Influencer: Die neue Macht im Netz

Influencer: Die neue Macht im Netz
Vor Weihnachten haben Produktempfehlungen von Internet-Idolen Hochsaison. Warum Hunderttausende auf die Meinung von "Influencern" vertrauen.

In kurzen Pyjamahosen steht sie da, lässig an die Waschmaschine gelehnt, die Haare zu einem "Messy Bun" hochgesteckt. In der Hand hält sie, nicht aufdringlich, aber doch gut erkennbar, die Reinigungsbürste eines Kosmetikriesen. "Heute gönne ich mir etwas Me Time", steht unter dem ansprechenden Instagram-Foto. Mehr als 4000 Abonnenten gefällt das.

Nina ist das, was Marketingexperten seit einigen Jahren als Influencer (von influence, beeinflussen) bezeichnen: Menschen, die durch ihre Aktivität in den sozialen Medien eine hohe Reichweite erzielen und dadurch für die Wirtschaft interessant werden. In der Vorweihnachtszeit wimmelt es auf Instagram nur so vor Gewinnspielen in Form von "Adventkalendern" oder Rabattcodes für Onlineshops.

Indem sie mit Firmen kooperieren, deren Kleidung tragen, in deren Hotels wohnen oder deren Hautcreme testen, verdienen die Influencer Geld. Wer 100.000 Follower hat, kann für ein Produktfoto bis zu 1000 Euro verlangen. Das finden Sie viel? Kim Kardashian, Galionsfigur der Internet-It-Girls, casht pro Bild angeblich eine halbe Million Euro.

Kaufbereitschaft steigt

Das Potenzial von Influencer-Kampagnen wurde im Herbst erstmals durch eine deutsche Studie belegt: Die Bekanntheit der Marke wird demnach um 7,4 Prozent gesteigert – bei vormals unbekannten Marken sogar um mehr als die Hälfte. Die Kaufbereitschaft wächst um 23 Prozent. Und: Der Kunde baut Vertrauen zum Produkt auf. Darob also wenig verwunderlich, dass immer mehr Firmen auf Sympathieträger aus dem Web setzen.

Viktoria Egger, selbst Lifestyle-Bloggerin, hat aus diesem Grund eine Agentur gegründet, die sich auf "Influencer Relations" spezialisiert: Sie berät Unternehmen, wie sie mit Bloggern zusammenarbeiten können, und sucht das geeignete Testimonial für ihre Kampagne aus. Was zeichnet einen guten Influencer aus? Authentisch sollte er sein, ausschließlich hochwertige, ästhetische Fotos verwenden, eine Nische besetzen. Vor allem aber muss die Qualität der Follower, also der Fans und Abonnenten in den diversen Social-Media-Kanälen, stimmen.

"Die Reichweite ist wichtig, aber sicher nicht alles", betont Egger, die einen Großteil ihrer Arbeitszeit damit verbringt, die Folgschaft der Instagrammer zu durchleuchten. Die wichtigste Währung im Bloggeruniversum ist die sogenannte Aktivitätsrate: Wie viel wird geliked oder kommentiert? Reagieren die Fans lediglich mit Emojis oder verewigen sie sich wortreich und emotional? Schreiben viele verschiedene oder immer derselbe? Kommen sie aus dem Umfeld oder sind sie Tausende Kilometer entfernt? Egger: "Was bringt es dem Unternehmen, wenn jemand 100.000 Follower hat, die aber auf den Philippinen sitzen?"

Und überhaupt: Schwindelerregend hohe Followerzahlen rufen in Social-Media-Experten mittlerweile eher Skepsis als Euphorie hervor – denn das Geschäft mit den gekauften Fans floriert. "Es ist unmöglich, in einem halben Jahr 50.000 Follower zu bekommen", sagt Egger. Für einen Weckruf in der Szene sorgte kürzlich die deutsche Modebloggerin Vreni Frost, als sie sich öffentlich von zehntausend Fake-Followern trennte. Sie hatte zuvor einen Dienstleister dafür bezahlt, ihre Abonnentenzahl in die Höhe zu treiben. Nach einem diagnostizierten Magengeschwür sei ihr klar geworden: "So möchte ich nicht länger arbeiten."

Frosts Geschichte ist bezeichnend für eine Branche, deren Erfolg zunehmend außer Kontrolle gerät. Es fehlt an Reglementierung, bemängelt Egger. (Infos zur rechtlichen Lage finden Sie unten.) Sie hat einen Lifestyle-Blogger-Kodex erarbeitet, der sechs Kategorien umfasst und online abrufbar ist. Kernstück: Bezahlte Beiträge müssen als solche gekennzeichnet werden. Die Leser scheint das nicht zu stören – einer Studie zufolge werden gesponserte Fotos nicht weniger oft geteilt und geliked. "Lächerlich wird es, wenn Influencer jeden Tag alles ganz toll finden oder Produkte aus verschiedenen Preiskategorien bewerben", sagt Egger. Österreichs bekannteste Influencerin Dariadaria hat sich eine 70:30-Regel auferlegt: 70 Prozent unbezahlte Inhalte, 30 Prozent bezahlte. Sie ist eine von ungefähr 200 österreichischen Influencern, die von ihrem Hobby leben können.

