Vom Schein der Heiligkeit einer Familie
Irgendwo offenbar in the middle of nowhere eine fein wirkende Tafel – länglicher Tisch mit weißen Tüchern, Glaskaraffe – und einem Kreuz. „Heiligkeit“ strahlt auch ein kleiner Bücherstapel an einer Ecke der Bühne aus mit einer Bibel im Zentrum. In der anderen Ecke die wahre Heiligkeit der Chefin des Hauses: Eine Weinflasche mit zwei Gläsern. Alles aber in düsteres Licht gehüllt.
Auftritt einer jungen Frau in einem rötlichen Nachthemd bzw. Unterkleid mit einem Staubwedel in der Hand, später schlüpft sie in einen weißen Pelzmantel, schenkt sich Schluck für Schluck aus der Karaffe ein, wedelt ein bisschen Staub und beginnt sich zu schminken – und wieder zu trinken – diesmal direkt aus der Karaffe. Doch, nein, sie ist nicht die Chefin des Hauses, sondern „nur“ die Hausangestellte. Alles auch schon vom Ambiente ein bisschen gespenstisch. Es wird lange nichts gesprochen.
Wir befinden uns in einer Version des Stücks „Gespenster“ nach dem norwegischen Dramatiker Henrik Ibsen. Eine Gruppe junger Theaterenthusiast_innen aus und rund um das Oberstufen-RealGymnasium der Wiener Sängerknaben ist in der ersten Jännerwoche (2018) in der Endphase der Proben für eine (vorerst?) ein-malige Aufführung im MUTh (Musik und Theater) gleich neben der Schule der Sängerknaben.
Die Grundgeschichte
Kurz gefasst die Story des Stücks: Im Hause der Helene Alving lebt und arbeitet Regine Engstrand. Nach langen Jahren der Abwesenheit kommt Alvings Sohn Osvald nach Hause. Und Pastor Manders ist zu Besuch. Osvald leidet an einer Erbkrankheit, Hirnerweichung – geerbt von seinem Vater, der sich die Geschlechtskrankheit Syphilis zugezogen hatte. Wie sich später herausstellt ist übrigens Regine eine Tochter des längst verstorbenen Herrn Alvings – und damit Halbschwester von Osvald. Das wissen die beiden Jugendlichen nicht, sie beginnen ein sexuelles Verhältnis – was Helene Alving zum ersten Mal von „Gespenstern“ sprechen lässt, die vor ihr auftauchen. Sie selbst rannte dem Ehemann nach einem Jahr Hölle auf Erden davon, suchte Zuflucht – und nicht nur das – beim Pastor. Der schickte sie postwendend zurück, eine Ehefrau müsste sich unterordnen...
Das „Familiendrama“ wie es Ibsen nannte, demaskierte die Scheinheiligkeit von Familie und Religion derart, dass es ursprünglich gar nicht in seiner Heimat gespielt werden durfte. Die Uraufführung fand im US-amerikanischen Chikago für Auswanderer aus Skandinavien in norwegischer Originalsprache statt.
Junge Version
Sebastian Kranner (17), der schon jahrelange Bühnenerfahrung – als Darsteller, aber auch schon als Regisseur – hat, gründete mit einigen Mitschülerinnen des ORG Sängerknaben das „Augentheater der Zukunft“. „Ich liebe Ibsen und besonders dieses Familiendrama. Aber das original ist zu lange, auch sprachlich ein bisschen veraltet.“ So hat er daraus eine verdichtete Version gemacht, Regines Stiefvater weggelassen, die Sprache geglättet, aber an zentralen Stellen sehr wohl Originalzitate belassen und ansonsten einige Zitate von Philosophen bzw. anderen Künstlern ergänzt – vor allem „Mein Charakterportrait“ des Komponisten Franz Schreker (bearbeitet vom Regisseur) über verschiedenste Kunstrichtungen und von Karl Marx. „Religion ist Opium des Volkeskennt fast jeder“, so Kranner, „das wollte ich einbauen, aber dann wollte ich nicht nur das eine Zitat von ihm.“ Und so kommt u.a. der Klassiker vor, dass die Philosophen bis zu seinem Zeitpunkt die Welt nur verschieden interpretiert hätte, es aber darauf „ankommt, sie zu verändern“.
Johanna Kaltenegger, Hannah Rehrl und Jana Pree, die Osvald, den Pastor und Regine spielen, besuchen die genannte Schule. Im Sommer des Vorjahres entstand die Idee zum Stück, „weil es sich sicher auch im Lebenslauf gut macht, wenn man später zum Bespiel Kulturmanagement studieren will“, meint etwa die zuletzt Genannte. „Aber nein, natürlich nicht nur deswegen, eine gewisse Leidenschaft fürs Theater haben wir alle“. Meinen sie fast im Chor. Aber wirklich daran geglaubt hätte sie vor einem halben Jahr noch nicht. Dann ergab sich in einem Gespräch mit der künstlerischen Leiterin des MUTh, Elke Hesse, die Chance auf einen Aufführungstermin zu sehr günstigen Konditionen. Also ging's an die Arbeit. Das Team wurde ergänzt um Rebecca Richter, die ein bisschen älter – und schon Profi-Darstellerin ist.
Regisseur Kranner wird noch von Mitschülerinnen unterstützt - Isabelle Papst und Marie Kemper als Regieassistentinnen sowie Lioba Libardi und Lea L. Witeschnik, die für die Kostüme verantwortlich sind – Regine und Helene wechseln recht oft Kleider und letztere auch immer wieder Perücken.
Das Mahl
Das Stück in der Version der jugendlichen Theatergruppe wurde aber nicht nur verdichtet und um genannte Zitate angereichert, es wurde auch um eine Szene erweitert – und zwar eine hier ziemlich zentrale: Ein gemeinsames Essen, das im Stück nur angedeutet wird. So ein gemeinsames Essen in einer doch eher scheinheiligen Atmosphäre sage und zeige so viel, meint der junge Regisseur. Und tatsächlich: Helene Alving zerreißt recht heftig mit ihren Händen ein Brathuhn, klatscht die Teile dem Sohn, dem Pastor und dem Hausmädchen auf den Teller, wischt ihre Hände im feinen Tischtuch ab – und alle tun als wäre nichts, greifen zu Messer und Gabel und essen gesittet – auch tatsächlich im Stück. Es herrscht beinahe unerträgliches Schweigen – in seiner Schrägheit samt verquerem Tischgebet demaskiert das Mahl konzentriert die Scheinheiligkeit.
GespensterFamiliendrama nach Henrik Ibsenin einer Fassung von Sebastian Kranner
Frau Helene Alving: Rebecca Richter Osvald, ihr Sohn: Johanna Kaltenegger Pastor Manders: Hannah Rehrl Regine Engstrand, Bedienstete im Hause Alving: Jana Pree
Inszenierung: Sebastian Kranner Ausstattung, Musik, Video und Lichtdesign: Sebastian Kranner Regieassistenz: Isabelle Papst Regieassistenz, Souffleuse: Marie Kemper Kostümassistenz: Lea L. Witeschnik, Lioba Libardi
Wann & wo?
9. Jänner 2018, 19.30 Uhr MUTh (Musik und Theater): 1020, Am Augartenspitz 1 Telefon: (01) 347 80 80,
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