Untersuchungen zeigen, dass ein durchschnittliches Schulkind täglich 8,5 Stunden im Sitzen verbringt – „und das nur im Zusammenhang mit der Schule“, betont Pauzenberger. „Freizeitaktivitäten wie Computerspiele und Handyzeit, die zu einem nicht unerheblichen Teil im Sitzen stattfinden, sind da noch gar nicht eingerechnet.“
Als Folge davon erlangte der Begriff Handynacken negative Berühmtheit. „Solche Überlastungen durch das Vorneigen des Kopfes kannte man vorher nicht“, sagt der Orthopäde und erklärt den Hintergrund: „Der Kopf ist im Vergleich zum restlichen Körper ja relativ schwer – die Nackenmuskulatur ist im Vergleich dazu wiederum relativ schwach.“ Wenn der Kopf im Lot ist, müsse die Nackenmuskulatur sich nur um etwa fünf Kilogramm kümmern. Aber ist der Kopf nach vorne geneigt (ca. 60 Grad beim Handyschauen), ist das Gewicht durch den Hebeleffekt bis zu sechs Mal höher. Folge: Die Nackenmuskulatur wird überlastet.
Doch was kann ein Orthopäde dagegen tun? „Nicht viel, eventuell Physiotherapie“, sagt Pauzenberger und betont, dass man beim Lebensstil der Kinder eingreifen muss. „Die Kinder können nicht beeinflussen, wie lange sie in der Schule sitzen. Ich war unlängst überrascht zu hören, dass noch immer nicht verstellbare Tische und Holzsessel mit gerader Oberfläche im Einsatz sind. Die sollte es gar nicht mehr geben.“
Im Idealfall sollten nicht nur ergonomische, sondern auch unterschiedliche Sitzmöglichkeiten im Unterricht geschaffen werden. Der wichtigste Tipp des Orthopäden – auch für Erwachsene – ist dynamisches Sitzen: „Also alle zehn Minuten die Sitzposition wechseln. Dabei ist es gar nicht wichtig wie man sitzt – es muss nicht immer ergonomisch perfekt aufrecht sein. Man darf auch einmal lümmeln oder im Schneidersitz sitzen.“ Wichtig sei, dass man durchwechselt und nicht immer gleich sitzt. Dazu empfiehlt er spezielle Übungen, die man auch im Sitzen machen kann: Armkreise etwa, den Kopf abwechselnd nach links und rechts drehen oder mit den Armen nach oben greifen, um sich durchzustrecken.
Wie sehr sich die falsche Körperhaltung und mangelnde Bewegung auf das spätere Leben der Kinder auswirkt, zeigt sich jetzt bei den Anfang-20-Jährigen: „Wir sehen mehr Junge, die einen deutlichen Rundrücken im oberen Bereich haben. Sie neigen zum Buckeln. Da kann man dann nicht mehr viel machen.“
Besonders im Zusammenhang mit Wachstumsschüben seien Kinder empfindlicher für Rückenschmerzen. „Wachstumsschmerzen sind meist diffus und treten oft in den Waden, Kniekehlen, Schienbeinen oder an den Vorderseiten der Oberschenkel auf.“ Der große Unterschied zu Überlastungen und Muskelverkürzungen sei, dass die Muskeln direkt schmerzen, verspannt und hart sind. „Wenn man zur Massage reindrückt, tut das weh. Bis zum Alter von 16 bis 18 Jahren sollte niemand Muskelverkürzungen oder Verspannungen haben.“
Was die Motivation steigert
Bewegung und eine starke Rumpfmuskulatur sind das Um und Auf für einen gesunden Rücken. Dafür braucht es keine speziellen Übungen – im Idealfall entwickeln Kinder früh ein gutes Körpergefühl, indem sie viele Bewegungsangebote bekommen. Nicht nur in der Turnstunde in der Schule.
Ideale Sportarten, die Probleme im Rücken mitbehandeln, sind laut Leo Pauzenberger etwa Schwimmen, Yoga und Klettern. „Kinder mit Rückenbeschwerden haben oft keine Lust auf Physiotherapie oder Sport.“ Dahinter steckt aber ein Teufelskreis, erklärt der Orthopäde: „Die schlechte Haltung wirkt sich auf das Selbstvertrauen aus, dann macht man eher keinen Sport und widmet sich erst recht dem Handy und Computerspielen. Das machts nicht besser.“
Manchmal helfe es, Jugendliche damit zu motivieren, dass Sport einen positiven Effekt auf das Selbstvertrauen hat. „Die nachhaltigste Vorsorge vor langjährigen Beschwerden ist regelmäßige Aktivität.“
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