Was würde Arbeitsplätze weniger toxisch machen?
Die Arbeitszeit muss radikal reduziert werden. Ich spreche nicht von einer 30-Stunden-Woche. Ich spreche von einer 20-Stunden-Woche – für alle. Ich würde sogar noch weiter gehen: Man sollte die Arbeitsleistung von Zeit entkoppeln und sie nicht mehr in Stunden messen. Weniger Arbeit ist notwendig, um das menschliche Grundbedürfnis nach Erholung wieder zu einem zentralen Bestandteil des Lebens machen zu können. Dann sind die Menschen wieder motiviert, etwas anzupacken.
Wie soll sich das wirtschaftlich ausgehen?
Es soll sich eben nicht ausgehen. Es braucht eine Umwälzung der Wirtschaft. Ich bin dafür, die gesamte Fast-Fashion-Industrie abzuschaffen, ebenso Kosmetikkonzerne. Wenn wir hinterfragen, ob jeder voll erwerbstätig sein muss, müssen wir uns auch fragen, ob es Konzern X geben muss, der irgendetwas Unnützes anbietet. Oder ob es manche Jobs nur gibt, damit es eben Jobs gibt.
Ist das nicht eine Bevormundung der Bevölkerung?
Ich bin überzeugt, dass eine Gesellschaft, die auf Wachstum gepolt ist, keine Zukunft hat. So wie jetzt kann es nicht weitergehen. Diese sozialökonomischen Überlegungen mögen noch kein Mainstream sein, der Nische sind sie aber entwachsen. Statt willkürlichem Konsum brauchen wir mehr Gemeinschaftsgefühl – dafür brauchen wir Zeit, die wir nicht am Arbeitsplatz verbringen.
Jüngere wünschen sich kürzere Arbeitszeiten. Haben sie keine Lust mehr auf Arbeit?
Die jungen Generationen wissen nicht mehr, ob es sich überhaupt lohnt, für die Pension einzuzahlen. Weil sie nicht wissen, ob es so etwas wie Pensionszahlungen in ihrer aktuellen Form noch geben wird, wenn sie aus dem Berufsleben ausscheiden. Und, weil sie nicht wissen, ob unser Planet in 40 Jahren noch bewohnbar ist. Sie stellen sich zu Recht die Frage, warum man seine Lebenszeit noch Unternehmen schenken sollte, die dazu beitragen, dass die Erde zerstört wird. Man kann sich noch so vegan ernähren und mit dem Lastenrad herumfahren: Der Faktor Arbeit ist im Kontext der Klimakatastrophe enorm relevant.
Was bringt Menschen dazu, kündigen zu wollen?
Sie hassen die Arbeit, die sie ausführen. Menschenwürdiges Arbeiten ist im Spätkapitalismus unmöglich. Es gibt Abhängigkeiten, Druck und Mobbing, aber auch Langeweile und Unterforderung. Die Menschen wollen wieder leben und mal drei Monate lang nichts machen, ihre Ruhe haben und sich nicht dafür schämen oder als faul abgestempelt werden.
Ein Modell für Privilegierte?
Es sind ja auch die Privilegierten, die vorpreschen müssen. Ich würde sagen, es ist die Pflicht der Privilegierten, unsere heutige Arbeitswelt zu sabotieren. Uns solidarisch vor jene zu stellen, die das noch nicht können.
Nicht jeder kann es sich finanziell leisten zu kündigen.
Jeder Erwerbstätige hat Anspruch auf Arbeitslosengeld. Dieses Geld kann man auch dafür verwenden, um sich von den Strapazen des Berufslebens zu erholen. Meine Kundinnen und Kunden sind keine Millionäre. Sie haben einen kleinen finanziellen Polster. Ihre Not ist aber riesig. Deswegen sind sie bereit, auf finanzielle Sicherheiten zurückzugreifen.
Raten Sie manchmal von einer Kündigung ab?
Ja, wenn zum Beispiel keine drei Monatsgehälter als Rücklage da sind und man mit einer Kündigung eine lange Sperre riskiert. Ich zwinge außerdem niemanden, zu kündigen. Es geht darum, gemeinsam herauszufinden, ob es der richtige Schritt ist. Wenn eine Person Ängste hat, die an die Substanz gehen, wäre es falsch, sie zu einer Kündigung zu drängen. Dann geht es darum, einen Schritt zurückzumachen, um eine Vorstellung davon zu erarbeiten, wie ein Leben "danach" aussehen könnte, woher die Ängste rühren und was eine Kündigung konkret so unmöglich macht.
Klären Sie auch über Risiken auf?
Wir klären finanzielle Fragen, alternative Joboptionen, Ansprüche auf Sozialleistungen genauso wie formale Schritte der Kündigung. Viele wissen nicht, was ihnen nach einer Kündigung zusteht, und haben Angst vor dem finalen Gespräch.
Arbeitslosigkeit heißt auch: eine Lücke im Lebenslauf.
Wenn es die konkrete Angst vor der Lücke im Lebenslauf gibt, gebe ich Tipps, wie man sie im Bewerbungsgespräch besprechen kann. Es gibt aber inzwischen genügend fortschrittliche Arbeitgeber, die keine Arbeitszeugnisse oder Lebensläufe verlangen. Es sollte darum gehen, wer die Person ist und was sie kann. Nach meinen Beratungen haben meine Klientinnen ohnehin keine Lust mehr, für Firmen zu arbeiten, die Lücken im Lebenslauf als etwas Schlimmes ansehen.
Kann man sich den Luxus leisten, so wählerisch zu sein?
Ich glaube schon. Wir reden ständig vom Fachkräftemangel. Eine ganze Generation an Arbeitskräften der Boomer-Generation ist im am Weg in die Pension, das macht Arbeitsplätze frei. Ich bin mir bei allen meinen Klientinnen und Klienten sicher, dass sie etwas finden.
Wie kommt Ihr Angebot an?
Es läuft. Das darf auch so bleiben. Ich bin immer offen für Anfragen, möchte aber nicht sieben Tage die Woche beraten. Das würde meine Botschaft korrumpieren.
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