Kaiser Franz Joseph: "Mir blieb doch was erspart"

"Ich bin mit meiner Arbeit nicht fertig geworden und wollte schauen, wie’s weitergeht in meinem Reich", erklärt Kaiser Franz Joseph.
Satire. Der alte Kaiser im Exklusivinterview, einen Tag vor seinem 100. Todestag.

Als ich letztens durch die prunkvollen Kaiserappartements im Schloss Schönbrunn lustwandelte, glaubte ich meinen Augen nicht trauen zu können. Denn da saß an seinem Schreibtisch kein Geringerer als Seine Majestät, der Kaiser.

"Entschuldigen Sie vielmals", sagte ich, "das kann doch nicht wahr sein, wir schreiben das Jahr 2016. Sie sind seit 100 Jahren tot."

"Seit 100 Jahren? Kinder wie die Zeit vergeht" staunte Franz Joseph, "ich hätte nicht gedacht, dass das schon wieder so lange her ist".

"Warum, um Himmels Willen, sind Eure Majestät denn zurückgekommen?"

"Ich bin mit meiner Arbeit nicht fertig geworden, da liegen noch jede Menge unerledigte Akten herum. Und ich wollte schauen, wie es weitergeht in meinem Reich."

"In Ihrem Reich?"

So lange regiert

"Ja, wissen Sie, wenn man so lange regiert hat wie ich, hat man ein Recht darauf, zu erfahren, was aus all dem geworden ist. Vielleicht könnten Sie mir ein bisserl was verraten: Hat sich irgendwas verändert, seit ich die Krone abgegeben habe?"

"Kaum der Rede wert", versuchte ich den alten Herrn von jeglicher Aufregung fernzuhalten.

"Ich kann’s mir schon vorstellen", meinte er. "In Österreich ist ja immer viel passiert, aber letztlich is dann doch alles beim Alten geblieben. Wie heißt denn mein Nachfolger auf dem jetzt schon... lassen Sie mich nachrechnen... mehr als 700 Jahre alten Habsburger-Thron?"

"Majestät", versuchte ich es ihm schonend beizubringen, "es gibt keinen Thron. – Österreich ist keine Monarchie mehr."

Ein Bürgerlicher?"Was?" Der Kaiser drohte die Contenance zu verlieren. "Er will mir doch nicht einreden, dass mein Reich von irgendeinem Bürgerlichen regiert wird. Österreich-Ungarn eine Republik? Undenkbar!""Doch, doch, Majestät. Und weil Sie Ungarn sagen. – Ungarn ist überhaupt weg.""Mach er sich nicht lustig über mich!" Franz Joseph sprang auf, als hätte er für einen Augenblick sein hohes Alter vergessen. "Ungarn ist weg? Und was ist mit Galizien, wo sind Prag, Mährisch-Ostrau, Triest, Abbazia? Und mein geliebtes Bad Ischl?""Ischl gehört uns noch", konnte ich ihn beruhigen. "Alles andere ist verloren."Mit blassem Gesicht ließ sich der Monarch in eine Art Thronsessel fallen. Er wies mich an, neben ihm Platz zu nehmen und fragte dann: "Ja, um Gottes willen, wie ist denn das alles gekommen?""Majestät hätten sich nicht in diesen Weltkrieg einlassen dürfen."

Nicht gut ausgegangen"Ist er denn nicht gut ausgegangen für uns?""Gar nicht gut. Österreich hat fast 90 Prozent seines Territoriums verloren, durch den Ersten Weltkrieg.""Was heißt Ersten Weltkrieg? Gab’s denn noch einen Zweiten?""Leider ja, Majestät.""Sind die Politiker denn net g’scheiter worden, wenn schon der Erste Weltkrieg so schlecht ausgegangen ist?""Leider nein, Majestät.""Dann gibt’s jetzt also statt mir einen Präsidenten in Österreich", seufzte der Kaiser.

Kein Präsident

"Zurzeit gerade nicht", musste ich ihn korrigieren.

"Ja, warum denn nicht?"

"Weil es bei der letzten Wahl Probleme mit der Stimmenauszählung gab."

"Ich hab ja immer g’sagt, dass das mit der Demokratie nicht funktionieren wird."

"Das kann man so nicht sagen", erwiderte ich. "Wir haben seit 70 Jahren ein gut funktionierendes demokratisches System."

