Wozu man früher einen Fernsehapparat brauchte
Wer heute um die sechzig ist, ist mehr oder weniger mit Heinz Conrads aufgewachsen. Hinter dieser banalen Feststellung steckt noch kein qualitatives Urteil. Ob man ihn mochte oder nicht, Conrads schrieb, nein er war österreichische Fernsehgeschichte und prägte die Nachkriegsidentität mit. Das Wienerische, zart raunzende Besingen der guten alten Zeit, gespickt mit Monarchie-Nostalgie, sollte den Krieg und die Nazi-Zeit vergessen machen. In den Jahren des Wiederaufbaues, als die Österreicher erstmals einen fragilen Wohlstand kennenlernten, kam der „Heinzi“ via Radio und später Fernsehen zu den Menschen, füllte die „so schwierig zu artikulierenden Lücken und Defizite in ihrem Leben mit strikt ‚unpolitischer‘, von allem Ungemach und Unbill dieser Welt peinlich gereinigter Unterhaltung“ und kultivierte dabei gezielt die „Zimmer-Kuchl-Kabinett-Aura“, wie Historiker Wolfgang Maderthaner in seinem Beitrag für das soeben erschienene Buch „Griaß eich die Madeln, servas die Buam“ formuliert (Residenz Verlag, 312 S., 29,90 Euro).
Guten Abend am Samstag
Ob Heinz Conrads jemals eine Sendung mit „Griaß eich die Madeln“ (und nicht eher „N’Abend die Madeln“) begonnen hat, ist unklar, aber die Worte sind, so die Herausgeber, fest im kollektiven Gedächtnis verankert. Weshalb Suzie Wong und Thomas Mießgang die Grußformel als Titel ihrer Annäherung an den Conférencier, Schauspieler und Medienstar gewählt haben. Neben Maderthaner und den Herausgebern selbst kommen darin etwa der Philosoph Franz Schuh, der Kabarettist und Kabaretthistoriker Alfred Dorfer oder der frühere ORF-Moderator Günter Tolar zu Wort, der 16 Jahre lang die Conrads-Fernseh-Show „Guten Abend am Samstag“ produzierte. Dem Buch (samt Ausstellung in der Wienbibliothek im Rathaus ab 13. Dezember) gelingt es, die Karriere einer in Österreich zeitweise nahezu omnipräsenten Medienfigur mit wissenschaftlichem Anspruch mentalitätsgeschichtlich, historisch und kulturell einzuordnen.
Die inhaltliche Basis bietet der Teilnachlass, den Conrads Witwe Erika der Wien Bibliothek anvertraute: Ein Konvolut an Korrespondenzstücken, Gratulationsschreiben, Fanpost, sowie ORF-Manuskripten, unter anderem zu seiner Radio-Sendung „Was gibt es Neues“, die ab 1946 vierzig Jahre lang jeden Sonntag zu hören war. In 32 Archivboxen war das Leben des Mannes verstaut, der als Kunstfigur die „österreichische Gemütlichkeit“ prägte und zugleich jenen, wie Franz Schuh schrieb, „Grundton der Depressivität“ beherrschte, das Sentimental-Resignative – und der leutselig und selbst hypochondrisch jene daheim vor den Bildschirmen tröstete, denen es gerade nicht so gut ging. 2021 jährte sich Conrads Todestag zum 35. Mal. Jeder fünfte Wiener war am 17. April 1986 gekommen, um Abschied vom Volksliebling zu nehmen. Berühmt der Ausspruch einer Wienerin, die bei der Aufbahrung am Zentralfriedhof lapidar befand: „Jetzt brauch i kan Fernseher mehr.“ Doch ums Anekdotenschleudern geht es in diesem Buch mitnichten. Conrads-Hagiografien gibt’s genug. Man ist vielmehr, wie Schuh es ausdrückte, dem Conradismus auf der Spur.
