Totenwache: „Ich habe sein Leben noch gespürt“

Totenwache: „Ich habe sein Leben noch gespürt“
Maren Wurster verrät in ihrem neuen Buch Intimes: Sie wachte drei Tage und zwei Nächte am Totenbett ihres Vaters.
Von Uwe Mauch

Ihr Vater lag aufgebahrt in seinem Pflegeheim in Berlin. Er war im März 2021 verstorben. Für sie hatte die Leitung des Heims ein Bett neben das Totenbett gestellt. Und man hatte ihr auch erlaubt, solange zu verweilen, „bis der Abschied vom Vater für mich abgeschlossen war“.

Maren Wurster sorgte erst im Vorjahr mit ihrem Buch „Papa stirbt, Mama auch“ für Diskussionen. In ihrem neuen Buch „Totenwache“, das im österreichischen Leykam-Verlag erschienen ist, gibt die Wahl-Berlinerin nun Einblicke über die 72 Stunden, die sie fast durchgehend am Totenbett ihres Vaters verbracht hat. Der KURIER traf Maren Wurster zu einem bewegenden Interview auf einem Wiener Friedhof.

Autorin Maren Wurster

KURIER: Anders als Sie wollte ich meinen kurz zuvor im Spital verstorbenen Vater nicht mehr sehen. Was habe ich versäumt?

Maren Wurster: Sie könnten versäumt haben, im Moment der zeitlosen Zeit, vor dem Lauf zu den Behörden, noch einmal kurz inne zu halten und Ihrem Vater zu offenbaren, was Ihnen persönlich wichtig ist.

Was war Ihnen wichtig?

Zunächst habe ich ihm gesagt, dass er gestorben ist, weil ich das selbst nicht sofort begriffen hatte. Dann habe ich ihm gesagt, dass er ein guter Vater war. Und dann habe ich ihm gesagt, was schwierig war.

Wie kamen Sie auf die Totenwache?

Die Bestatterin meines Vaters hatte das vorgeschlagen. Da ich ihn im Pflegeheim bei seinem Sterben begleitet hatte, dachte ich mir, dass eine Totenwache ein konsequenter Abschluss sein könnte, und dass sie mir die Chance bietet, den ganzen Prozess des Sterbens und den Tod kennenzulernen. Heute weiß ich: Das war eine wichtige Erfahrung.

Was genau haben Sie erfahren?

Ich habe erfahren, dass es zwar einen letzten Atemzug und einen letzten Herzschlag gibt, dass der Tod aber ein Übergangsprozess ist. Ich habe meinen Vater im Raum noch gespürt. Und ich hatte später auch den Eindruck, dass seine Seele jetzt woanders hingeht.

Wann war dieser Prozess für Sie persönlich abgeschlossen?

Das kann ich heute nicht genau datieren. Ich habe meinen Vater gewaschen und eingekleidet. Ich habe sein Leben noch gespürt. In kann mich erinnern, dass ich in der ersten Nacht von ihm geträumt habe und dass er sich in diesem Traum von mir verabschiedet hat.

Und zum Ende der Totenwache?

Da kam es mir vor, als wären auch Andere im Raum, die ihn nun weiter begleiten. Am Ende war sein Körper nur mehr eine Hülle.

Bei Ihrer Totenwache waren auch zeitweise Ihr damals fünfjähriger Sohn und Ihre demenzkranke Mutter da. Wie war das für die beiden?

Meine Mutter hatte einen unglaublich klaren Moment, wo alle Facetten ihrer Persönlichkeit wieder da waren. Später hat sie gesungen, was die Atmosphäre im Raum beinahe beschwingt gemacht hat.

Und für Ihren Sohn?

Ich glaube, dass er einen natürlichen Umgang mit dem Tod seines Großvaters gefunden hat. Er hatte sein Skateboard dabei und zeigte dem Opa noch seine neuen Tricks.

Kann die Totenwache auch einer modernen Gesellschaft helfen?

Was mir klar wurde: Früher war der Tod ein Teil des Lebens, und die Menschen sind im Kreis der Familie gestorben. Heute schieben wir den Tod in die Institutionen ab. Wir wollen ihn nicht mehr sehen. Genau aus diesem Grund ist dann aber auch die Angst vor dem Tod so groß.

Und wie war der erste Todestag?

Eigentlich sind mir Geburtstage, Feiertage und andere Jubiläen noch nie wichtig gewesen. Interessanterweise war dann sein erster Todestag ein absolut wichtiger Tag für mich. Ich wollte mit meinem Sohn zum Friedhof, wurde jedoch zuvor krank. Das war wirklich schlimm. Wir haben dann gemeinsam alte Fotos von meinem Vater angesehen und auch mit ihm gesprochen. Das empfand ich als sehr heilsam.

Das Buch: Maren Wurster: Totenwache. Eine Erfahrung. Leykam, 144 Seiten, 20,50 Euro.

Die Autorin: Maren Wurster 1976 geboren,  studierte  Filmwissenschaft, Philosophie sowie  Literarisches Schreiben. Im Vorjahr erschien im Hanser-Verlag das Memoir „Papa stirbt, Mama auch“. Das Buch wurde in Deutschland intensiv diskutiert.

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