Frauenvolksbegehren: Neue Generationen, neue Chancen

Frauen begehren auf
Mütter und Töchter sprechen über die Erfolge und Misserfolge der Gleichberechtigung.

"Alles, was Recht ist!" Unter diesem Motto wurde vor 20 Jahren in Österreich ein Volksbegehren für die Gleichstellung von Mann und Frau abgehalten. 645.000 Menschen unterstützten die Initiative, bei der eine Liste mit elf frauenpolitischen Forderungen vorgelegt wurde – etwa jene nach gleichem Lohn für gleiche Arbeit. Zwanzig Jahre später sind viele Forderungen nach wie vor nicht erfüllt. Bei der "Bereitstellung ganztägiger qualifizierter Betreuungseinrichtungen für Kinder aller Altersstufen" gibt es etwa je nach Bundesland große Unterschiede. In puncto Einkommensschere ist Österreich laut Eurostat-Daten in Europa Vorletzter. Der Unterschied im Brutto-Stundenverdienst lag hier im Jahr 2014 bei 22,9 Prozent.

Grund genug für eine Neuauflage des Frauenvolksbegehrens, finden Frauen unterschiedlicher Organisationen, die nun Initiative ergreifen. Konkrete Forderungen sind noch nicht offiziell, doch Sonja Ablinger vom Österreichischen Frauenring sagt: "In den zentralen Anliegen hat sich seit dem letzten Frauenvolksbegehren nichts geändert, frauenpolitisch stehen wir im toten Winkel." Beim Thema Vereinbarkeit von Beruf und Familie sieht sie sogar eine Verschlechterung im Vergleich zu damals. Denn während vor 20 Jahren die Hälfte aller Frauen mit Kindern unter 15 Jahren in Teilzeit beschäftigt war, seien es heute 75 Prozent. Weiters hält sie es für wichtig, Migrantinnen einzubeziehen. Denn hier werde zu oft über das Kopftuch und zu wenig über strukturelle Ungleichheiten gesprochen.

Der KURIER fragte Mütter und Töchter, welche Grenzen sie als Frauen erlebt haben, wie gleichberechtigt sie sich fühlen und welche Ziele Priorität haben.

Frauenvolksbegehren: Neue Generationen, neue Chancen
Hanna Herbst mit ihrer Mutter

Heike und Hanna Herbst

Heike Herbst ist 51 Jahre alt und beruflich als Leiterin einer Kriseninterventionsstelle für Mütter und Kinder erfolgreich. Ihre 26-jährige Tochter Hanna arbeitet als stellvertretende Chefredakteurin beim Magazin Vice.

Grenzen: Heike Herbst wollte sich in jungen Jahren beruflich verwirklichen. Dabei stieß sie auf die "klassischen" Probleme ihrer Generation: Es gab Konflikte mit ihren Eltern, "wenn es darum ging, ob ich studieren darf" – oder mit ihrem Mann, "wenn es um das Zuhausebleiben wegen der Kinder ging." Studieren konnte sie erst, als die Kinder älter waren und sie geschieden. Das wirkt sich heute auf ihre Bezahlung aus: "Die Berufserfahrung vor dem Studium wurde mir nicht angerechnet." Um ihrer Tochter Eigenständigkeit zu ermöglichen, hat Heike sie stets unterstützt. Dafür ist die 26-Jährige dankbar: "Ich hatte alle Möglichkeiten, aber es war nicht immer einfach."

Gleichberechtigung: "Männern wird immer noch mehr zugetraut", sagt Heike über die Gleichstellung von Mann und Frau. Interessant sei, dass viele Frauen Männern diese Macht zugestehen. Tochter Hanna ist über den langsamen Fortschritt bei der Gleichberechtigung bestürzt: "Wenn wir in dieser Geschwindigkeit weitermachen, kann es noch 170 Jahre dauern, bis wir gleichberechtigt sind." Wesentlich sei die Ermächtigung der Frau: "Frauen müssen selbst über ihre Rolle in der Gesellschaft entscheiden dürfen."