„Korrekt, sauber, nicht ordinär“
Zweifellos, Heinz Conrads Popularität ist eng mit dem Aufstieg des Radios und des Fernsehens verbunden. Aber auch als Schauspieler hatte Conrads nicht nur Ambitionen, sondern durchaus Erfolg. Peter Alexander, Rudolf Prack, Hans Moser. Heimatfilm, von Wachau-Komödien bis zu den Deutschmeistern. Mittendrin: Heinz Conrads. Noch während des Krieges hatte Conrads eine Schauspielausbildung gemacht, das Theater wurde seine große Liebe. Doch sein Ehrgeiz war gepaart mit Dünnhäutigkeit. Auf die Anfeindungen von Kritikern wie Hans Weigel reagierte er empfindlich. „Unsagbar sensibel“ sei er gewesen, erinnerte sich sein Freund Fritz Muliar.
Der Tod am Domplatz
Immerhin, Conrads schaffte es auf die Bühne des Burgtheaters, der Staatsoper und sogar auf den Salzburger Domplatz, wo er als Tod im „Jedermann “ einsprang. Und doch, zitiert der Theaterwissenschaftler Günter Krenn einen Kritiker, als Conrads 1960 in der Josefstadt die Titelrolle im „Liliom“ übernahm, hieß es, Conrads könne zum Weinen und zum Lachen bringen und sei ein origineller Strizzi, aber man sehe eben nicht den Liliom, sondern „Heinz Conrads als Liliom verkleidet“. Am erfolgreichsten war Heinz Conrads in seiner Rolle als Heinz Conrads. Vor seinen legendären Radio- und Fernsehsendungen gab er den Conrads auf der Bühne – als Conférencier. „Adaptionsfähigkeit war vielleicht sein größtes Talent,“ sagt Kabaretthistoriker Alfred Dorfer über den Conférencier Conrads. „Die große Leistung von Heinz Conrads war, dass er das Metier, das er perfekt beherrschte, auf eine Weise in andere Medien wie Rundfunk und Fernsehen transferieren konnte, bei denen völlig andere Gesetze galten.“
Frei von Sex
Dabei waren die Karrieren vieler Nachkriegsentertainer ähnlich verlaufen. Irgendwann war jeder einmal Sänger, Conférencier oder Schauspieler. Doch Conrads Medienerfolg wurde bald so überzeugend, dass der Fernsehstar dem Schauspieler den Rang ablief. Allerdings war seine Popularität nicht überall gleich groß. Als das Gallup-Institut 1958 Conrads Beliebtheit abfragte, erreichte er die besten Werte in Wien, die niedrigsten in Tirol und Vorarlberg.Und doch war er eine Säule der österreichischen Nachkriegsidentität und irgendwann omnipräsent. Er warb für den KURIER, war Ehrenmitglied beim Fußballklub Rapid und Ehrenkapitän der Donaudampfschifffahrtsgesellschaft.Wann der Zenit überschritten war? Jung war er wohl nie, sagt Autor Mießgang. Von Beginn an hatte man Conrads als Gegenpol zur US-amerikanischen Pop-Kultur präsentiert. Lange Zeit genügte Conrads Image als Kind aus dem Volke. Die TV-Zeitschrift Hör zu ließ 1970 den „Fernsehliebling Nr.1“ wählen. Conrads gewann vor Peter Alexander. Hör zu druckte Formulierungen ab, wie die Leser ihre Wahl begründet hatten. Zu Conrads war zu lesen, er sei „korrekt, sauber, nicht ordinär und frei von Sex.“
Irgendwann reichte das nicht mehr für ein Massenpublikum.
Das Zwinkern des Heinz Conrads: Flirten mit „Madln“,verbrüdern mit „Buam“
Heinz Conrads legendäres Zwinkern war Teil seiner Begrüßungsformel. Jahrzehntelang blickte er jeden Samstagnachmittag, den Kopf leicht geneigt, in die Kamera, und sprach die geflügelten Worte. „Guten Abend“ wünschte er den „Damen“, den „Herren“ und den „Madln“, „Servas“ den „Buam“. Das Zwinkern jedoch, wem gehörte es? War es etwa ein zweideutiges Zwinkern? Die Kulturwissenschafterin Monika Bernold hat sich mit den Geschlechterrollen in der österreichischen TV-Kultur auseinandergesetzt und dabei insbesondere Conrads Zwinker-Geste unter die Lupe genommen. Die Zweite Republik sei, schreibt Bernold, von einem sexistischen Grundkonsens geprägt, das Zwinkern stehe in einer solchen patriarchalen Gesellschaft gemeinhin für eine sexuelle Anspielung. In der Medienfigur Heinz Conrads sei das Zwinkern stets uneindeutig geblieben, wie seine Kommunikation mit dem Publikum „generell von Mehrdeutigkeiten gekennzeichnet“ war. Unvorstellbar heutzutage.
