"Fragilizing": Warum uns dieses Verhaltensmuster unglücklich macht

Symbolbild
Wer sein eigenes Wohlbefinden hintanstellt, um Familie und Freunde nicht zu enttäuschen, schadet sich auf Dauer selbst.

Freitagnachmittag. Der Feierabend ist zum Greifen nahe, die Freude auf ein Wochenende ohne Verpflichtungen groß. Da trudelt eine Nachricht am Smartphone ein: "Na, heute Abend schon was vor?"

Je weiter man zum Inhalt der Nachricht vordringt, desto mehr schwindet die Vorfreude auf die geplant ungeplante Auszeit dahin. Die Party vom Nachbarn hier, eine Einladung zum Frühstück oder ein Spieleabend mit Freunden da. Und obwohl man sich innerlich sträubt, sagt man – die Lustlosigkeit möglichst gut verbergend – zu. Aus Angst, andere zu enttäuschen oder gar zu verärgern. Womöglich angeregt durch vergangene Erfahrungen.

Das Szenario kommt Ihnen bekannt vor? Dann haben sie bereits Erfahrungen mit "Fragilizing" gemacht.

Zurückstecken aus Angst

Fragilizing (von "fragile", dem englischen Wort für "zerbrechlich") bedeutet, übermäßig zuvorkommend zu sein, um andere nicht zu verletzen – etwa Freundinnen oder Freunde, Eltern, Geschwister oder den Partner beziehungsweise die Partnerin. Auch im Umgang mit Kindern und Haustieren kann man in dieses Muster verfallen.

Ziel ist, Konflikte zu vermeiden und drohende Auseinandersetzungen abzuwehren. Statt der erhofften Harmonie und Ausgeglichenheit führt Fragilizing jedoch oft zum Gegenteil, warnt die US-amerikanische Klinische Psychologin und Verhaltenstherapeutin Debra Kissen im Interview mit Refinery 29.

Im Kern von Fragilizing stehe die Annahme, dass das Gegenüber nicht mit Enttäuschungen – etwa einer Absage – umgehen kann. Der Wahrheit entspreche dies in den allermeisten Fällen nicht, erklärt Kissen. Vielmehr würde viele Menschen aus egoistischen Motiven zurückstecken. "Theoretisch tun wird es, um das Unbehagen anderer zu minimieren, in Wirklichkeit machen wir es aber, um unser eigenes Unbehagen zu verringern", sagt Kissen. Heißt: Man geht dem unangenehmen Gefühl, Auslöser für das Unbehagen anderer zu sein, möglichst effektiv aus dem Weg.

Die Vermeidungstaktik hat ihren Preis. "Es führt dazu, dann man als Person, die Fragilizing ausübt, seine eignen Bedürfnisse permanent vernachlässigt", beschreibt Kissen. "Und man nimmt die Herausforderung, komplizierte oder missliche Situationen durchzustehen, nicht an – und davon profitiert keiner."

Zwar sei Fragilizing per se nicht immer und automatisch negativ fürs seelische Wohlbefinden. Um Konfliktsituationen in Beziehungen zu meistern, sei die Strategie aber denkbar ungeeignet.

Schritt für Schritt

Wer das Muster durchbrechen will, sollte klein anfangen. "Suchen Sie sich einen bestimmten Bereich in einer Beziehung, den Sie in dieser Hinsicht verbessern wollen", rät Kissen. Wenn der Partner etwa nachfragt, in welches Restaurant man gehen will – und man bisher aus Rücksicht auf dessen Gefühle mit "Ist mit egal" geantwortet hat, obwohl es einem eben nicht egal war – sollte man versuchen, seine Meinung bewusst kundzutun.

Vom Fragilizing wegzukommen, sei Kissen zufolge ein Prozess, "durch den man lernt, die emotionale Belastung anderer Menschen auszuhalten".

Die Möglichkeit, dass man Freunde oder Bekannte dabei ab und an vor dem Kopf stößt, besteht. Auf lange Sicht werden jedoch alle Beteiligten an den (mehr oder weniger vermeintlichen) Enttäuschungen wachsen.

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