Ziele: In die Zukunft blicken Mutter und Tochter zaghaft optimistisch: "Laut Verfassung bin ich gleichgestellt, die Realität lebt sich anders", befindet Heike. Einen Rückschritt sieht die 51-Jährige darin, dass "sich auch Frauen oft gegen Frauen stellen." Ihre Tochter sieht Fortschritte in gewissen Bereichen, aber auch neue Probleme, zum Beispiel in den USA oder in der Türkei. "Nur weil etwas einmal erkämpft wurde, heißt es nicht, dass wir uns darauf ausruhen dürfen."

Frauenvolksbegehren: Neue Generationen, neue Chancen
Erza Aruqaj mit ihrer Mutter

Nurija und Erza Aruqaj

Erza Aruqaj ist mit ihren Eltern Anfang der 90er-Jahre aus dem Kosovo nach Österreich gekommen. Ihre 51-jährige Mutter Nurija arbeitet als Einzelhandelskauffrau in Oberösterreich. Erza ist 25 Jahre alt und ist in Wien Ökonomin.

Grenzen: Nurija Aruqaj ist in Österreich zunächst an sprachliche Hürden gestoßen. Obwohl sie diese mittlerweile überwunden hat, erlebt sie täglich Grenzen, etwa in der Arbeit. Die Unterstützung, die sie gleichzeitig erfährt, "hat mir oft Kraft gegeben, weiterzumachen". Ihrer Tochter Erza haben sich Grenzen erstmals im Volksschulalter gezeigt, als Lehrerinnen daran zweifelten, ob sie das Gymnasium schafft. Das habe aber erst recht den Ehrgeiz in ihr geweckt, erzählt sie. Dieser und die "unbegrenzte Unterstützung meiner Eltern" haben ihr geholfen, Hindernisse zu überwinden.

Gleichberechtigung: Nurija Aruqaj fühlt sich gleichberechtigt, was sie auch auf die die dafür in Österreich gegebenen Grundvoraussetzungen zurückführt. Ähnlich geht es auch Tochter Erza, die ihre Situation aber nicht als selbstverständlich ansieht: "Dass eine im Kosovo geborene Frau nach der Matura aus der oberösterreichischen Kleinstadt nach Wien geht, ist nicht gerade Usus in der Community." Sie findet trotzdem, dass es noch vieles zu tun gibt. Darum engagiert sie sich bei der Sorority, ein Verein für die branchenübergreifende Vernetzung von Frauen.

Ziele: Für Nurija hatte die Erziehung oberste Priorität. Dabei haben sie und ihr Mann keinen Unterschied zwischen der Tochter und den beiden Söhnen gemacht. Etwas, das für den damaligen Kosovo nicht immer üblich war. Eine der wichtigsten Fragen für Erza ist der Einkommensunterschied zwischen den Geschlechtern. "Vor allem mit dem kosovarischen Migrationshintergrund steht die ökonomische, politische und soziale Unabhängigkeit der Frau für mich an oberster Stelle."

Frauenvolksbegehren: Neue Generationen, neue Chancen
Käthe Kratz und Rosa Turrini im Interview zum 20. Jahrestag des Frauenvolksbegehrens.

Käthe Kratz und Rosa Turrini

Die Regisseurin und Schriftstellerin Käthe Kratz, 70, ist mit der Frauenbewegung aufgewachsen. Ihre Tochter Rosa Turrini, 32, ist selbst Mutter eines dreijährigen Sohnes und arbeitet im Bereich administrative Planung und Organisation.