Die Fernsehfamilie Hinter den Kulissen solle es mit der Komplizenschaft nicht immer weit her gewesen sen, jene mit dem Publikum gelang eindrucksvoll. Woche für Woche zu Gast in Österreichs Wohnzimmern, war Conrads Teil der nationalen Fernsehfamilie, sprach alle Frauen als „Damen“ an und zwinkerte den „Madln“ zu. Flirtend? Oder doch als Angebot an die Männer zur „Verhaberung“? Thomas Mießgang sieht Conrads als Kind seiner Zeit. „Ein bestimmter machistischer Umgang war damals normal. Genauso, wie in Fernsehstudios geraucht wurde.“ Dennoch sei das Conrad’sche Zwinkern ein Symbol – und zwar einer Verbrüderung mit dem (männlichen?) Publikum. „Conrads gelang es, die vierte Wand zu durchstoßen und unmittelbar mit dem Publikum zu kommunizieren.“
Trost und Rat
In Wahrheit flirtete Conrads also wohl mit der ganzen Nation. Er trachtete nie, sich über seine Gäste zu stellen, schreibt Historikerin Karin Moser, sondern passte sein Verhalten dem Gegenüber an. Unbestritten ist Conrads Rolle als Tröster. Volksoperndirektor Karl Dönch sprach bei Conrads Begräbnis von „väterlicher Güte“, Kulturwissenschafterin Bernold sieht diese als Teil des „jovial-paternalistischen Grundmusters des professionellen Kommunikationsmodus von Heinz Conrads.“ „Ich g’hör a bissel zu Ihrer Familie. Drum darf ich auch a bissl privat mit Ihnen sein,“ ließ der Moderator wissen. Er durfte nicht nur, man verlangte es von ihm. Als Conrads die legendären Grüße an die Kranken daheim, Teil seiner Abschiedsformel, einmal wegließ, kamen haufenweise Beschwerden. Und als ihn Generalintendant Gerd Bacher vom Bildschirm verbannen wollte, gab es einen österreichweiten Aufschrei. Die Fernsehfamilie blieb intakt, bis zu Conrads Tod.
Heinz Conrads und die Zeitgeschichte: Ein bisserl Monarchie, aber sonst: Nur ka Politik!
Conférencier, Moderator, Seelentröster. Heinz Conrads offerierte der Kriegsgeneration ein Gegenangebot der Abgrenzung zur unmittelbaren Vergangenheit, so Historikerin Karin Moser. Heitere Ablenkung, wehmütiges Erinnern – aber ja keine Politik. Heinz Conrads kultivierte ein halbfiktionales Alt-Wien und er bediente eine Sehnsucht nach dem Vergessen. Gelernter Tischler, ging der 1913 Geborene in den 1930ern zum Bundesheer, um die Matura nachzumachen. Dann kam der Krieg, Conrads erlebte den Einmarsch Hitlers hautnah. Aber er hat sich nie dazu geäußert. Schon während des Krieges übte er sich in der Kunst der Ablenkung und begann, in der Kaserne Musikerabende zu moderieren. Seine einzige „politische“ Haltung war laut seinem Weggefährten Günter Tolar das Liebäugeln mit der Monarchie. Mit dem Bezug auf Alt Wien wollte man die Nazi-Zeit wegschieben – dort anknüpfen, wo es immer gemütlich war: Teil seines Erfolgs war, dass Conrads den Menschen sagte, was sie hören wollten.
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