Wenn Daniela Thurner über das Problemfeld sexuelle Bildung spricht, fällt ihr eine Folge aus der Netflix-Hitserie „Sex Education“ ein. Darin geht es um eine Wand, die mit unzähligen Penissen bemalt ist – von einer Vulva, dem weiblichen Genital, fehlt hingegen jede Spur (später wird die Wand von den Jugendlichen deswegen umgestaltet).
Geschlechstspezifische Unterschiede
Die Szene veranschaulicht eine Schieflage, die sich auch in heimischen Schulen bemerkbar macht. Denn das weibliche Geschlecht ist im Vergleich zu seinem männlichen Pendant deutlich unterrepräsentiert. „Die Biologiebücher sind auf dem Stand von vor ca. fünfzig Jahren, als Sexualpädagogik verpflichtend eingeführt wurde“, klagt Thurner, die beim Wiener Programm für Frauengesundheit für die Themen Verhütung und Aufklärung zuständig ist. „Der Penis wird in den Büchern sehr umfassend erklärt, bei den weiblichen Geschlechtsorganen geht es hingegen immer nur um ihre Funktion, um Fortpflanzung und Fruchtbarkeit. Und da reden wir noch nicht von ganzheitlicher Sexualität, sondern rein von der Anatomie.“
Begriffe sind weithin unbekannt
Beim Erstellen der Verhütungsbroschüre der Stadt Wien vor zwei Jahren habe sie festgestellt, wie wenig selbst erwachsene, gebildete Frauen über ihren Intimbereich wissen. „Kaum jemand kennt den Unterschied zwischen Vulva und Vagina oder weiß, dass die innere Klitoris, wenn sie erregt ist, sogar länger als der Penis werden kann“ erzählt Thurner. Eine groß angelegte, weltweite Studie zeigte, dass nur 30 Prozent der befragten wissen, dass der Begriff „Vulva“ jene Teile des weiblichen Geschlechts bezeichnet, die von außen sichtbar sind. „Manche Mädchen glauben, dass sie aus dem kleinen, sichtbaren Teil der Klitoris herauspinkeln“, sagt Thurner.
Falsche Begriffe
Um diese Lücke an Information zu schließen, startet das Wiener Programm für Frauengesundheit eine Kampagne, die Mädchen und Jugendliche dort abholen soll, wo sie sich aufhalten: in den sozialen Medien. Die Videoserie „Nächster Halt: Intimzone“ ist auf Youtube/WienerMädchenChannel und Instagram/frauengesundheit wien abrufbar. Im Fokus der dreiteiligen, animierten Videoserie mit dem Titel „Nächster Halt: Intimzone“ stehen Vulva, Klitoris und Hymen (so lautet der medizinische Fachbegriff für „Jungfernhäutchen“), die im Unterricht meist unerwähnt bleiben. Die Videos sollen schambefreit Wissen vermitteln und Mythen ausräumen. Dazu zählt nicht nur die falsche Darstellung der Geschlechtsorgane, sondern auch veraltete Namen, die ein problematisches Bild von Sexualität vermitteln: „Die Begriffe ,Jungfernhäutchen’ oder ,Schamlippen’ sollten längst der Vergangenheit angehören“, betont Thurner.
Scham setzt früh ein und sich in Pubertät fort
Apropos Scham: Diese beginnt oft schon bei kleinen Kindern und setzt sich in der Pubertät fort, berichtet die Expertin. Online-Pornos und (soziale) Medien vermitteln Mädchen ein verzerrtes Bild davon, wie ihr Intimbereich auszusehen hat. „Vor zehn Jahren waren die Schamhaare das große Thema, jetzt wird geschnipselt“, sagt Thurner und meint damit die rasant steigende Nachfrage nach chirurgischen Labienkorrekturen schon im jungen Alter. In einem der Videos veranschaulichen animierte Grafiken, wie vielfältig die Genitalien von Mädchen und Frauen aussehen können.
Kampagne in vier Sprachen
Um möglichst viele Jugendliche zu erreichen, sind die Videos auch in Englisch, Arabisch und Türkisch verfügbar. Und sie sollen nicht nur Schülerinnen und Schüler, sondern auch Erwachsene ansprechen, hofft Daniela Thurner. „Uns allen fehlt hier wichtige Bildung, die dringend nachgeholt werden muss. Denn nur mit dem nötigen Wissen gelingt eine selbstbestimmte Sexualität.“
Carsten Müller und Sarah Siegl: „Bienchen und Blümchen waren gestern: So geht Aufklärung heute!“, EMF-Verlag, 15 €.
Antonia Pichler: „Ich und meine Yoni“, Nova Md, 21 €.
Katharina der Gathen: „Klär mich auf“, Klett Kinderbuch, 11 €.
Katharina Schönborn-Hotter, Lisa Sonnberger, Flo Staffelmayr: „Lina, die Entdeckerin“, Achse Verlag, 22€.
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