Prägen Gene oder Umwelt: Warum Zwillinge so faszinieren
"Es war, als würde man in einen Spiegel schauen, genau dasselbe Gesicht, genau dieselbe Stimme. Ich bin sie und sie ist ich." In den vergangenen Wochen staunte die Welt über die Geschichte der bei der Geburt getrennten georgischen Zwillingsmädchen Amy und Ano, die sich durch eine Talentshow im Fernsehen und Tiktok wiederfanden.
Spätestens seit 1949, als Erich Kästners weltberühmtes Kinderbuch "Das doppelte Lottchen" erschien, stellt sich die Gesellschaft die Frage, ob die biologische Veranlagung oder die Umwelt stärker Einfluss auf die Entwicklung hat.
Seelenverwandtschaft
Im Jahr 2022 gab es in Österreich 80.547 Geburten, davon waren 1.173 Mehrlingsgeburten. Also ein seltenes Ereignis, wie auch das öffentliche Interesse an den Neujahrs-Zwillingsbabys erklärt. Frank Spinath, Psychologie-Professor der Universität des Saarlandes über die Faszination von Zwillingen: "Wir fragen uns stets, was uns zu Individuen und zu einzigartigen Persönlichkeiten macht. Zwillinge stellen infrage, ob wir so besonders sind. Weil sich ihre Gene so stark ähneln, wird unser Wunsch nach Einmaligkeit von Grund auf erschüttert und stärkt zugleich die romantische Hoffnung auf eine ultimative Verbindung von zwei Menschen und die Sehnsucht nach einem Menschen, der uns ohne Worte versteht. Das ist ein innerlicher Widerspruch."
Zwilling
ist eine Ableitung vom Zahlwort zwei und bedeutet "was doppelt vorkommt", "wovon es ein Zweites gibt"
Biologie
Die befruchtete Eizelle teilt sich im Verlauf der Entwicklung. Kommt es in einem sehr frühen Entwicklungsstadium zu einer Auftrennung in zwei Zellpopulationen, können zwei Embryos entstehen. Dann spricht man von eineiigen Zwillingen. Wenn in einem Zyklus zwei Eizellen reifen und je von einem Spermium befruchtet werden, spricht man von zweieiigen Zwillingen
2005 Österreich
Archäologen entdeckten am Wachtberg in Krems eine 31.000 Jahre alte Bestattung zweier Babys des frühen Homo sapiens. Laut Genanalyse waren es eineiige Zwillingsbuben – das ist der älteste Nachweis für Zwillinge
Sein Team begleitet im Rahmen einer Langzeitstudie seit zehn Jahren 4.000 Zwillingspaare in vier Altersstufen. Unter den Teilnehmern sind sowohl eineiige Zwillinge als auch zweieiige Zwillinge, die wie normale Geschwister im Durchschnitt nur eine genetische Ähnlichkeit von 50 Prozent aufweisen. "Wenn man Zwillinge in Studien fragt, wer der wichtigste Mensch in ihrem Leben ist, antworten sie oftmals ihr Zwilling. Wenn sich diese Zwillinge zwischen Partner und Zwillingsgeschwister entscheiden müssten, dann müsste der Partner gehen. Das sagen insbesondere eineiige Zwillinge."
Soziale Ungleichheit
Bei den regelmäßigen Befragungen konzentrieren sich die Forscher u. a. auf Bildungsweg und Erfolg auf dem Arbeitsmarkt sowie mögliche Verhaltensprobleme. In den 1970ern ging man davon aus, dass die Umwelt entscheidend sei. "Heute wissen wir, dass die Gene immer eine wichtige Rolle spielen." Bei manchen Faktoren wie der Intelligenz werden sie im Laufe des Lebens sogar noch wichtiger.
Die Menschen suchen sich selbst Umwelten aus, die genetisch gut zu ihnen passen. "Unser Verhalten bestimmt auch mit, was wir erleben." Die Forschung zeigt, dass die Ähnlichkeiten von verwandten Menschen, die gemeinsam aufwachsen, fast ausschließlich genetisch bedingt sind. "Das heißt nicht, dass es völlig egal ist, wie wir aufwachsen. Aber wir werden nicht zu Partylöwen, nur weil uns die Eltern das vorgelebt haben, sondern weil wir uns die Gene teilen."
Was das für die Gesellschaft heißt: "Wir wissen, dass ein gutes Schulsystem als Unterstützung in jedem Fall wichtig ist. Aber Bildungsunterschiede kommen nicht allein dadurch zustande, dass manche Kinder von Lehrenden bevorzugt werden. Unterschiede zwischen Schülern in der Intelligenz und auch bei der Leistung sind auch sehr stark genetisch beeinflusst."
KURIER: Die Geschichte von den georgischen Zwillingen erinnert an jene vom Doppelten Lottchen – sie wissen nichts voneinander, erkennen sich, ziehen sich wie Magnete an und sind dann unzertrennlich. Was fasziniert an Zwillingen so sehr?
