer, Victoria Löffler, Tobias Rindler

COVERPREIS 2015 – Jugendbuchjury (15/16 Jahre)
Christina Moracho, „Zwillingssterne“ (Aus dem Amerikanischen Englisch von Annette Weppen übersetzt, Königskinder)
+ Verlagsauszeichnung
Juror_innen: Petra Kaser, Nikola Pilsel, Gregor Schindler

COVERPREIS 2015 – Kritikerjury (17/20 Jahre)
Gabrielle Zevin, „Schokomafia-Trilogie“. Edelherb, Bitterzart, Extradunkel (Übersetzung: Andrea Fischer)
Juror_innen: Axel K. Gendron, Zoë K. Gendron, Jacqueline Kanta

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