Wie alte Freunde

Sozialpsychologe Arnd Florack von der Uni Wien beschäftigt sich mit der Frage, warum sich junge Menschen in ihren Kaufentscheidungen zunehmend von Social-Media-Persönlichkeiten beeinflussen lassen – obwohl deren Empfehlungen offen als Werbung deklariert werden. "Werden Produkte in der Werbung angepriesen, ist uns das Ziel bewusst und wir stehen der Werbung skeptisch gegenüber. Die ‚Influencer‘ sind der Zielgruppe sehr ähnlich und wirken wie Freunde oder Bekannte", erklärt der Psychologe.

Die Kommentare unter den Bildern reichweitenstarker Instagrammer bestätigen das: Die fotogenen Idole werden mit Bewunderung überhäuft, hin und wieder mischen sich besorgte Töne darunter. Die Interaktionen erinnern an Plaudereien mit der Freundin aus Kindergartentagen. Florack: "Betrachten wir Menschen, die uns sehr ähnlich sind und die zum Beispiel begeistert ein Produkt auspacken, springen die dargestellten Emotionen leicht auf uns über. Wir imitieren die Person, die wir sehen, und können leicht verstehen, was sie denkt und fühlt."

Die Kennzeichnungen, bestätigt Florack, werden diesem Effekt kaum etwas anhaben – im Gegenteil. "Im Grunde erhöht das die Glaubwürdigkeit kurzfristig sogar. Wenn Sie eine Bewertung über ein Produkt von einer Person lesen, die ehrlich sagt, dass sie das Produkt umsonst bekommen hat, werten Sie dies als ehrlich. Sie fragen sich dann nicht ständig, ob es eine gekaufte Stellungnahme ist oder nicht – wie vielleicht bei einer Beurteilung, die ihnen ohne Angabe einseitig vorkommt."Bei Modekampagnen mit Social-Media-Testimonials könne es vorkommen, dass der gezeigte Pullover im Onlineshop sofort vergriffen ist, berichtet Agenturchefin Egger. Als Vorzeigebeispiel für eine fruchtbare Zusammenarbeit gilt der Fall Olympus: Die altbekannten Kameras hatte niemand mehr so recht auf dem Radar – bis das Unternehmen sein Mediabudget in Blogger investierte. Plötzlich gab es kaum einen Influencer, der auf seinen Kanälen nicht auf den Fotoapparat verwies. Das Produkt war wieder hip geworden. "Es geht nicht um schnelle Werbung, sondern um Imagebildung", sagt Egger.

Influencer funktionieren, solange sie von ihrer Zielgruppe als ähnlich und glaubwürdig wahrgenommen werden, meint der Psychologe. Das kann schnell kippen: Die YouTuberin Anna Laura Kummer musste kürzlich viel Kritik einstecken, weil sie in ihren jüngsten Videos Englisch gesprochen hatte. Der Erfolg der Influencer bleibt vor allem eines: ein Balanceakt.

Blogger können auf verschiedene Arten Geld verdienen: durch bezahlte Schreibaufträge, Kooperationen oder Werbeeinschaltungen. Ihre Gewinne müssen sie – wie alle Selbstständigen – versteuern. "Da die meisten aber weniger als 30.000 Euro Jahresumsatz haben, ist die Umsatzsteuer für sie nicht relevant", erklärt die Anwältin Katharina Braun. Sachgeschenke dürfen entgegengenommen werden, um darüber zu berichten; allerdings muss auf die zur Verfügung gestellten Produkte hingewiesen werden. Ebenso gilt die Impressums- und Kennzeichnungspflicht: "Entgeltliche Veröffentlichungen sind zu kennzeichnen, daher klare Trennung von redaktionellen Beiträgen und Werbung", sagt Braun. Geregelt wird das u.a. durch das Mediengesetz (§ 26). Wer bezahlte Inhalte nicht als "Werbung" oder "Kooperation" deklariert, dem droht eine Verwaltungsstrafe von bis zu 20.000 Euro.

Graubereich

Komplizierter wird es beim Thema Schleichwerbung. "Die übermäßig positive Darstellung von selbst gekauften Ware kann Schleichwerbung darstellen und somit unlauter sein", erklärt Katharina Braun. Rein private Empfehlungen an Freunde in kleineren Blogs sind nicht kennzeichnungspflichtig. Braun: "Die professionelle Bloggerszene mit ihrem Influencer Marketing ist allerdings längst ein Business. Die Grenze zwischen Meinung und Werbung ist oft nicht leicht festzumachen."

Exempel statuiert

Wie komplex der Sachverhalt ist, zeigte sich am Fall Rossmann: Die deutsche Drogeriekette wurde wegen Schleichwerbung durch einen Instagram-Influencer verurteilt. Der Werbeträger hatte den Beitrag zwar mit dem Hashtag #ad (Englisch für Werbung) versehen, laut Oberlandesgericht sei diese Kennzeichnung aber nicht deutlich genug. Die Kennzeichnung müsse auf den ersten Blick auf das Bild erkennbar sein.

Ein weiteres Exempel wurde im vergangenen Juni am Fitness-YouTuber Flying Uwe statuiert: Die Medienanstalt Hamburg warf dem Social-Media-Star Schleichwerbung vor und verdonnerte ihn zu einem Bußgeld von 10.500 Euro. Schüder, wie er im realen Leben heißt, hatte in den Videos seine eigenen Produkte angepriesen, ohne seine Fans darüber aufzuklären. Das Verfahren wurde eingestellt, die betreffenden Videos gelöscht. Der Medienanstalt sei es nicht vorrangig ums Geld gegangen – sondern um das Bewusstsein, dass sich auch Influencer an geltendes Recht halten müssen.

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