Heribert war nicht bekannt dafür, besonders emotional zu sein. Ausgerechnet seine Beerdigung hätte den studierten Physiker aber dennoch rot werden lassen können. Der Aufbahrungssaal am Friedhof Kagran war gut gefüllt. Seine Witwe Maria schluchzte laut, während ein riesiges Herz aus roten Rosen unter Heriberts Fotos gelegt wurde. Als der Bestattungsmitarbeiter zurücktrat, ging ein Raunen durch die Trauergemeinde. "Es war viel zu kurz“, stand auf der linken zartrosa Schleife. "Dein Spatzi“, auf der rechten.
Die Geschichte ist eine der liebsten von Patrick Budgen. Für die ORF-Sendung "Wien heute“ hat der Moderator im Laufe der Jahre schon viele Begräbnisse mit der Kamera begleitet. Gemeinsam mit "Promi-Bestatter“ Peter Holeczek, dem langjährigen Leiter der Kundenservicezentrale der Wiener Bestattung, hat er 71 Begräbnispannen niedergeschrieben. Eine skurriler als die andere – aber allesamt wahr. Sie sollen zeigen, "dass es, genauso wie während des Lebens, auch am Ende des Lebens menschelt“, sagt er zum KURIER.
Mit Augenzwinkern
"Wenn man nicht alles so ernst nimmt, sondern ein bisschen mit einem Augenzwinkern sieht, kann man vielleicht auch über solche schweren Themen wie den Tod einfach reden“, ist der gebürtige Wiener und Sohn eines Engländers überzeugt. Manchen Menschen falle das von Natur aus leichter, anderen schwerer: "Wenn ich Geschichten aus meinem Buch erzähle, merke ich, dass die Wiener das ganz selbstverständlich nehmen“, erzählt er. "Na is eh klar“ oder "Das ist gar nicht so seltsam“, bekomme er als Reaktion auf die Anekdoten zu hören. Je weiter man jedoch von der Hauptstadt wegkomme, umso größer werde die Verwunderung, "wie viel und in welcher Art und Weise wir uns in Wien mit dem Tod auseinandersetzen“, lacht er.
Etwa wenn die Wiener ein eigenes Fotoshooting für den Partezettel machen, "weil sie schön ausschauen wollen und die Leute am Begräbnis dann sagen ‚Ja, die war eh eine sehr fesche Gretl. Schade um sie eigentlich.’“ Oder wenn jemand den Wunsch äußert, den Sarg mit Maiskörnern zu füllen, damit bei der Kremation Popcorn rausspringt. "Da greifen sich natürlich andere an den Kopf, aber in Wien denken sich viele wahrscheinlich, warum nicht? Das ist ganz lustig.“
Krebsdiagnose
Der Tod und Wien, resümiert Budgen "das gehört einfach fix zusammen“. Er selbst habe sich nach seiner Lymphdrüsenkrebsdiagnose im Frühjahr 2020 verstärkt mit dem Sterben beschäftigt. Damals war er 36 und hat "zum ersten Mal in jungen Jahren – wo man sich unsterblich fühlt und über vieles nachdenkt, aber nicht über den Tod – gemerkt, was Endlichkeit bedeutet“, erinnert er sich. Was passiert, wenn die Therapie nicht greift? Wenn er nicht wieder gesund aus dem Krankenhaus hinaus spazieren kann? "Das hat, so absurd oder grotesk das klingt, ein bisschen den Schrecken genommen, weil ich mir denke, ich war schon recht nah dort, wo man eigentlich erst mit 80 oder 90 Jahren hinkommt.“
Zentralfriedhof
Mit knapp 2,5 Quadratkilometern ist der Wiener Zentralfriedhof der zweitgrößte in Europa. Mit rund 3 Millionen Toten hat er mehr "Einwohner“ als die Hauptstadt selbst.
71 Kurzgeschichten
hat Budgen in seinem Buch niedergeschrieben – nicht zufällig dieselbe Zahl wie die Straßenbahnlinie 71, die zum Zentralfriedhof fährt.
Rund 10.000
Bestattungen führt die Bestattung Wien jährlich durch. Das Unternehmen hat seit Bestehen rund zwei Millionen Beerdigungen organisiert – von Trauerfeiern im Familienkreis bis hin zu Staatsbegräbnissen.
Auch deswegen konnte er das Buch "mit sehr viel schwarzem Humor schreiben. Das wäre mir vorher gar nicht so gelungen.“ Angst vor dem Tod hat er heute nicht. Aber Angst vor dem Sterben: "Ich habe in der Zeit der Krebstherapie im Spital und auch auf der Reha gute Bekannte kennengelernt und gesehen, wie sie an schweren Krankheiten zugrunde gehen. Wie die dann plötzlich nur noch Haut und Knochen sind und sozusagen auf die Erlösung warten. Davor habe ich Angst. Das wünsche ich mir nicht und wünsche ich keinem vor dem Tod.“
Budgen selbst möchte einmal ohne große Trauerfeier begraben werden. "A schöne Leich“ kommt für ihn nicht infrage, auch kein Grabstein, üppiger Blumenschmuck oder Musik. Wie seine Großmutter wünscht er sich eine kleine Öko-Urne im elterlichen Garten. Was einmal darauf stehen soll? "Wahrscheinlich steht mal drauf ‚Jetzt ist er ruhig’, weil ich immer so viel rede, aber darüber habe ich mir noch keine Gedanken gemacht“, sagt er. Ein XXL-Rosenherz mit zartrosa Schleife wird es aber vermutlich eher nicht werden.
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