"Jaja, ich weiß schon, so wie in Amerika, in der Wiege der modernen Demokratie", sagte der Kaiser. "Ich erinnere mich an die großen Präsidenten meiner Zeit, Abraham Lincoln und Theodore Roosevelt. Wie heißt denn der jetzt gerade aktuelle?"

"Eben wurde ein gewisser Mister Trump gewählt", bemerkte ich leise.

"Sicher auch ein feiner Herr der alten Schule?"

"Nicht direkt. Er bezeichnet Frauen als Schlampen und sagt, dass er als Star mit ihnen alles machen kann... Details möchte ich Eurer Majestät ersparen."

Eine entsetzliche Zeit

"Was ist denn das für eine entsetzliche Zeit, in der er lebt? Ich hab den Damen beim Cercle noch die Hand geküsst und meiner geliebten Sisi mit jedem Brief einen Strauß roter Rosen geschickt. Das wird man ja heute wohl auch nicht anders machen."

"Kein Mensch schreibt heute noch Briefe", erklärte ich dem Ahnungslosen.

"Ja, was denn sonst?"

"Wir leben im Zeitalter von eMail, Facebook, Twitter, WhatsApp und Instagram. Man braucht kein Papier mehr, um mit jemandem zu kommunizieren."

Mein Kurbeltelefon

Der Kaiser versank immer tiefer in seinen Armsessel. "Ich kann mich noch gut erinnern, wie das angefangen hat mit diesem Telefon. Mir war das Zeug mit der Kurbel gleich unheimlich, ich hab mich immer geweigert, in den modernen Sprechapparat hineinzusprechen. Gibt’s das Telefon überhaupt noch?"

"Nicht in dieser Form", belehrte ich ihn und zeigte ihm mein Handy.

"Schrecklich", klagte der Kaiser. "Es würde mich nicht wundern, wenn ich in dieser fortschrittlichen Zeit längst schon in Vergessenheit geraten wäre. Lässt es Ihre Epoche überhaupt zu, dass sich die Menschen meiner erinnern?"

"Aber natürlich! Majestät sind nach wie vor das Symbol des alten Österreich, die Personifizierung des pflichtbewussten ersten Beamten. Aus Anlass Ihres 100. Todestages wurden viele Bücher geschrieben und Dokumentationen im Fernsehen gezeigt."

"Im Fernsehen?", fragte er. "Was ist denn das wieder?"

"Es hat seine große Zukunft eigentlich schon hinter sich, sorgt mit Berichten aus der Vergangenheit aber für eine interessante Gegenwart."

Intimes vom Kaiser

"Ah, und dort zeigt man jetzt meine Leistungen als Regent, Feldherr und was ich in meiner Wienerstadt alles geschaffen hab – die Ringstraße, die Hofoper, das Burgtheater, die Museen?"

"Das auch", bestätigte ich submissest, "aber wenn ich ehrlich sein soll ..."

"Heraus mit der Sprache, junger Mann!"

"Also, in erster Linie wollen die Leute wissen, warum die Kaiserin ständig auf Reisen war und natürlich alles über Mayerling. Ferner wie das mit Ihnen war und der Frau Schratt und mit anderen Damen, und wie viele Kinder Eure Majestät tatsächlich ..."

"Geb er acht, was er da redet, das grenzt ja an Majestätsbeleidigung", schnitt mir der Monarch das Wort ab. "Gibt es denn gar keine Zensur mehr, die ihm solche Worte verbietet?"

"Nein Majestät, heute kann jeder alles sagen."

"Ich glaub, ich pass in Ihre Zeit nicht so recht hinein." Der alte Herr strich sich durch des Kaisers Bart und raunte mir dann vertraulich zu: "Ich kann mich doch verlassen, dass unser kleines Gespräch unter uns bleibt?"

Der Abschied

"Das wird schwierig", entgegnete ich und kontrollierte, ob der Voice-Recorder alles aufgenommen hat. "Majestät müssen verstehen, dass ich so ein Exklusivinterview nicht alle Tage bekomme."

Franz Joseph erhob sich aus seinem Sessel und erklärte: "Ich hab ja immer schon gesagt, dass mir nichts erspart bleibt. Aber eines ist mir doch erspart geblieben."

"Was denn?"

"In Ihrer Zeit leben zu müssen."

Der Kaiser verabschiedete sich, durchschritt langsam und bedächtig den langen Gang des Schlosses in Richtung seiner Privatgemächer. Und ich hatte irgendwie das Gefühl, er verstünde die Welt nicht mehr.

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