Bauer-Jelinek: Angriffe auf politische Gegner zielen prinzipiell auf deren Schwachstellen – sonst wären es ja keine Angriffe. Nach der alten Machtverteilung zwischen den Geschlechtern sollten Frauen eben mütterlich sein, und Männer sollten stark sein. Weshalb ja auch Biden ständig seine Schwäche vorgehalten wurde.
Würden Sie sagen, ihr Geschlecht mindert oder erhöht ihre Chancen auf den Sieg?
Ob die Frauenkarte ein Trumpf gegen Trump ist, wird sich erst herausstellen. Einerseits wird sie viele neue Wähler und Wählerinnen mobilisieren, aber ebenso viel Widerstand provozieren. Dazu kommt noch, dass Kamala Harris eine Farbige ist, was die Spaltung noch verstärkt. Jedenfalls wird es für Donald Trump sehr viel schwieriger, sie anzugreifen. Jedenfalls bekommt sie von den europäischen Medien viele Vorschusslorbeeren. Nachdem sie bis vor einigen Tagen noch als unscheinbar und mit schlechten Umfragewerten beschrieben wurde, wird sie plötzlich regelrecht gepusht. Grundsätzlich problematisch finde ich jedoch, dass bei öffentlichen Funktionen immer noch das Geschlecht als erstes thematisiert wird. Dadurch kommen die politischen Positionen zu kurz.
Trifft es immer noch zu, dass Frauen eine Führungsrolle weniger zugetraut wird?
Diese Skepsis gegenüber Frauen in Top-Positionen hat zwei Gründe: Zum einen sind ja Frauen in der westlichen Welt erst seit, sagen wir mal, 70 Jahren auf dem Weg in die Gleichberechtigung. Das bedeutet, dass es mehrere Generationen gebraucht hat, bis sie in der Männerwelt ganz nach oben vorgedrungen sind. Die Öffentlichkeit hatte daher noch wenig Gelegenheit, die Leistungen und das Verhalten von Frauen zu beurteilen. Sie werden immer mit Männern verglichen und selten untereinander.
Mittlerweile sind Frauen aber ebenso sehr gut ausgebildet wie Männer.
Und doch haben sie immer noch Schwächen, die Spielregeln der Macht zu erkennen und entsprechend zu reagieren. Sie setzen oft auf Kooperation und übersehen ihre Feinde.
Müssen sich Frauen, die Chefin werden wollen, für ihre Lebensgestaltung mehr rechtfertigen als Männer?
Hier beobachte ich eine stark verzerrte Wahrnehmung: Kritik und Angriffe auf Frauen werden umgehend thematisiert und geahndet, während jene auf Männer – die ja ebenfalls laufend stattfinden - als nahezu normal gelten. Auch das hat mit den alten Rollenklischees zu tun: Mädchen muss man beschützen und ein Junge weint nicht. Heute müsste man verstehen, dass Frauen mit den neuen Chancen auf Machtpositionen auch deren Schattenseiten zu spüren bekommen. Doch anstatt wie im Sport Kondition und Technik zu trainieren, wird mit einer zimperlichen Vorwurfshaltung reagiert. Dies wiederum nährt die Zweifel an der Durchsetzungsfähigkeit von Frauen.
Führen Frauen wirklich anders als Männer?
Dass Frauen ständig vermittelt wird, dass sie „weiblich“ führen sollten, um nicht wie ein Mann zu wirken, ist mit ein Grund, warum sie seltener in Top-Positionen vordringen und meist weniger verdienen. Denn was bedeutet denn "weiblich"? Nach dem alten Rollenbild sind Frauen fürsorglich, sozial und kooperativ. Doch das ist eine Sackgasse, denn damit kommt man in einer konkurrenz-orientierten Gesellschaft eben nur bis zur Gläsernen Decke.
Und wie sieht es mit Macht aus: Gehen Frauen anders damit um? Tun sie sich etwa leichter, diese wieder loszulassen?
Je mehr Erfahrungen Frauen mit der Macht haben, umso weniger lassen sich Unterschiede nach dem Geschlecht feststellen. Letztlich zählt dann nur noch der Charakter.
Was, glauben Sie, kann eine weibliche US-Präsidentin bewirken?
Ich hoffe, dass die alten Klischees endlich aufbrechen, und dass das Geschlecht von Führungspersonen weniger Rolle spielt als ihre politischen Forderungen und ihre Macht-Kompetenz.
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