Studien zeigten, dass Maskenverweigerer eher Männer sind. Woher kommt die gefühlte Unverwundbarkeit – obwohl die Fakten ja das Gegenteil belegen?
Das ist der Mangel eines Gefühls, bzw. des Zugangs zu diesem Gefühl, nämlich einer angemessenen Angst. Wo dieses Gefühl sozialisationsbedingt abgespalten wurde, gibt es eine Vorstellung von Unverwundbarkeit, die keinerlei Verortung in der Realität hat. Ein Mund-Nasen-Schutz ist im Grunde ja das Eingeständnis, dass man Angst vor einer Ansteckung hat. Das widerspricht dem traditionellen Bild von Männlichkeit. Ähnlich ist das mit der Solidarität: Wenn einem das Gefühl der Empathie ausgetrieben wurde, neigt man eher dazu, zu sagen: Mir doch egal, ob die anderen krank werden.
Donald Trump hat das Virus erst verharmlost, sich dann nach überstandener Infektion als Superman inszeniert. Was geht einem Psychologen da durch den Kopf?
Das war in der Tat spannend zu beobachten. Bei Trump führte die Krankheit nicht wie bei vielen Männern, die einen Schuss vor den Bug bekommen, zu einer Einsicht, sondern wurde im Sinne des traditionellen Männlichkeitsbildes so interpretiert: Seht her, da ist gar nichts dabei, ich fühle mich stärker als je zuvor, außerdem bin ich jetzt immun. Aber Vorsicht: Trump ist ein Extrembeispiel für traditionelle Männlichkeit – selbst Boris Johnson hat nach seiner Covid-Erkrankung einsichtig und vernünftig reagiert.
Apropos: Passt die Unfähigkeit, eine Niederlage einzugestehen, auch in das Bild der toxischen Maskulinität?
Wenn ich bei Vorträgen das Konstrukt der traditionellen Männlichkeit erkläre, sage ich immer, das Kernelement ist die Abwehr von Gefühlen und allem, was traditionell weiblich ist: bei Filmen weinen, zum Ballett gehen, ein Kleid tragen usw. Der dritte Punkt: Im Land der Männlichkeit ist eines noch verboten, und das ist Versagen. Daher der Klassiker, dass nach einem verlorenen Match der Schiedsrichter schuld ist. In diesem Fall eben der Wahlleiter, der falsch ausgezählt hat.
Der Sänger Harry Styles erntete viel Kritik für sein Vogue-Cover, das ihn eben in einem Kleid zeigte. Warum stoßen sich so viele daran?
Weil wir diese Geschlechterrollen, diese Genderstereotype, stark verinnerlicht haben. Wir bekommen diese Bilder ständig subtil vermittelt, etwa über die Werbung. Kinder denken, es ist eine biologische Eigenschaft, dass Buben kurze Haare haben und Mädchen lange. Geschlechtliche Identität hat etwas Klärendes, etwas Einfaches, es gibt die Männer und die Frauen. Wenn das herausgefordert und verkompliziert wird, ist das immer auch eine Bedrohung meiner Klarheit, meiner Sicherheit. Selbst jemand wie ich, der optisch nicht herausfordernd ist, aber öffentlich über Männer und Gefühle spricht, wird im Internet oft angegriffen und als „Schande für die Männer“ bezeichnet. Weil eine Öffnung der Geschlechterrollenbilder schwer auszuhalten ist.
Ein Mann im Kleid auf einer Titelseite, eine Transgender-Frau im US-Senat – warum ist Repräsentation wichtig?
Das Einzige, das nachhaltig Veränderung erzeugt, ist, dass die tägliche Realität anders gestaltet wird. Die Grundlage ist Bildung – die ersten Outings von Homosexuellen gab es erst, nachdem Bücher dazu auf dem Markt waren. Jetzt sind wir schon so weit, dass es selbst in Trumps Amerika schwule, schwarze Abgeordnete gibt. Für schwarze Buben eröffnet das neue innere Möglichkeiten, so wie es für Mädchen jetzt zunehmend die auch innere Möglichkeit gibt, Mathematik zu studieren, weil es entsprechende Vorbilder gibt. Insofern bin ich aus meiner Warte froh über jeden, der diese Ordnung infrage stellt und damit Vorbild ist für andere: sei es ein Mann im Ballett, eine Frau in der Autowerkstatt oder ein Psychotherapeut, der sich über Gefühle auslässt (lacht) – mit jedem Beispiel kommen wir weiter.
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