Wertedebatte: Wie viel wollen wir noch arbeiten?

Dass den Menschen in Österreich die Arbeit immer weniger wichtig wird, wundert Stefan Wallner vom Bündnis für Gemeinnützigkeit nicht. „Bei jüngeren Menschen schwindet das Vertrauen, dass viel Arbeit eine wirtschaftliche Investition in eine bessere Zukunft ist – Stichwort Wohneigentum. Sie schauen eher schon jetzt auf ein ausgeglichenes Leben.“ Anlass war eine Diskussion auf KURIER-TV zum Thema „Werte in der Krise“ (siehe Infokasten).
Die Corona-Krise hat die Menschen in Österreich verändert, insbesondere ihre Werthaltungen. Manche Entwicklungen, die sich schon vorher abgezeichnet haben, haben sich noch verstärkt, wie eine Studie des Forschungsverbunds Interdisziplinäre Werteforschung (werteforschung.at) zeigt, die Christian Friesl von der Uni Wien mit herausgegeben hat. Die Studie war Anlass, um über das Thema „Werte in der Krise“ zu diskutieren.
Im KURIER-TV-Format Checkpoint diskutierten mit Friesl die Ökonomin von Eco Austria, Monika Köppl-Turyna, und Stefan Wallner vom Bündnis für Gemeinnützigkeit und ehemaliger Caritas-Geschäftsführer. Themen waren Arbeit und Freizeit, Familie, Solidarität, Sicherheit und Eigenverantwortung.
Die Ökonomin Monika Köppl-Turyna von Eco Austria stimmt in diesem Punkt mit Wallner überein und präzisiert: „Während in den vergangenen zwölf Jahren die Inflation bei insgesamt 23 Prozent lag, haben sich die Immobilienpreise verdoppelt.“ Das Beispiel zeigt: Rahmenbedingungen beeinflussen unsere Werte. Denn nicht nur die Häuserpreise sind gestiegen: „Gleichzeitig wurden die Abgaben auf Arbeit ständig erhöht“, stellt die Ökonomin fest: „Da ist es möglicherweise rational, sich nicht mehr anzustrengen.“
Werte/Krise: Stefan Wallner, Friesl Christian, Monika Koeppl-Turyna
Belastet
Christian Friesl von der Uni Wien, der seit Jahren die Werthaltungen der Österreicher erforscht, macht klar, dass es nicht nur um bezahlte Arbeit geht: „Manche Menschen fühlen sich durch alle Formen der Arbeit belastet – dazu zählen auch nicht bezahlte Tätigkeiten wie Pflege, Hausarbeit oder Erziehung. Diejenigen, die sich während der Pandemie besonders belastet gefühlt haben, äußern übrigens am stärksten den Wunsch nach mehr Freizeit.“

Stefan Wallner, Monika Köppl-Turyna und Christian Friesl (v.li.) diskutierten, Ute Brühl moderierte.
Die Corona-Krise habe hier manche Trends verstärkt, stellt Köppl-Turyna fest: „Die Menschen haben gesehen, dass es auch andere Möglichkeiten gibt, Familie und Beruf unter einen Hut zu bringen. Das ist wohl die größte Veränderung, die jetzt von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern eingefordert wird: Sie wollen ein bis zwei Tage im Homeoffice arbeiten – auch wenn die Arbeitgeber hier meist noch etwas skeptisch sind. Doch wenn die Menschen sehen, dass so die Vereinbarkeit besser gelingt, wollen sie das auch haben. Auch mehr Kinderbetreuung wird reklamiert.“
Wirksam sein
Laut Wallner geht es den Menschen nicht unbedingt darum, weniger zu arbeiten: „Sie wollen sich verwirklichen und wirksam sein – egal, ob es sich um eine bezahlte oder freiwillige Arbeit handelt.“
Apropos Freiwillige: Jeder dritte Mensch in Österreich engagiert sich ehrenamtlich – eine Form der gelebten Solidarität: „Mehr als ein Drittel der Befragten gibt an, dass Solidarität äußerst wichtig ist“, weiß Friesl zu berichten. Auch hier sind Rahmenbedingungen nötig, dass das so bleibt: „Vieles funktioniert nur durch Freiwilligenarbeit“, weiß Wallner: Ukrainehilfe, Obdachlosenbetreuung oder Krankentransporte seien Beispiele. „Die Politik hat sich darauf verlassen, dass das eh immer funktioniert. Doch die Teuerung trifft Vereine hart. Es braucht bessere rechtliche, steuerliche und finanzielle Rahmenbedingungen, damit diese Dinge weiterhin funktionieren.“
Nichts einbezahlt
Die Solidarität ist hoch, stellt Friesl fest: „Sie ist aber mit Menschen aus dem persönlichen Umfeld doppelt so hoch, wie etwa mit jenen die ins Land kommen. Diese Diskrepanz ist bei uns besonders ausgeprägt.“ Köppl-Turyna erklärt das so: „Einwanderer haben weniger in das System eingezahlt. Das sehen viele als Grund, warum man nicht mit ihnen solidarisch sein soll. Ändern könnte man das, indem man die Menschen früher arbeiten lässt“, schlägt sie vor. Wallner gibt zu bedenken, dass dieses Thema oft populistisch instrumentalisiert wird. Leider werde oft ausgeblendet, „dass ohne Zuwanderer etwa die Pflege und der Gesundheitsbereich nicht aufrecht gehalten werden könnten“.
Laut Friesl geht es beim Thema Migration auch um kulturelle Fragen: „Viele sind der Meinung: Nur wer sich vollkommen anpasst und viel arbeitet, der ist willkommen. Ich bezweifle, dass das für eine zukunftsfähige Gesellschaft reicht.“
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