"Erst oral, dann vaginal, dann anal"

"Erst oral, dann vaginal, dann anal"
Eine Sexualpädagogin erklärt die veränderten Vorlieben junger Menschen.

Im Sommer erhitzte ein Artikel in der Zeitschrift Teen Vogue die Gemüter: Unter dem Titel "Anal Sex: What You Need To Know" gab die Autorin ihren halbwüchsigen Leserinnen Tipps für die oftmals umstrittene Sexpraktik. Die Empörung war groß – wie könne man derartiges in einer Zeitschrift für Jugendliche propagieren?

Eine aktuelle, groß angelegte Studie aus Großbritannien zeigt nun, dass das Thema in den Köpfen – und Betten – der Jugendlichen längst angekommen ist. Die Forscher der London School of Hygiene & Tropical Medicine wollten wissen, wie sich das Sexualverhalten von Heranwachsenden in den vergangenen Jahrzehnten verändert hat. Dabei stellten sie fest, dass die Praktiken vielfältiger werden; so hatte etwa Anfang der Neunziger nur jeder Zehnte Analverkehr. Bei der Befragung 2010 bis 2012 traf das bereits auf jeden vierten Mann und jede fünfte Frau zwischen 16 und 24 Jahren zu.

Genereller Trend

Hinter dem Trend zur wachsenden Diversität im Schlafzimmer stehe eine gesellschaftliche Bewegung, erklären die Studienautoren: Sex und Fortpflanzung werden zunehmend isoliert betrachtet. Zudem kommen Jugendliche immer früher in Kontakt mit pornografischen Inhalten, wie erst kürzlich eine deutsche Studie zeigte. Der Erstkontakt mit Online-Sexfilmchen erfolgt demzufolge durchschnittlich im Alter von 14 Jahren.

Diese Tendenz beobachtet auch Michaela Urabl, Sexualpädagogin und Obfrau vom Verein Liebenslust (www.liebenslust.at). Immer mehr Teenager lassen sich im Internet "aufklären": "Dafür müssen sie gar nicht mehr auf Pornoseiten gehen, da reicht YouTube. Dadurch entsteht ein hoher Leistungsdruck." 13- und 14-jährigen stellt die Sexualpädagogin jedes Mal eine Frage: Was, glaubst du, muss man beim Sex machen? "Wenn Jugendliche Informationen aus pornografischem Material beziehen, lernen sie dort, dass es in Pornos eine Reihenfolge gibt: erst oral, dann vaginal, dann anal." Das zeige sich auch in den Workshops.

Ein Abgleich mit der Realität sei wichtig: Wie "normal" sind diese Praktiken wirklich, wie oft kommen sie tatsächlich vor? "Für die Jugendlichen ist es eine Entlastung, wenn man ihnen erklärt, warum Pornofilme so sind, wie sie sind. Ich sage dann: Pornos sind keine Dokumentationen à la ‚Universum‘, sondern Actionfilme. Das ist kein richtiger Sex. Sie haben nur zwei Möglichkeiten, nämlich entweder Hör- oder Sehsinn anzusprechen. Also wird alles übertrieben."

Fakten statt Moral

Sowohl die Studienautoren als auch Michaela Urabl plädieren dafür, den sexualpädagogischen Unterricht an die veränderten Vorlieben der Jugendlichen anzupassen. "Es ist wichtig, auch Analverkehr anzusprechen, wenn es Thema in der Gruppe ist", sagt Urabl. "Dabei geht es nicht um eine moralische Bewertung, sondern um Fakten. Wir erklären zum Beispiel, dass die Scheide eine andere Anatomie hat als der Darmausgang. Und man muss den Jugendlichen vermitteln: Diese Bilder dürfen mich erregen, aber ich muss sie nicht nachmachen."

Die wachsende Vielfalt könne auch positive Folgen haben, betonen die Forscher – etwa, dass sich junge Menschen bewusster damit auseinandersetzen, was sie wollen und was nicht. Denn am Ende, so Urabl, gehe es immer um dieselbe Frage: "Mache ich etwas, weil ich glaube, ich muss – oder weil ich es wirklich möchte?"

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