Die kommerzialisierte Kindheit der Kidfluencer
Er ist gerade einmal zehn Jahre alt und hat bereits seit längerem ausgesorgt. Die Rede ist von Ryan Kaji aus Texas. Mit einem „Lego Choo Choo Train“ hat 2015 alles begonnen, da war er drei. Gefilmt von Mutter Loann im Supermarkt suchte er sich zielstrebig den Zug als Spielzeug seiner Wahl aus.
Das war das erste Youtube-Video der Kajis. Ein Video vom Öffnen eines Riesenpapiermachée-Eis, gefüllt mit Spielsachen, brachte schließlich den Durchbruch, bis heute wurde es über eine Milliarde Mal angesehen.
Mangelnde Privatsphäre
Katja Kunert, Psychologin bei Instahelp, der Plattform für psychologische Beratung online, sieht das kritisch: „Die ersten Lebensjahre sind unglaublich prägend. Sie bilden das Grundgerüst, auf dem wir alles Weitere im Leben aufbauen. Wenn ich schon früh lerne, dass alles, was ich tue unter Beobachtung steht, dann kann ich letztlich nicht lernen, was meine Bedürfnisse und Emotionen sind und wie ich mit ihnen angemessen umgehen kann.
Hinzu kommt ständiger Druck, zu funktionieren und zu leisten. Auch wenn das nicht ausgesprochen wird, so haben Kinder doch sehr feine Antennen. Wir brauchen zudem Privatsphäre dringend zur Erholung, um uns auszutesten und Fehler zu machen, kurz: um lernen zu können.“
Erfolgsmodell
Das Geschäft mit dem gefilmten Unboxing (Auspacken, Anm.) und Ausprobieren des neuesten Spielzeugs ist lukrativ. Speziell, wenn man praktisch täglich neuen Content veröffentlicht, wie Ryan und seine Familie. Knapp 30 Millionen US-Dollar nahmen sie 2020 mit sämtlichen, unter der Marke „Ryan's World“ zusammengefassten, Channels ein, auf denen sie über 32 Millionen Follower haben.
Damit sind sie nicht alleine, sogenannte Kidfluencer zwischen Kindergarten- und mittlerem Teenageralter tummeln sich auf den Social-Media-Plattformen zuhauf. Jeder Klick bringt Geld, zum einen von der Plattform, zum anderen von der Marke, deren Produkte vorgestellt werden.
Bei der Mehrheit sind das natürlich keine Millionenbeträge wie bei Ryan, der über einige Jahre hinweg der erfolgreichste Youtuber war. Dabei verlief aber auch seine Karriere nicht ohne Kontroversen: Die amerikanische Federal Trade Commission (FTC) reichte Beschwerde ein, die bezahlten Produktempfehlungen in den Videos seien nicht als Werbung deklariert – die sehr junge Zielgruppe könne das aber noch nicht erkennen.
In Folge verklagte die FTC Youtube auf 170 Millionen US-Dollar. Die Plattform verschärfte daraufhin ihre Richtlinien für an Kinder gerichteten Content, unter anderem wurden Tracking und Kommentare deaktiviert.
Alles nur Spaß?
Wo die Grenze zwischen spielerischem Ausleben vor der Kamera und Ausbeutung verläuft, ist schwer zu beantworten, meint Katja Kunert. "Für Kinder sind die Eltern absolute Orientierungspunkte. Ihre Verhaltensweisen, Einstellungen und Art und Weise mit den Dingen umzugehen, übernehmen wir in unserer Kindheit ungefragt. Es ist das Grundgerüst auf dem alle späteren moralischen und ethischen Entscheidungen gegenüberstellen, sei es Ihnen blind zu folgen oder total abzulehnen.
Kinder machen zudem sehr viel, um Ihren Eltern zu gefallen. Verstärken die Eltern das Verhalten (durch Lob, Aufmerksamkeit und Anerkennung), wird das Kind das wiederholen, allein schon des angenehmen Gefühls wegen. Es ist dann sicherlich schwer trennbar, ob das Kind das macht, um den Eltern zu gefallen oder weil es Spaß daran hat."
Kinderarbeit?
Dringenden Handlungsbedarf sehen hier die Kinder- und Jugendanwaltschaften Österreichs (Kija), sie seien „vermehrt mit Anfragen zu gesetzlichen Schutzbestimmungen“ für die Kidfluencer konfrontiert, schreiben sie im September 2021 in einem offenen Brief an Bundesminister Martin Kocher. Obwohl laut österreichischem Recht Kinder erst ab Abschluss der neunten Schulstufe arbeiten dürfen, gibt es noch keine Regelungen für ihre Tätigkeit auf Social Media.
Daher ist der Kija die Frage der Arbeitszeitregelung ein besonders großes Anliegen. Denn hinter den so spaßig aussehenden Videos stehe oft ein massiver Zeitaufwand. Zudem brauche es auch eine Regelung dazu, wer über die erwirtschafteten Erlöse verfügen darf.
Was, wenn nun das eigene Kind Kidfluencer-Fan ist? Man solle ihm vermitteln, dass vieles, was da gezeigt wird, eben nicht real ist, sondern aufbereitet, meint Kunert. „Gemeinsames Schauen kann da sehr hilfreich sein. Letztlich wird irgendwann das Alter kommen, in dem sich Kinder dem zuwenden werden. Daher sollten sie gelernt haben, einen realistischen Blick darauf zu entwickeln und sich entsprechend abzugrenzen.“
Die Familie Kaji selbst wird die Kritik rund um Ryans Onlineauftritt wohl nur wenig beschäftigen. Sie haben ihr Imperium mit einer eigenen erfolgreichen Spielzeugkollektion längst auch in die reale Welt geholt.
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