Grenzen: Für Käthe Kratz gab es als Regisseurin große Stolpersteine – sich dennoch zu behaupten, hat sie viel Kraft gekostet. "Ich hatte das Glück, meine jungen Jahre als Teil der Frauenbewegung zu verbringen. Grenzen zu überwinden war quasi unser Programm." Im Vergleich dazu hatte Tochter Rosa Turrini "nie Grenzen, die damit zu tun hatten, dass ich eine Frau bin. Zum Beispiel lebe ich mit Partner und Sohn, ohne verheiratet zu sein." Mutter Käthe dazu: "Früher hätte mein Enkel in dieser Situation einen Vormund von der Fürsorge bekommen."

Gleichberechtigung: Es hat sich sehr viel zum Positiven geändert, betont Kratz. "Als ich eine junge Frau war, war der Ehemann noch Familienvorstand, der das Sagen über Frau und Kinder hatte, die Prügelstrafe war gang und gäbe. Junge Frauen sollten sich bewusst sein, wie historisch gesehen neu und angreifbar diese Veränderungen sind." Tochter Rosa kritisiert, dass das Thema Kinderbetreuung vorwiegend weiblich besetzt ist. "Die Kinderbetreuungszeit sollte wie in skandinavischen Ländern nicht zum Karriereknick führen, sondern positiv und bereichernd gesehen werden – für Frauen und Männer." Auch, wenn in Österreich geteilte Karenzzeiten formal unterstützt werden, hänge viel an der ungleichen Entlohnung: "Es liegt auf der Hand, dass die Person, die mehr verdient, auch mehr beruflich arbeitet – und das ist meistens der Mann."

Ziele: "Es ist wichtig zu vermitteln, dass alles, was erkämpft wurde, noch auf dünnem Eis steht. Das gilt es zu verteidigen", sind sich Mutter und Tochter einig.

Frauenvolksbegehren: Neue Generationen, neue Chancen
Valerie Purth mit ihrer Mutter

Barbara Purth-Strzalka und Valerie Purth

Barbara Purth-Strzalka, 59, war nach ihrem Übersetzerstudium in der Erwachsenenbildung tätig. Derzeit verwirklicht sie sich in der Bildungsberatung. Ihre Tochter Valerie, 27, ist Vorstandsmitglied des Vereins österreichischer Juristinnen und arbeitet im Antidiskriminierungsbereich.

Grenzen: Die Geburt ihrer Tochter versetzte Barbara Purth-Strzalkas "emanzipatorischem Empfinden den ersten Dämpfer". Kindererziehung und Haushalt musste sie großteils allein übernehmen. Eine Väterkarenz kam für ihren Partner wegen seines höheren Einkommens nicht infrage. Aktuell tun sich für sie beruflich Hürden auf: "Im weiblich besetzten Bildungsbereich wird Frauen immer noch weniger bezahlt." Tochter Valerie ist im öffentlichen Raum mit Einschränkungen konfrontiert: "Es gehört zum Alltag, blöd angegangen oder belästigt zu werden."

Gleichberechtigung: Barbara Purth-Strzalka fühlt sich grundsätzlich gleichberechtigt. Die Zeiten der Kindererziehung sind vorbei, privat ist für sie eine neue Aufgabe dazugekommen, "die ich mit vielen Frauen teile". Damit meint sie die Pflege der Elterngeneration, die auch für sie Thema ist. Männliche Unterstützung bekomme man da nur selten. Valerie fühlt sich ebenfalls gleichberechtigt, aber noch lange nicht gleichgestellt. Als problematisch empfindet sie vor allem geschlechtsspezifische Gewalt gegen Frauen und die Tatsache, "dass wir in vielen gesellschaftlichen Bereichen unterrepräsentiert sind".

Ziele: Früher standen für Barbara Purth-Strzalka die Gleichberechtigung in der Partnerschaft sowie bei Bildung und Beruf an erster Stelle. Am Arbeitsmarkt sieht Valerie heute noch Handlungsbedarf. Auch Männer nimmt sie in die Pflicht: Es brauche Männerarbeit, die sich kritisch mit Männlichkeitsvorstellungen auseinandersetzt. Dass es beim Thema Gleichberechtigung "brodelt", macht ihr jedoch Hoffnung.

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