Junge Spießer: Ist konservativ das neue Cool?
Wer "die Jugend von heute" in eine Schublade stecken möchte, wird bald an seine Grenzen stoßen. Viel war in den vergangenen Jahren von einem neuen Biedermeier, einem Rückzug ins Private die Rede, nun gehen die Leistungsträger von morgen für den Umweltschutz auf die Straße, etikettieren sich stolz als Feministen und Feministinnen, fordern die Ehe für alle und wählen die Grünen in den Prozente-Himmel.
Dennoch attestieren ihnen Jugendforscher immer wieder, so angepasst wie kaum eine Generation vor ihnen zu sein. Familie ist für die 16- bis 29-Jährigen der mit Abstand wichtigste Lebensbereich, ergab die Wertestudie des Instituts für Jugendkulturforschung Anfang Oktober. Ähnliches brachte die Shell Jugendstudie zutage, die alle vier Jahre das Gedankengut der (deutschen) Jugend ergründet: Anstatt zu rebellieren, fahren Junge einen Kuschelkurs mit den Eltern; ein sicherer Job sowie "das Gefühl, etwas zu leisten" stehen ganz oben auf der Wunschliste; die größte Angst ist die Klimakrise. Pragmatisch seien sie, wertorientiert und leistungsbereit.
"Wir leben in Zeiten der Individualisierung – wenn alle liberal sind, wird das Konservative cooler."
Nicht einmal mehr auf Sex und Alkohol ist Verlass. So zeigten jüngst Studien aus den USA und Europa, dass die unter 20-Jährigen deutlich weniger Alkohol trinken als die Jugendlichen vor ihnen sowie später und seltener Sex haben. Summa summarum lässt sich also durchaus von einer biederen Generation sprechen. Dabei passt Jugend und Konservatismus eigentlich nicht zusammen – oder?
So einfach ist diese Gleichung nicht mehr: Während man früher rechts und konservativ oder links und progressiv war, vermischen sich Werte und Einstellungen der jungen Erwachsenen zunehmend, weiß Tristan Horx. Er forscht am Zukunftsinstitut und gehört selbst der Generation Y (etwa von 1980 bis 1995 Geborene, auch "Millennials" genannt) an. "Durch das Internet ist es heute kein Widerspruch mehr, traditionell und kosmopolitisch zugleich zu sein. Wir leben in Zeiten der Individualisierung – wenn alle liberal sind, wird das Konservative wieder cooler. Jede Generation setzt sich von der vorherigen ab." Die neue Prüderie der Teens etwa interpretiert der Jugendforscher als Reaktion auf das wilde Treiben der Tinder-Generation vor ihnen.
Sicher ist sicher
Auch in Sachen Finanzen schlage das Pendel Richtung Spießertum aus. "Millennials waren liberal und modern, ihr Motto lautete: ‚Sammle Momente, nicht Dinge.‘ In der Generation Z beobachten wir hingegen ein konservatives Vorsorgedenken. Statussymbole wie Autos und Wohnungen gewinnen an Wert."
"Die Generation Z ist die erste Generation, die den Lebensstandard der Eltern wohl nicht vergrößern, sondern bestenfalls halten kann."
Das liege daran, dass die Erwachsenwerdenden vom Börsencrash 2008 geprägt wurden. "Außerdem sind sie die erste Generation, die den Lebensstandard der Eltern wohl nicht vergrößern, sondern bestenfalls halten kann", sagt Horx. Dadurch ergibt sich die klassische Rollenverteilung, die Jugendliche laut Shell Studie trotz Feminismustrends bevorzugen: Wenn ein Kind da ist, wird der Mann zum Hauptverdiener, während die Frau zu Hause Gemüse einkocht und später in Teilzeit geht. "Niemand in der Generation Z wird sagen, ‚Frauen gehören in die Küche‘", erläutert Horx. "Das traditionelle Modell ist eine Reaktion auf turbulente Zeiten. Es gibt Sicherheit."
Gefährliche Wende
Vor diesem Modell warnt die Philosophin Lisz Hirn (ihr Buch "Geht’s noch! Warum die konservative Wende für Frauen gefährlich ist" ist im März im Molden Verlag erschienen). In der Jugendgeneration sieht sie derzeit zwei starke Strömungen: "Die einen sind progressiv und fast hyperfeministisch, auf der anderen Seite sehen wir eine Trendwende hin zu heimischem Idyll. Wobei es ein klares Stadt-Land-Gefälle gibt."
Doch zu viel Konservatismus sei eine Gefahr für die soziale Gerechtigkeit, gibt sie zu bedenken. "Das Konservative möchte Hierarchien bewahren und eine Wertung treffen zwischen Leistungsträgern und jenen, die nicht vollerwerbstätig sind. Das sind in der Regel Frauen. Die Folgen: weniger Einkommen, weniger Pension und Altersarmut, die vererbt wird."
"Es gibt momentan auch eine starke linkskonservative Ausrichtung.“
Hirn plädiert dafür, das Wort konservativ nicht mehr reflexartig mit rechter Denke gleichzusetzen. "Es gibt momentan eine starke linkskonservative Ausrichtung: öko und weltoffen, aber als Frau beim Kind bleiben wollen. Für eine echte Emanzipation ist das genauso gefährlich."
Dinge bewahren zu wollen (lateinisch conservare), liege in der Natur des Menschen. Umso kritischer müsse man hinterfragen, welche Werte und Traditionen erhaltenswert sind, betont Hirn.
Hier setzt die "Fridays for Future"-Bewegung an, die dem jungen Konservatismus nur auf den ersten Blick widerspricht. Denn die friedliche Freitagsrevolte zielt darauf ab, das Bestehende – die Natur – zu bewahren. So interpretiert die junge Generation "konservativ" auf ihre ganz eigene Art.
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