Frank Spinath: Wir fragen uns stets, was uns zu Individuen und zu einzigartigen Persönlichkeiten macht. Zwillinge stellen infrage, ob wir so besonders sind. Weil sich ihre Gene so stark ähneln, wird unser Wunsch nach Einmaligkeit von Grund auf erschüttert und stärkt zugleich die romantische Hoffnung auf eine ultimative Verbindung von zwei Menschen und die Sehnsucht nach einem Menschen, der uns ohne Worte versteht. Das ist ein innerlicher Widerspruch.
Wenn man Zwillinge in Studien fragt, wer der wichtigste Mensch in ihrem Leben ist, antworten sie oftmals ihr Zwilling. Wenn sich diese Zwillinge zwischen dem Partner oder dem Zwillingsgeschwister entscheiden müssten, dann müsste der Partner gehen. Das sagen insbesondere eineige Zwillinge.
Was sind besondere Erkenntnisse aus Zwillingsstudien?
Grundsätzlich muss man sagen, dass es kein relevantes menschliches Merkmal gibt, das nicht einen gewissen Anteil an genetischen Einflüssen hat. In den 1970ern glaubten viele, dass die Umwelt entscheidend sei: Wenn man nur das Richtige mit dem Menschen macht, kommt auch das Richtige heraus. Diese Sicht kann zum Beispiel für manche Adoptiveltern eine schwierige Erkenntnis sein, wenn sie alles richtig gemacht zu haben glauben, sich das Kind aber dann doch in eine andere Richtung entwickelt als gedacht. Ebenso für Eltern von Geschwistern, die sich fragen, warum ihre Kinder sich so unterschiedlich entwickeln.
Heute wissen wir, dass die Gene immer eine wichtige Rolle spielen: In manchen menschlichen Verhaltensbereichen bei Intelligenz und Bildungsrelevanz werden sie im Laufe des Lebens sogar noch wichtiger. Wir gehen von zu Hause ins Leben hinaus und suchen uns Umwelten aus, die genetisch gut zu uns passen. Die Umwelt passiert uns nicht einfach, wir suchen Umwelten aus und gestalten sie. Unser Verhalten bestimmt auch mit, was wir erleben.
Bei eineiigen Zwillingen, deren Gene sich also maximal gleichen, und die gemeinsam aufwachsen, müsste dann die Ähnlichkeit am deutlichsten sein?
Man möchte glauben, dass das der maximale Boost für die Ähnlichkeit sei. Eineiige Zwillinge sind jedoch nicht immer glücklich damit, dass es noch jemanden gibt, der ihnen so ähnlich ist: Ein Abgrenzen tritt dann oft in der Pubertät auf. Wenn Zwillinge gemeinsam aufwachsen, kommen Fragen auf, wie wichtig das Elternhaus – zum Beispiel der elterliche Erziehungsstil - ist. Die Forschung zeigt jedoch, dass die Ähnlichkeiten von genetisch verwandten Menschen, die gemeinsam aufwachsen, fast ausschließlich genetisch bedingt sind. Das heißt nicht, dass es völlig egal ist, wie wir aufwachsen. Aber wir werden nicht zu Partylöwen, nur weil uns die Eltern das vorgelebt haben, sondern weil wir uns die Gene teilen.
Was heißt das für die Gesellschaft?
Wir wissen, dass ein gutes Schulsystem als Unterstützung in jedem Fall wichtig ist. Aber Bildungsunterschiede kommen nicht allein dadurch zustande, dass manche Kinder von Lehrenden bevorzugt werden. Unterschiede zwischen Schülern in der Intelligenz und auch bei der Leistung sind auch sehr stark genetisch beeinflusst.
Wir sollten uns daher auf die unterschiedlichen Möglichkeiten und Bedürfnisse der Kinder konzentrieren. Wenn wir uns vorstellen, dass zehn unterschiedlich leistungsstarke Kinder gefördert werden, dann sind sie nach der guten Förderung möglicherweise alle besser, aber die Unterschiede bleiben!
Eltern von Zwillingen fragen sich oft, ob die Kinder die gleiche Schulklasse besuchen oder man sie trennen sollte. Wir haben Studien mit eineiigen Zwillingen gemacht und geschaut, wie groß der Einfluss unterschiedlicher Schulklassen oder Lehrer ist. Wir können Eltern beruhigen: Die Studien zeigen keinen entscheidenden Einfluss auf die Schulleistung der Zwillinge. Die Entscheidung, ob Zwillinge die gleiche oder getrennte Klassen besuchen sollten, kann sollte eher von der Persönlichkeit der Kinder abhängig gemacht werden. Unsichere Zwillinge profitieren evtl. von der gemeinsamen Klasse, besonders konkurrenzorientierte Zwillinge eventuell eher von einer Trennung.
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